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Dienstag, 26. März 2024

Schnecken im Garten: Garten-Wegschnecke Arion Hortensis gewinnt

Die beiden Hauptgewinnerarten: Kleine Gartenwegschnecke
und spanische Wegschnecke als Jungtier

Schnecken, Gärtners Lieblingsthema. Wahrscheinlich gibts kein einziges Gartenblog, Gartenforum, Gespräche über Nutzgärten, in denen das Thema Schnecken nie angesprochen wird. Gerade ist Pflanz- und Aussaatzeit, da schleimt es besonders hoch, auch bei mir. Reihen wir uns also ein in den Wirbel um die gefrässigen Gastropoden.

Aber keinen Rundumschlag. Vielmehr ist die Frage aktuell und interessant, was sich mit dem veränderten Wetter in Sachen Schnecken getan und verändert hat, wo die aktuellen Probleme liegen. Verändert hat sich nämlich durchaus sehr viel. Es gibt Gewinner, Verlierer und auch alte Probleme sind schwächer geworden, Neue sind entstanden. Im Zentrum soll die Art "Arion hortensis" stehen, die kleine Garten-Wegschnecke. Es gibt anhaltende Diskussionen um genaue Artabgrenzungen, manchmal wird Arion distinctus (gemeine Wegschnecke) dazugezählt und manchmal wird Arion hortensis in Unterarten aufgeteilt. Das soll nicht Thema sein, im folgenden wird von Garten-Wegschnecke die Rede sein, egal wie genau man die sowieso sehr ähnlichen Arten aufteilt. Dieses Viech ist nämlich Hauptgewinnerin, über Jahre hinweg immer häufiger geworden und hat am meisten vom veränderten Wettermuster profitiert. Die Populationsdichten stiegen jahrelang stetig und in den vergangenen Monaten hatte nicht nur ich einen einzigartigen Befallshöhepunkt erlebt, weil die winterliche Regenzeit besonders früh begann.


Arion hortensis, wer ist das?

Kleine Gartenwegschnecke, von oben
Kleine Gartenwegschnecke, von unten

Diese Schneckenart mit vollem Namen "kleine Garten-Wegschnecke" ist eine kleine schwarze bis graubraune Nacktschnecke, hat eine ins Orange gehende Sohle und bleibt damit von oben her farblich sehr gut getarnt. Die Art ist ausgesprochen klein, wenn sie kriecht und langgezogen ist, dann liegt sie bei 3, höchstens 4cm. Sie lebt vorwiegend unterirdisch und kommt gerne nach Regen an die Erdoberfläche. Je trockener der Boden, desto tiefer kriecht sie hinunter. Das kann sie sehr gut, denn sie ist klein und kann sich sehr schmal machen, schon ein winziger Regenwurmgang reicht ihr, grosse Schneckenarten schaffen das nicht. Gerne sitzt sie dann an unterirdischen Wurzelresten, wo noch Feuchtigkeit ist. Damit schadet sie auch Wurzelgemüse viel stärker wie andere Arten, auch in Kartoffelknollen frisst sie sich hinein. Unterirdisch ist sie nicht bekämpfbar. Ihr Riesenvorteil ist zudem, dass sie auf diese Weise auch lange Trockenphasen so gut übersteht und vor allem eines schafft: Sich 12 Monate im Jahr schnell zu vermehren, auch im Winter. Sie wird sofort aktiv, wenn die Temperaturen über Null Grad steigen. Und damit hat sie stark erweiterte Betätigungszeiträume bekommen, denn die Zahl der Frosttage hat sich mehr als halbiert und damit die Aktivitäts- und Vermehrungstage des Winterhalbjahres verdoppelt. Stattdessen ist der Winter zur Regenzeit geworden - die Schnecken jubilieren. Ihre Nahrungspflanzen sind dieselben wie die aller anderer Nacktschnecken. 

Schneckensex zwischen zwei Arion Hortensis. Es sind Zwitter, Jede legt Eier.


Warum ist sie ein Problem?

Petersilienwurzel, durchlöchert von Arion Hortensis

Kleine Schnecke, frisst nicht viel, könnte man denken. Von wegen, sie macht das mit hoher Populationsdichte und starker flächenmässiger Präsenz wieder wett. Sie ist überall. Auch durch Schneckenzäune kommt sie locker, ihre Bodengängigkeit hilft ihr dabei, sie bewegt sich wie gesagt auch unterirdisch. Nematoden auszubringen hilft bei dieser Art und auch bei der spanischen Wegschnecke nicht. 

Kartoffel und Arion Hortensis

Hauptproblem ist, dass sie im neuen Warmwinter so aktiv ist. Hinzu kommt, dass der Winter gleichzeitig eine immer wichtigere Anbauzeit geworden. Wenn die Schnecken nicