Montag, 28. Dezember 2020

Helianthus strumosus, die Sonnenwurzel

Blüte Helianthus Tuberosus, Topinambur

Ein typisches frisches Gemüse aus dem Nutzgarten im Dezember sind Topinambur, in den USA auch seltsamerweise Jerusalem-Artischocke genannt, obwohl sie dort heimisch ist. Die Pflanze ist ganz langsam aber sicher bekannter geworden, hat aber nie den grossen Durchbruch geschafft. Sie kann auch zum Unkraut werden, ist ein Neophyth der sich in Flusstälern auch leicht von selbst ausbreitet. Auch hier an der Jagst gibt es ein paar Stellen, an den sie ausgewildert zu sehen ist, ihre Konkurrenzkraft ist aber bei weitem nicht so gross wie die des Springkrauts oder gar des Sachalin-Knöterichs, der ein echtes Teufelszeug ist.

Topinambur gehören zur Gattung der Helianthi, der Sonnenblumengewächse. Davon gibt es sage und schreibe 67 Arten, alle stammen ausschliesslich aus Nordamerika. Helianthus tuberosus, wie die Art mit botanischem Namen heisst schmeckt so la la, was einer der Gründe für ihre mehr als mässige Beliebtheit darstellt.

Helianthus strumosus, Knollen?

Nun ist seit ein paar Jahren noch eine Topinamburverwandte in Deutschland auf Internetseiten und bei Pflanzenverkäufern aufgetaucht: Helianthus strumosus, die "Sonnenwurzel". In den USA heisst sie Blassblättrige Waldsonnenblume. Nah verwandt ist die Topinambur, die blasse Sonnenblume (H. decapetalus), Waldsonnenblume (H. divaricatus), die borstige Sonnenblume (H. hirsutus). Angeblich soll die Sonnenwurzel besser schmecken wie Topinambur, glattere Knollen haben. Auf mehreren Internetseiten, auch deutschen wird das als Tatsache verkündet. Das habe ich dieses Jahr ausprobiert, eine Pflanze für nicht gerade wenig Geld gekauft und im Mai gesetzt. Sie wuchs gut. Bei genauerem Hinsehen wurde ich jedoch misstrauisch, das Ding sah sehr nach gewöhnlicher Topinambur aus. Also fing ich an zu recherchieren, las die Bescheibungen von H. Strumosus und kam ziemlich schnell zu einem eindeutigen Ergebnis. Das lautete:

Die Sonnenwurzel gibt es gar nicht. Die Art Helianthus strumosus gibts es natürlich schon, aber sie entwickelt generell überhaupt keine Knollen, nur ganz normale dünne Wurzeln, die für die Ernährung aber untauglich sind. Brauchbar sind sie nur für einen Absud, der gegen Würmer bei Kindern angewendet wird. Was man mir verkauft hat, war in der Tat nur eine Standard-Topinambur und zwar die Sorte "blaue Französische". Tja... man sollte nicht jeder vermeintlichen Neuigkeit nachrennen.

Sehr hohe Pflanzen

Bleiben wir noch etwas bei Topinambur. Obwohl ich sie schon als Kind im Garten meiner Eltern kennengelernt habe, bin ich nie so recht warm geworden mit ihr, habe sie in geringem Unfang aber bis heute angebaut. Das ist der Grund, dass sie auch in der Gartenzone keine grössere Erwähnung fand. Einige ihrer grössten Probleme würden sich aber durch Zucht sicher verbessern lassen:

  • Die sehr unförmigen Knollen mit Sprossknollen, kaum zu reinigen, schwer zu verwerten. Einige Sorten sind da schon recht weit und haben Knollen, die für die Verarbeitung viel besser geeignet sind, Gföhler Rote etwa.
  • Hohe Stengel, die in unseren böigen Lage und den zunehmenden Unwettern im Verlauf des Herbsts fast immer umgerissen werden. Auch da gibt es schon kleiner bleibende Sorten, z.B. Topstar.
  • Normalerweise zerfällt das Fleisch schnell, beim kochen etwas länger fester bleibend wäre enorm hilfreich. "Gute Gelbe" geht in dieser Richtung.
Zubereitung in der Pflanne

Leider gibts keine Sorte, die das kombiniert. So weit ist der Weg dorthin aber nicht. Andere Probleme lassen sich wohl nicht lösen. So wirkt nach längerer Esspause eine gute Potion Topinambur recht drastisch abführend, der Körper gewöhnt sich zwar mit der Zeit an die verantwortlichen Oligosaccharide, aber nach der schlechten ersten Erfahrung haben viele Leute einfach keine Lust mehr auf dieses Gemüse.

Und für mich gilt das Fazit: Reingefallen mit Helianthus strumosus. Misstrauischer sein.

Schön sind sie ja, aber auch kaum zu reinigen

Als Sichtschutz tauglich

Die "blaue französische" Topinambur zeigte sind in keinem Punkt überlegen, die Sorte kann man kaum weiterempfehlen. Der Hauptstengel wurde fast 3m hoch und war recht kräftig. Und an einem Standort im Spätsommer durch Windböen prompt umgerissen, die Knollen waren da noch unterentwickelt. Am anderen Standort habe ich sie an einem Zaun angebunden und ganz ausreifen lassen, erst Ende November nach den Knollen gegraben. 

Die Gesamterntemenge einer Pflanze lag bei unter 3kg und viele Knollen waren kaum verwertbar, weil klein und sehr verwachsen. Für ein mühsam hergestelltes Gericht stand ich ganz schön lange in der Küche und war mit der Reinigung und Zurechtschneiden der Knollen beschäftigt. Das Aroma unterschied sich nicht von anderen Sorten, wenigstens zerfiel sie nicht so schnell und roh sieht sie wegen der Farbe attraktiver aus wie die gelblicheren Sorten. Die Pflanze setzt früh viele Blüten an, sie wäre enger gesetzt auch als Sichtschutzpflanze brauchbar. Ansonsten: Muss nicht sein.

Die Blüten sind attraktiv für Bienen und Wildbienen, viele Pollen, aber wenig Nektar
Stengel ist bei Topinambur stark behaart, bei H. Strumosus jedoch nicht.
"Blaue Französische" hat recht kleine Knollen
November. Laub abgestorben, Pflanze erntereif

Donnerstag, 19. November 2020

Neues zum Anbau von Süsskartoffeln

Wurzelknollen bei der Ernte, 3kg

Auch dieses Jahr habe ich wieder mehrere Sorten Süsskartoffeln angebaut. Geerntet wurden sie am 2. November, kurz bevor Nachtfrost angesagt war. Die gut entwickelten Pflanzen schafften wie jedes Jahr problemlos rund 3kg Ertrag pro Pflanze. Das ist einiges mehr im Vergleich zur Nachtschatten-Kartoffel. Pflanzt man sie in Reihe im 50cm-Abstand, Reihenabstand 1m kommt man auf zwei Pflanzen pro Quadratmeter, was 6kg Ertrag pro Quadratmeter ergibt. Nachtschattenkartoffeln kommen selbst im intensiven kommerziellen Anbau nur auf gut 3kg/qm, im Hausgarten in unserem nicht mehr kartoffelgeeigneten Klima sind es meist noch deutlich weniger. Sicher kann man auch anders rechnen, aber klar ist: Süsskartoffeln brauchen sich beim Ertrag nicht vor Nachtschattenkartoffeln verstecken, eher umgekehrt. Nachtschattenkartoffeln haben nur wenig Vorteile: Es gibt Frühkartoffelsorten, so dass ab Anfang Juli eine zweite Kultur auf derselben Fläche gepflanzt werden kann und die Kartoffeln sind ohne Wärmebehandlung haltbar, ausserdem ist das Pflanzgut deutlich billiger wenn man es kauft. Aber das Ertragsrennen verieren sie bei mir mit Pauken und Trompeten, da liegen sie hoffnungslos zurück. Jedenfalls im hiesigen heimischen Garten.

Süsskartoffeln gebacken zum Abendessen

Da Süsskartoffeln im mitteleuropäischen Nutzgarten eine neue Kultur sind, gibt es über die beste Anbautechnik und -Bedingungen noch viel zu lernen. Seit ich sie habe, versuche ich herausbekommen welche Bedürfnisse sie haben, was ihnen entgegenkommt.

In diesem Jahr hat sich zufällig einiges über die Art ihres Wasserbedarfs enthüllt. Schon länger klar war, dass sie so wie viele Kulturen in den zunehmend trockenen Sommern zusätzliches Wasser benötigen. Die Niederschläge haben die letzten Jahre nie ausgereicht. Im Aussengarten ohne Extrawasser blieben die Pflanzen immer klein und die Erträge gering.

Im Hausgarten hatte ich sie dieses Jahr an drei Stellen. Boden, Besonnung und Sortenspektrum überall gleich. Natürliche Niederschläge gab es ab Pflanzung bis Ende September wieder einmal keine nennenswerten. Die Ergebnisse waren sehr interessant:

3. Platz: Anfangs wenig Wassergaben
  1. Platz: Neben Paprikapflanzen. Ab Pflanzung bis Ernte immer gut bewässert, weil Paprika regelmässig Wasser benötigten, denn ihr Wurzelraum ist nicht gross. Ergebnis: 3kg Knollen pro Pflanze, schön geformte Knollen.
  2. Platz: Neben Wassertonne. Der Boden bleibt dort etwas länger feucht und ich habe ab Pflanzung ein bisschen gegossen, bis die Tonne leer war. Nicht viel. Mitte Juli war Schluss mit Extrawasser. Ab da mussten die Pflanzen selbst nach Wasser graben. Ergebnis: 3kg Knollen pro Pflanze, sehr schöne geraden Knollen. Exakt dasselbe wie von der duchgängig bewässerten Stelle.
  3. Platz. Neben Tomaten. Die halten es länger ohne Extrawasser aus, aber ab Mitte Juli war damit Schluss. Ab dann habe ich mehrmals kräftig gewässert. Ergebnis: Geringere Erträge, 1,8kg pro Pflanze. Die Knollen waren an allen Pflanzen ineinander verwickelt, sie sahen etwas aus wie unsere hohenlohischen Schneeballen. Das Bild zeigt sich auch bei den unbewässerten Pflanzen im Aussengarten, dort sind die Knollen dann noch kleiner.
Adventivwurzel, bereits zur Knolle ausgebildet


 

Wasserbedarf: Wann und wieviel?

Auch das Laub hat Masse: >2kg pro Pflanze
Sie können auch gerade wachsen

Damit ist klar geworden, dass Süsskartoffeln für gute und schwere Knollen vor allem am Anfang ihrer Entwicklung (in den ersten beiden Monaten) regelmässig Wasser benötigen. Danach sinken ihre Bedürfnisse nach Extrawasser. Kein Wasser ab Juli änderte die Erträge nicht mehr wirklich. Man schätzt das zunächst automatisch anders ein, denn Süsskartoffeln wachsen lange Zeit nach der Pflanzung nur sehr wenig. Die Pflanze steht optisch still. Mit und ohne Wasser. Kein Unterschied zu sehen. Die Ranken beginnen erst spät im Jahr, kräftig zuzulegen und in die Länge zu gehen. Ganz offensichtlich entwickelt sich aber in dieser ersten Zeit das Wurzelwerk, Lage und Zahl der Speicherwurzeln werden angelegt. Daraus werden später die grossen Knollen. Und diese ersten Anlagen gelingen nur, wenn Wasser da ist. Hat sie ihren Wurzelraum, schafft sie selber mehr Wasser ran und lässt die Ranken ranken. Grosse Bewässerungsmühen kann man sich dann sparen. Das Spiel wird am Anfang entscheiden, nicht ab Mitte.

Nun ist mir auch deutlich geworden, wieso Süsskartoffeln vor zwei Jahren nach einem feuchten Frühling trotzdem noch gute Erträge hatten, obwohl der Sommer danach sehr trocken wurde.


Zwei Sorten Süsskartoffeln beim Frittieren in Pflanzenöl







Sonntag, 8. November 2020

Teltower Rübchen, die Luxuswurzel

Dieses Jahr war unser bisher bestes Anbaujahr für Teltower Rübchen. Eine so schöne und grosse Ernte hatte ich noch nie. Jetzt sind sie fast abgeerntet. Wenn man sie essen will, muss man sie selbst anbauen, in Süddeutschland sind sie weitgehend unbekannt und sogar auf dem Wochenmarkt, wo Produzenten seltene Gemüsesorten anbieten sind sie fast nie zu finden. Es sind absolute Exoten. Doch was ist dieses Wurzelgemüse überhaupt und warum die Mühe damit?

 

Was sind Teltower Rübchen?

Teltower Rübchen gehören zur riesigen Gruppe der Kohlarten, es sind Kreuzblütengewächse. In dieser Gruppe stehen sie familiär neben den Nachkommen des wilden Rübsens, der im Mittelmeergebiet heimisch ist. Ebenfalls kultivierte Rübsenarten sind Chinakohl, Pak Choi, Rübstiel, Ölrübsen (der eine Elternart von Raps ist), Mairübe, vielleicht auch andere Herbstrüben und diverse Speiserüben und eben unsere Teltower Rübchen: Brassica rapa L. subsp. rapa f. teltowiensis. Es gibt noch ein paar wenige und teilweise ausgestorbene lokale Rübenarten, die Richtung Teltower Rübchen gehen, zum Beispiel die "bayerische Rübe", oder die "schwarze Winterrübe". Eine erschöpfende Übersicht aus historischen Quellen findet sich hier. Andere Kohlarten sind verwandtschaftlich ein bisschen weiter entfernt, da ist im Stammbaum meist der Meerkohl daran beteiligt, den unser Rübchen nicht mit drin hat. Typische Zeichen für eine genetische Meerkohlbeteiligung ist eine bläulich-weisse Wachsschicht auf den Blättern, die das Wasser abperlen lässt. Die hat unser Rübchen nicht, keine Spur davon. Das Grün des Laubes wirkt sehr satt, weich, bricht leicht. Optisch sind auch die Rübchenknollen leicht von ihren Speiserübenverwandten zu unterscheiden. Teltower Rübchen sind kleiner, weiss bis beige. Ihre essbaren Wurzeln wachsen oft unregelmässig und haben viele bartartige Wurzelhaare an der Knolle sowie horizontale Narben. Selten werden sie länger wie ein Daumen. Auch von den Inhaltsstoffen her sind sie ziemlich einzigartig im Vergleich zu den Kohlrüben. Sie enthalten bis zu doppelt so viel Zucker, Stärke, Eiweiss und dafür weniger Wasser, sind also gehaltvoller, konzentrierter und damit auch weit nahrhafter wie Kohlrüben sowie fast alle anderen Gemüsesorten. Vielleicht war das einmal einer der wichtigen Punkte für ihre frühe Wertschätzung.


Wie schmecken sie?

Kochfertige Stücke Teltower Rübchen

Für den verfressenen Nutzgärtner zählen vor allem zwei Dinge: 1. Wie kann ich das anbauen? 2. Wie schmeckts? Gekocht haben sie von ihren nahen Verwandten einen zart kohligen und ebenso zart rettichartigen Ton, der aber nie aufdringlich wird und auch nicht Richtung Radies geht, sondern Richtung Meerrettich. Daneben gibts aber noch viele Sekundäraromen, ich schmecke Kokos (wirklich!) heraus, eine sanfte Süsse, Spargel, erdig, duftig. Sie wirken "voll", dicht, nie wässrig und leichtgewichtig wie manchmal andere Kohlrüben. Einzigartig ist auch ihre Konsistenz. Gekocht zerfallen sie zwar nicht so schnell, werden aber trotzdem cremig weich, man kann sie fast mit der Zunge zerreiben. Für mich ein fabelhaftes Gemüse.



Wo kommen sie her, wer baut sie an?

Angeblich kamen Teltower Rübchen über Schweden oder Polen nach Deutschland, andere Theorien sprechen von den Niederlanden. Vor allem in Schweden entstanden im Spätmittelalter auch diverse Herbstrübensorten. Die Wildform von Rübsen kommt allerdings aus Südasien. Irgendwo auf dem Weg zu uns sind sie entstanden. Bis zur Ankunft der Kartoffel waren Speiserüben generell ein wichtiges Lebensmitel. Die ganze Speiserübenwelt ist uralt, schon seit über 2000 Jahren werden sie vom Mittelmeerraum bis China angebaut, Rübsensamen aus Kulturen sind schon aus der Zeit von vor 4000 Jahren in Mitteleuropa nachgewiesen. Welche Unterarten sich wann und wo abgetrennt haben, ist nicht mehr feststellbar. 

Im 18. Jahrhundert werden die Teltower Rübchen jedenfalls in Deutschland zur Spezialität, im 19. Jahrhundert zur Delikatesse. Goethe liess sie sich mit einem Eilboten bringen, Fontane liebte sie, sie wurden bis Portugal exportiert, in Frankreich wird sie von Napoleon geschätzt. Lange Jahre wird sie nur im Sandboden der Mark Brandenburg angebaut, dort aber massenhaft. Wie die gesamte übrige Esskultur Deutschlands erlebte das mit dem ersten Weltkrieg einen herben Absturz, ab dann ist nur noch satt werden um jeden Preis angesagt. In der DDR war sie nicht als Gemüse im Wirtschaftsplan vorgesehen, sie stirbt fast aus, nur noch ein paar Hobbygärtner haben sie. Mit ihrem Untergang trat eine bis heute dauernde Begriffsverwirrung mit anderen Speiserüben ein, sie wird seither mit anderen Speiserübensorten verwechselt, z.B. dem "Mairübchen Petrowski", aber das ist kein Teltower Rübchen. Die süddeutsche Saatgutfirma Hild aus Marbach rettete sie nach dem Ende der DDR und vermehrte sie wieder.

In Teltow auf sandigen Böden sollen sie das beste Aroma entwickeln, aber eigentlich ging es beim Rübenanbau am meisten darum, auf sandigen Böden mehr Verwertbares zu ernten. Vor allem etwas, das man sogar noch spät im Vegetationsjahr, nach der Getreideernte aussäen kann und das trotzdem noch reif wird. Das Prinzip: Ein Feld, zwei Ernten im Jahr. Das klappte mit Herbstrüben und eben auch mit den leckeren Teltower Rübchen. Teltow liegt direkt an der südlichen Stadtgrenze nach Berlin. Dort hat man erst nach der Wende die Rübchenspezialität wiederentdeckt und sich sogleich 1993 den Namen "Teltower Rübchen" als Marke schützen lassen. Wer Teltow und die Rübchen heute kennt, wundert und ärgert sich aber. In und um Teltow hat man wie so oft im heutigen Deutschland nichts unterlassen, um gründlich alles zu vernichten, auf dem etwas natürliches wachsen könnte, was im Kreislauf der Natur liegt. Gewachsen ist nur Beton und Zerstörung. Teltow wurde rasend schnell und mit voller Absicht zu einem hässlichen, verpanschten Brei aufgebläht, der in den überall bekannten kaputten Mischung aus furchtbaren neuen "Wohnparks", riesigen metastasierenden Blechhallen-Industriegebieten, Baumärkten, Strassen, Müllverarbeiter, quadratkilometergrosse LKW-Aufmarschplätze von "Logistikern" verwandelt wurde. Die Entwicklungen sind kein Einzelfall, überall läuft das so im engen Land, wir haben es auch vor der Haustür. Die Teltower Rübchen werden absehbar nur noch mit Rüben bepinselte LKW-Anhänger sein oder Einzelexemplare aus einem einsamen Winz-Restgärtchen hinter einem der endlosen neuen Bürgerpalastwüsten mit Schottergarten, Dreifachgarage fürs SUV und Wohnmobil, Riesenterasse, Grillplatz. Im stetigen Bestreben, Ressourcen gründlich zu vernichten, das Land mit Quantität zu verrümpeln statt Qualität wachsen zu lassen, ist der Anbau in Teltow heute stark zurückgegangen. Es gibt nur noch einen einzigen beruflichen Bauern, der sie im Anbau hat, in einem Zeitungsinterview sagte er "Zudem verlieren wir auch immer mehr Fläche, weil zurzeit nahezu jeder Krümel Bauland wird." Trotz gutem Absatz kann er nicht mehr liefern, auch wenn er will. Es gibt kein Land mehr zu pachten, er kann nicht bewässern weil er keine langfristigen Verträge bekommt, Investitionen in Leitungen und Brunnen wären also verloren. Hauptanbaugebiet ist mittlerweile Vierlanden bei Hamburg, es sind also eigentlich Hamburger Rübchen geworden und sogar in der Schweiz gibt es nun kommerziellen Anbau. So schafft es "Entwicklung" in Teltow nachhaltig zu zerstören, was Weltkriege und Diktaturen nicht geschafft haben.


Der Anbau

Gut entwickeltes Laub von Teltower Rübchen

Oft wird behauptet, nur in den Sandböden Brandenburgs würden sie ihre spezifischen Qualitäten entwickeln. Das kann durchaus sein, bald wird das niemand mehr vergleichend nachprüfen können weil auf dem "entwickelten" Beton und Blech Teltows nichts mehr wachsen kann. Aber eins weiss ich genau: Sie schmecken vielleicht nicht wie früher aus Teltow, aber auch aus dem eigenen Garten immer noch recht gut. Selbst wenn sie hier weitab von Sand und Brandenburg wachsen. Zum Beispiel in einem flachgründigen, tonigen Boden mit hohem Kalkgehalt, einem Klima das selten Fröste vor Mitte November kennt und sehr trockene Jahre die Regel sind. Eigentlich das genaue Gegenteil von den Bedürfnissen der Teltower Rübchen. Trotzdem: Nach einigen Jahren Anbau habe ich im Vergleich zu vielen anderen Kohlgemüsen sogar den Eindruck, dass es eine problemarme Kultur ist.

Keimung und sofort Schaden durch Kohlerdflöhe

Die runden, für Kohlgemüse kleinen Samenkörner werden Ende August bis Anfang September ausgesät. Empfohlen wurde früher im Bauernkalender der 5. August, dann Mitte August, aber das ist meiner Erfahrung nach heutzutage viel zu früh für die meisten Gegenden. Dann wird schon die erste Überraschung sichtbar: So gut wie Teltower Rübchen keimt kaum was. Selbst bei Hitze laufen sie recht gut auf. In jedem Boden. Ein bisschen giessen reicht. Gesät wird 1-2 cm tief im 10cm - Abstand. Da sie nach der Hauptzeit des Kohlerdflohs wachsen, ist ein Befall mit den typischen Löcherblättern zwar noch vorhanden, aber meist kontrollierbar. Blattkrankheiten sorgen manchmal für Ausfälle, aber aufgrund der kurzen Vegetationsdauer von acht Wochen erntet man die Rübchen dann halt etwas früher und sie bleiben kleiner, aber auch das verursacht keinen Totalverlust.

Rausziehen: Ernte

Wasser benötigen sie auch nicht mehr oder gleichmässiger wie andere späte Kohlgemüse. Sie wirken sogar genügsamer und robuster. Giessen muss man sowieso in unserer trockenen Gegend. Haben sie weniger Wasser, schaffen sie es trotzdem, nur die Rübchen bleiben kleiner. Dieses Jahr stimmte alles, der Herbst wurde im Oktober feucht, kühl aber ohne Frost. In Jahren mit viel Sonne und trockener Luft lief es weniger gut, aber noch gut genug. Auffallend war diesmal die gute und reichliche Laubentwicklung. Die Wurzelbildung verzögert sich dadurch offensichtlich etwas, setzte dann aber um so stärker ein. 

Neben Paprika

Der Anbau funktioniert auch, wenn Anfangs Halbschatten herrscht. Sogar besser. Ich pflanzte sie auch zwischen Paprikapflanzen. Dort waren sie im Jungstadium stärker beschattet, bekamen aber herrliches fettes Laub und anschliessend dicke Wurzeln. Die Paprika wurden im Herbst abgeräumt, die Rübchen blieben und wuchsen ungerührt stetig weiter.


Ernte

Ab Mitte Oktober ziehe ich die ersten Rübchen aus dem Boden. Auch kleine Rübchen sind schon gut. Sie wachsen sowieso sehr ungleich, manche Pflanzen entwickeln sind gar nicht, andere bekommen richtig dicke Knollen mit bis zu 200g Gewicht (mein Rekord bisher). Vielleicht ist die Unterschiedlichkeit der tatsächliche Nachteil bei Anbau in weniger geeigneten Verhältnissen. Mehrbeinigkeit ist auch häufiger, aber das ist ohnhin ein generelles Problem in schwerem Boden mit Steinen drin. Erntehöhepunkt ist Anfang November, also etwa acht, neun Wochen nach Aussaat. Ihr Fleisch ist dann unabhängig von der Grösse noch fast weiss, fest und sehr dicht, markig, auch brechend beim schneiden. Danach lassen sie nach und die beige Wurzel bekommt langsam schwarze Fasern unter der Wurzelhaut. So etwas ist auch bei überständigen Rettichen oft zu sehen oder wenn die Pfanzen im Stress sind, z.B. bei Befall durch die Kohl- oder Rettichfliege. Aber essbar sind sie noch, nicht holzig, die Aromen werden mit der Zeit langsam kohliger und weniger fein.

Wird langsam überreif - erste Fasern werden dunkel

 

Verarbeitung und Verwendung

Nach der Ernte werden sie abgebürstet, vor weiterer Verwendung geschält, genau wie die meisten anderen Wurzelgemüse, Beispielsweise gelbe Rüben. Das ist etwas mühsam, denn die Rübchen sind klein und die Verwachsungen sind nicht gerade schälfreundlich. Durch das schlechtere Verhältnis von Aussenfläche zu Inhalt gibts viel Schälabfall. Das muss beachtet werden, wenn man nach Rezept kocht und eine bestimme Menge Rübchen benötigt. 

Rübchen waschen und schälen, viel Schälabfall
Schäumt kräftig

Brutto bei der Ernte ist deutlich mehr wie Netto vor dem kochen. Anschliessend gemäss Rezept in Stücke schneiden oder nicht, in kochendem Wasser blanchieren oder direkt in einer Sosse kochen. Dabei zeigt sich ein besonderer Effekt: Es entsteht auf dem Kochwasser ziemlich viel und standfester Schaum und das Wasser wird auch schnell trübe. Wahrscheinlich verursacht das ihre vergleichsweise hohe Konzentration von Inhaltsstoffen, von denen sich etwas während des Kochvorgangs im Wasser löst.

Glasiert mit Zucker, Butter, Rotweinessig

Zur Verwendung gibt es unzählige Rezepte im Internet. Wir essen sie am liebsten in Stücken blanchiert, dann mit Butter, wenig Zucker und einem Säurungsmittel wie Agrest angeschwitzt, eventuell noch in Petersilienblättern gewälzt, also ganz einfach. Andere Leute schwören auf eine Cremesuppe aus Rübchen oder bevorzugen sie klassisch, in dicken Sossen, was wir auch gerne machen. Auch als Rohkost oder in Eintöpfen hat sie Liebhaber. Egal was: Etwas Säurezugabe ist immer gut. Und Butter harmoniert immer sehr gut damit. Den guten Eigengeschmack sollte man nicht mit vielen starken Gewürzen übertönen. Andere Speiserüben vertragen das besser, das sind mehr Resonanzböden für Gewürze. Die Teltower Rübenddiva möchte dagegen selbst glänzen und im Mittelpunkt stehen.

 

Lagerung

Am Besten finde ich sie erdfrisch aus dem Boden. Abgebürstet und ohne Laub halten sie sich im Kühlschrank eine Woche, am Besten im Null-Grad-Fach. Sie lagern sich auch einfach bis ins Frühjahr in einer Sandkiste, genau so wie andere Speiserüben, Pastinaken, gelbe Rüben, rote Rüben, Topinambur. Tiefgefrieren habe ich noch nicht ausprobiert, müsste aber angesichts der gekochten Konsistenz gehen - die Stücke blanchieren und dann einfrieren.


Fazit

Die kurze Entwicklungszeit, gute Eignung als Nachkultur, ihre Robustheit und die "Leckerei, die man nicht kaufen kann" machen sie zur idealen Herbstkultur im Hausgarten. Nach einigen Jahren Test damit sind sie nun in mein Stammsortiment der regelmässig angebauten Gemüsesorten gekommen.

Freitag, 30. Oktober 2020

Tafeltraubentest: Solotoi Don

Solotoi Don - aufrechte Ranken

Die letzte reif gewordene Tafeltraubensorte in meiner Sammlung ist "Solotoi Don" und die Letzte, die für dieses Jahr in der Tafeltraubentestserie beschrieben werden soll. Der Name legt es nahe: Wieder eine russische Züchtung. Und zwar erneut einer der viel vielen, vielen Wostorg-Abkömmlinge, die Eltern waren Biruinca aus Moldavien und Wostorg. Gedacht war sie als Spätsorte, die man noch lange in den Herbst hinein essen kann. Die Kurzübersicht der Testwertung:


 

Wuchs und Krankheiten

Gewelltes, dunkelgrünes Laub

Solotoi Don wächst recht charkteristisch. Sie will steil nach oben, geht aufrecht weg. Das ist nicht gerade ein pflegeleichter Wuchs, Wein wird meist an Drähten horizontal geführt, nicht wie eine Pappel einfach nur nach oben. Damit verursacht sie mehr Binde- und Pflegearbeit, weil man sie ständig zur Seite zwingen muss und falsch wachsende Ranken beseitigen. Die Ranken sind auch nicht so schön garniert. Fazit: Schwieriger Wuchs. 

Die Blätter haben ebenso einen besonderen, eigenen Charakter. Sie wirken dick, nicht sehr gross und sind alle irgendwie nach aussen gewellt. Dafür scheint das Laub bis zum Herbst gesund zu sein, vor September waren kaum Krankheitsschäden zu sehen, obwohl die Sorte an einem typischen Mehltauplatz steht. Später bekommen sie dann schnell echten Mehltau, da ist das aber kein echtes Problem mehr.

Die Beeren sind leider nicht gesund. Sie wirken früh fleckig. Diese Kratzer oder Sprenkel sind die Anfänge von echtem Mehltau. Die Flecken verheissen keine lange Erntezeit, sondern frühen Verderb. Zu allem Überfluss verrieseln die Trauben auch noch kräftig, so dass die Trauben sehr locker werden.

Beere Solotoi Don im Frühherbst mit Mehltauschaden


Ertrag und Pflege

Das Ertragsniveau ist mässig. Solotoi Don setzt zwar sehr stark an, muss dann aber kräftig ausgedünnt werden. Die kleinen Blätter assimilieren offenbar nicht so recht, so dass die Erträge eher mässig sind, will man den Stock nicht überlasten. Wenn das passiert, bleiben die Beeren klein und die Reife verzögert sich in den Oktober hinein, es kann auch sein dass man gar nichts mehr erntet.

 

Trauben und Beeren

Die Blüten verrieseln leicht, was zu sehr locker aufgebauten Trauben mit teilweise grossen Beeren führt. Gross werden sie aber nur, wenn man gut ausgedünnt hat und innerhalb der Traube eher am oberen Ende. Die Beeren enthalten im Schnitt zwei Kerne, die leider stören. Am schönsten ist ihr Fruchtfleisch: Homogen und fleischig, fast samtig. Solotoi Don kann man auch lutschen. Die Harmonie wird nur durch die Kerne gestört.

 

Inhaltsstoffe, Aroma und Verwendung

Ab Mitte September werden die Beeren essbar. Sie sind schon früh süss, nicht wegen Reife sondern wegen fehlender Säure. Leider auch so ziemlich aromafrei. Noch nicht einmal etwas Säurespiel erfreut die Zunge, geschmacklich herrscht gepflegte Langweile, allerdings sind auch keine Aromen da, die jemand verprellen können. Der Süsseindruck entspricht lange nicht dem Zuckergehalt, sondern wirkt nur deshalb höher, weil die Säure fehlt, das Refraktometer beweist das. Damit wirken die Beeren gleichzeitig abgebaut, ein Zuckerwasser. Wäre die schöne gleichmässig fleischige Fruchtfleischkonsistenz nicht, müsste man sich wirklich fragen, wieso solche Sorten überhaupt auf den Markt kommen.

Festes, kleines Laub mit roten Blattstielen

Leider ist das der Stil, dem mit ein paar glücklichen Ausnahmen viele der neueren osteuropäischen Sorten folgen. Die kleinteilige Tafeltraubenproduktion für die lokalen Märkten verlangt das wohl. Diese Sorten stammen oft aus denselben Elternlinien, bringen allesamt bei entsprechender Pflege grosse Schautrauben (für hiesige Märkte zu gross), auch auf die Beerengrösse wird grosser Wert gelegt, egal welche Nachteile damit einhergehen. Inhaltlich bleibt es bei möglichst süsser, plumper Langeweile - es sind Blender und Sattmacher ohne innere Werte. Weniger störende Kerne haben dagegen keinen hohen Stellenwert. Blaue Sorten dürfen dort keine Gerbstoffe in der Schale haben. US-Züchter sind da ganz andere Wege gegangen, die auch sehr gut bei kommerziellen Anbauern in Südeuropa ankommen und den Markt abräumen. Beispielhaft ist der Erfolg von Sugrasixteen/Sable von Sunworld mit ihren tropischen und intensiven Aromen, der Kernlosigkeit, der Haltbarkeit, der idealen Trauben- und Beerengrösse.


Hintergrundinformationen zum Standort

Sie wächst auf schwierigem, trockenen Boden nahe an einer Garagenwand. Ein Teil ist unter dem Dachüberstand, ein Teil nicht. Weinbauklima mit Spätfrösten und heissen Sommern, geringe Niederschläge.

Freitag, 16. Oktober 2020

Popkornmais, der auch poppt

Perfekt gepopptes Popkorn aus Mais
diesjähriger Ernte, Sorte Kremgolyo
In unserem Aussengarten beflanzen wir seit Jahren eine wechselnde 20qm - Fläche mit Popkornmais. Mais ist eine günstige extensive Kultur für einen Garten, bei dem man nicht ständig vorbeikommen kann um lange Pflegearbeiten durchzuführen. Pflanzen im Mai, vergessen, wenig tun, dann ernten im Oktober. Unkraut wird ganz gut unterdrückt, je nach dem wie dicht man pflanzt. Geht etwas schief, wird er nicht reif, hat man zu viel, können wir den Mais auch an Hühner verfüttern, verwertet wird er auf jeden Fall.


Sorte und Wachstum

 

Popkornmaispflanzen, knapp erntereif

Die Hauptsorte war "Kremgolyo", das ist eine alte samenfeste Popkornmaissorte ohne Sortenschutz, preisgünstig, robust. Sie reift im Gegensatz zu F1-Hybriden ungleichmässig, auch die Pflanzen fallen unterschiedlich aus. In normalen Jahren kann sie sehr hoch werden, ich hatte schon 3m hohe Pflanzen. Dieses Jahr schaffte sie keine 2m, der knochentrockene Sommer und ein später Start wegen kalter Mainächte verhinderte gutes Wachstum. Einige Kolben reiften auch nicht ganz aus, das kalte und dann extrem trockenheisse Wetter verzögerte das Wachstum. Popkornsorten mit normalen Erträgen reifen ohnehin oft sehr spät. Die Reife erkennt man an den gelben werdenden Hüllblättern der Kolben. Das ist der Zeitpunkt, ab dem auch die Vögel beginnen, die Kolbenhüllblätter von oben her aufzureissen und die Kolben abzuräubern. Frühreifende Sorten gibt es, aber sie haben geringere Erträge, oft sogar nur lächerlich gering. Dann sind nur kleine, einzelne Kolben an kleinen Pflanzen mit sehr kleinen Maiskörnern zu finden.

Popkorn aus dunkler Maissorte

Einige Popkornmaissorten sind bunt. Es gibt Popkornsorten mit grünen, roten, schwarzen, weissen, natürlich gelben und farblich bunt gemischten Körnern an den Kolben. Damit kommt noch eine weitere Verwendung hinzu: Als Ziermais zur Dekoration: https://gartenzone.blogspot.com/2018/11/im-farbenrausch-des-popcornmais.html

 

Warum poppt das Zeug nicht?

 

Geröstet, teilweise aufgeplatzt, aber nicht gepoppt

Doch eine Sache war sehr unberechenbar: Der Mais poppte mal sehr gut, mal gar nicht. Mir war nicht klar, woran es lag, dass ganze Ernten Maiskörner ergaben, die entgegen der Sortenbeschreibungen nicht poppten. Lag es an den Sorten, die nichts taugen? Waren sie zu unreif geerntet, nicht richtig ausgereift? Oder zu reif, zu lange an der Pflanze gelassen? Vielleicht falsch gelagert? Falsches Wetter, an Wetterextremen herrscht ja die letzten Jahre kein Mangel? Doch dieses Jahr kamen einige neue Erkenntnisse dazu, nun ist mir zumindest klar geworden, wann der Popkornmais poppt und wann nicht. Den zu erwartenden Poperfolg sieht man nämlich schon sehr gut, wenn die Körner noch am Kolben stecken.

 

Wann poppt Mais?

 

Opak, unreif - poppt nicht!

Zunächst ein Exkurs zur Frage, warum Popkornmais überhaupt poppt. Maisarten für verschiedene Zwecke gibt es viele, der Popmais gehört zur Varietät Zea mays convar. microsperma. Röstmais (der nur aufplatzt wenn man ihn erhitzt, aber nicht richtig poppt) und Gemüsemais ist Zea mays convar. amylacea, Zuckermais ist sacharata, für Polenta geeigneter Mais ist ein Hartmais, indurata, Mais für die kleinen Babymaiskolben ist microsperma, dann gibt es noch den stärkereichen, gut klebenden Mais für Tortillas, Mais mit speziellen Körnerformen (z.B. convar. dentiformis). Es gibt noch viel mehr Variationen. Popkornmais ist ein Hartmais, der aber trotz glasig hartem Korn einen Kern mit erhöhtem Wassergehalt behält. Werden die Körner erhitzt, verdampft das Wasser im Kern, Druck baut sich auf, weil der Dampf nicht durch den sehr harten äusseren Kornbereich entweichen kann. Wird der Druck schliesslich zu gross, poppt der Mais: Der steigende Dampfdruck im Kern sprengt die Schale schlagartig, dehnt und entspannt das Korn damit. Die Stärke schäumt auf, die Popkornflocke entsteht. Popkorn ist ein Extrudat wie Erdnussflips, aber eines das sich selbst von innen heraus herstellt, während Erdnussflips unter hohem künstlichem Druck durch eine Düse in einen Niederdruckbereich hinein gepresst werden müssen.

 

Hinsehen!

 

Und nun kommts: Ob der Popkormais die wichtigste Voraussetzung hat, die ihn poppen lässt, kann man bei genauem Hinsehen vorher erkennen. Die Körner müssen hart, glasig und grösstenteils durchsichtig erscheinen, dann ist er reif. In der Mitte der Körner muss aber auch eine wolkige, opake (undurchsichtige) Zone zu sehen sein. Das ist der Bereich mit erhöhtem Wassergehalt und den kann man in Form innerer Eintrübungen sehen:

Maiskolben mit Popkornmais im Idealzustand. Körner aussen hart, innnen mit Wasser.

Oberster Kolben gut, die Anderen nicht

Ohne das Wasser im Inneren kein Dampf und kein Druck und kein Pop. Wird der Mais zu lange oder falsch gelagert, können die Körner mit der Zeit ganz austrocknen, dann poppt er immer schlechter. Unreif ist er ganz opak, undurchsichtig. Ist er nicht ganz reif geworden, wird er zwar durchsichtig, aber das Korn beibt zu weich. Eine Nachtrocknung hilft manchmal, manchmal nicht - ausprobieren. Ist er in einem heissen und trockenen Jahr lange an der Pflanze verblieben, poppt er auch nicht, das ist mir wie gesagt schon passiert. Die Körner sehen dann durchgängig glasig aus, ohne oder mit schwachem Wolkenkern. Mitverantwortlich ist dafür Trockenstress beim Wachstum. Es findet eine Notreife statt, er trocknet am Kolben, kein Wasser bleibt im Kern der Körner. Gelbe und andere hellfarbige Maissorten sind für die Pop-Prognose im Vorteil, dort herrscht bessere Sicht auf den Kern, an dunkelfarbigen Sorten kann man den opaken Kern schlecht erkennen.

Früher Kälte- und Trockenstress

Ein Versuch, ganz glasig gewordene Körner zu verjüngen, schlug leider fehl. Ich habe sie in viele Wochen in einem feuchten Raum gelagert, aber ihre Popfähigkeit erhöhte sich nicht wieder. Wenn dieser Mais wieder Wasser aufnimmt, dann offensichtlich nicht im Inneren. Der optimale Zustand mit wasserreichem Kern und hartem Aussenbereich ist wohl kaum wieder herzustellen. Manchmal ist er noch als Röstmais zu verwenden, ansonsten nur noch mühsam mit einem Stahlmahlwerk geschrotet zum Brei kochen. Für Getreidemühlen mit Steinmahlwerk ist er zu hart.

 

Im Garten

 

Gesunde Einzelpflanzen Popkornmais

Noch einige gartenbauliche Tips: Dieselbe Sorte (Kremgolyo) wurde im Hausgarten drei Wochen früher reif und setzt deutlich mehr an, weil ich dort gelegentlich bewässern konnte. Die reifen Maiskörner poppten im heissen Topf mit etwas Öl bereits gleich nach der Ernte zu 100%, kein einziges Korn blieb ungepoppt. Im Aussengarten ohne Zusatzwasser lief alles schlechter, mehr unreif gebliebene Kolben, weniger Ertrag, obwohl dort der Boden besser war. Mais ist zwar generell ziemlich trockenverträglich, aber das hat insbesondere bei Popkornmais Grenzen. Wenn es nicht klappt mit dem Poppen: Zuerst mal die Anbaubedingungen verbessern. Vorkultur ab April zur Ernteverfrühung, auspflanzen im Mai, Wasser geben bei Trockenheit, ganz ausreifen lassen.

Frohes poppen!

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Tafeltraubentest: Sorte Straschinski

Straschinski-Beeren können gross werden

An einer trockenwarmen Stelle vor einer Wand habe ich eine Tafeltraube, die eine echte Show sein kann: Die Sorte nennt sich "Straschinski". Sie stammt aus Moldavien. Über ihre Eltern habe ich wenig gefunden. Sie macht aber stark den Eindruck, als wäre ein Elternteil die Sorte Alphonse Lavallée gewesen, der sie in einigen Punkten ziemlich ähnelt. Das ist aber nicht der Fall: Für Straschinski wurde Muskat St. Vallier  mit einem Pollengemisch aus Druschba x Katta Kurgan x Dodrelyabi gekreuzt. Letztere sind Sorten, die in Georgien und weiter östlich vorkommen.

In Deutschland wird Straschinski zwar von einigen Rebenverkäufern angeboten, aber sie ist nicht recht populär geworden, dafür ist die Anbaubreite der Sorte zu gering. Aber bei mir an einer geeigneten Stelle und mit Pflege liefert sie viele grosse, schöne Schautrauben, die ab Mitte September bis Mitte Oktober auch noch gut schmecken und ein paar Wochen lang erntefähig sind. Dafür muss man allerdings etwas tun. Straschinski ist mehr etwas für Liebhaber und vielleicht auch, um Nachbarn zu beeindrucken, weniger für "pflanzen, vergessen und ernten".

Zunächst die Kurzübersicht über ihre Eigenschaften:


Wuchs und Krankheiten

Verrieselt

Im Wuchs steht sie auf mittelstarkem Niveau, sie könnte auf besserem Boden aber auch stark wachsen. Das Wachstum hängt stark vom Fruchtbehang ab, bei viel Behang geht viel Kraft in die Beeren und weniger in Triebe. Neutriebe bleiben etwas dünner. Will man das Wachstum nach der Pflanzung fördern, sollte man in den ersten beiden Fruchtbehangsjahre stark ausdünnen. Trägt sie dann, ist man gut beraten, die Triebe anzubinden, denn die schweren Trauben sorgen vor allem bei böigem Wind für Abstürze. Die jungen Ranken halten nicht viel. Das Holz neigt zum verkahlen, Neutriebe an älteren Ranken werden unwillig gebildet.

Warme, geschützte und gut besonnte Standorte sind wichtig für Straschinski. Aroma und Reife bleiben unterentwickelt, wenn sie die Umgebungseigenschaften nicht hat. Sie bleibt dann gering süss, wirkt saftig aber leer. Auch an heissen Orten zeigt das Laub keine Hitzschäden, die Trauben nur sonnenseitig, wenn sie bereits blau sind und der prallen Sonne ausgesetzt waren. Das ist nicht schlechter wie andere blaue Traubensorten.

Ihre Anfälligkeit auf Krankheiten ist durchgängig mittelmässig. Da sie bei mir teilweise unter dem Dach steht, ist echter Mehltau ein deutlich grösseres Problem wie Peronosphora, so ist das auch bei anderen Sorten in geschützten warmen Lagen. Echter Mehltau ist ein Schönwetter- und Wärmepilz. Straschinski ist aber hinreichend robust, um nur selten Ernteausfall deswegen zu erleiden. Ein Befall findet zwar fast immer statt, aber erst so spät im Jahr dass er nicht mehr schadet. Günstig sind ein bis drei Behandlungen zur Blüte mit Backpulver, besser noch Kaliumbikarbonat. Wespenfrass, Stiellähme, vorzeitige Botrytis, damit gibt es ebenfalls keine überdurchschnittlichen Probleme.

Ein Problem ist -ebenfalls wie bei allen blauen Sorten- der verdammte Kirschessigfliegenimport. Wenigstens werden bevorzugt Beeren im unteren Teil der Traube abgestochen, die sind weicher und meistens sowieso weniger aromatisch. Und durch den lockeren Traubenaufbau sorgt eine schimmelnde Beere auch nicht gleich für verdorbene Trauben.

Vögel lieben die Sorte nicht sehr. Die Beeren sind zu gross und hängen zu fest am Stielgerüst. Kleinbeerige Sorten sind generell mehr vogelfrassgefährdet. Die Frostfestigkeit ist leider unterdurchschnittlich, weit absterbende Zweige normal, von einer Pflanzung in winterkalten Lagen ist abzuraten.

 

Ertrag und Pflege

Oben gut, unten
wegen Überlastung schlecht

Beides hängt bei Straschinski eng zusammen, denn Straschinski setzt ernorm viele Gescheine an und trägt sich zuverlässig zu Tode, wenn man nicht kräftig ausdünnt. Ausdünnen ist damit bei dieser Sorte absolut wesentlich, nicht nur um die Sorte nicht zu überlasten, sondern auch um Trauben in guter Qualität zu bekommen. Zu wenig ausgedünnte Stöcke zeigen folgende Effekte:

  • Die unteren Hälften der Trauben bleibt klein, weich und sauer, verschrumpeln manchmal sogar.
  • Der Zuckergehalt aller Beeren bleibt unterdurchschnittlich, alles schmeckt bestenfalls mässig süss.
  • Die Erntereife verzögert sich, dadurch gelingt die Zuckereinlagerung noch schlechter weil später im Jahr weniger Sonne herrscht.
  • Alle Beeren bleiben weicher. Nur nicht überlastete Pflanzen bringen feste, fleischige und grosse Beeren.
  • Das Aroma bleibt sehr schwach. Der Saft wird wässrig.
  • Die Frostfestigkeit des Holzes im Winter sinkt zusätzlich ab, es gibt mehr Frost- und Absterbeschäden. Grund: Mangelnde Holzreife.

Wie sollte man ausdünnen? Da Straschinski gerne sehr lange Trauben bildet deren untere Beeren ohnehin nachlassen oder stärker verrieseln, kann man schon zur Blütezeit lange Gescheine halbieren, die unter Hälfte abschneiden. Das hat auch den Vorteil, dass das Eintüten mit Organzabeuteln gegen Kirschessigfliege leichter gelingt und man nicht so grosse Beutel benötigt. Hat ein Trieb mehr als zwei Gescheine, sollte man alle Weiteren ganz abschneiden. Wartet man mit der Ausdünnung, bis die Beeren erbsengross sind, kann man aus dieser Grünlese noch Agrest herstellen.

 

Trauben und Beeren

Man sieht sofort, was der Hit bei Straschinski ist: Grosse, dicke Dinger. Ihre gut entwickelten Beeren erreichen 12 Gramm Einzelgewicht. Sie färben früh, benötigen dann aber noch lange bis sie Zucker haben und wirklich reif werden, man darf sich also nicht von der frühen Färbung täuschen lassen. Die grössten Beeren finden sich an kleinen, gut versorgten Trauben. Wer zuviel am Stock gelassen hat oder zu spät ausgedünnt oder zu schlechtes Wetter hatte, bekommt nur kleine, locker gewachsene Beeren. Auch die Trauben können gross werden. Das sieht mitunter prächtig aus, auch als Schautraube ist sie gut geeignet. Wie alle grossen Sorten tendiert sie zu Platzern bei Regen, aber auch bei dieser Eigenschaft hält sich das Problem in Grenzen, wenn man es mit anderen Sorten vergleicht, die so grosse Beeren bringen.

Halbierte Beeren mit Kernen

Reife Beeren ohne Überlastung haben eine gute, fleischige Konsistenz, die zu den Kernen hin weicher wird. Sie wirken dadurch nicht immer homogen im Mund, sondern wie eine breite Rinde mit flüssigem Inhalt. Die Haut ist knackig, ist sie es nicht dann hingen die Beeren zu lange oder der Stock war überlastet. 

Die Bestückung mit Kernen liegt etwas unter dem Durchschnitt. Durch die grossen Beeren wirkt sie zusätzlich kernärmer als sie eigentlich ist, weil das Verhältnis Kern / Beere günstiger ist - der Kerne machen in den grossen Beeren einen geringeren Prozentsatz aus wie das in kleinen Beeren der Fall wäre.

Straschinski an der Wand, ausgedünnt und trotzdem noch viel - und gesund
 

Inhaltsstoffe, Aroma und Verwendung

 
Gut behangene Stöcke an der Überlastungsgrenze bringen Beeren, die ab 60°OE Zuckergehalt schmecken und dann nicht mehr viel an Zucker zulegen. Überlastete Stöcke schaffen auch das nicht, da bleibt es bei 55° und wässrigen Beeren mit Gemüsearoma. Die Aromaeinstufung der Kurzübersicht oben sinkt dann auf 1-2. Bei guter Ausdünnung und mässigem Behang bekommt sie ab Mitte September 70°OE und wird erst dann richtig gut, der Reifebeginn kann sich aber auch noch bis Oktober hinziehen. Viel mehr Zucker erreicht sie aber auch dann nicht, sie hat enge Grenzen. Das Aroma wird in diesem guten Fall beerig, hat etwas von dem Stil der nichtverwandten Alphonse Lavallée. Die Schalen steuern nur wenig Gerbstoffe bei, obwohl sie sehr farbkräftig ist.
 
Diese Farbkraft und die Beerenstruktur machen sie auch zu einer guten Safttraube. Eine Maische lässt sich leicht herstellen und pressen. Sogar ohne Standzeit ergibt sich roter Saft, der angenehm schmeckt und einen nicht mit Süsse zuklebt, wie das bei Traubensäften oft der Fall ist. Wein daraus wäre aber zu schwachbrüstig. Aus Übermengen Saft herzustellen ist die ideale Zweitverwertung bei Straschinkski. Einmaischen, abpressen, sterilisieren, in Flaschen füllen.

Rosinenherstellung habe ich auch probiert, dafür die grossen Beeren entkernt. Das ist aufwendig, zu aufwendig. Das Ergebnis war gut, aber etwas sauerschmeckender wie erhofft. Kernlose, säurearme Sorten sind dafür einfach die erste Wahl.
Getrocknete Beeren von Straschinski. Die blaue Haut dunkelt, sieht fälschlicherweise verbrannt aus.

 

Hintergrundinformationen zum Standort

 
Sie steht bei mir auf der Südseite an einer Hauswand, teilweise Dachüberstand. In schlechtem Boden direkt am Haus, trocken, vermutlich Bauschutt im Untergrund, darum herum kalkiger schwerer Lehm. Milde Winter, aber manchmal harte Temperaturstürze. Früher Austrieb, deshalb immer Spätfrostgefahr. Pflanzenschutzmassnahmen gegen echten Mehltau.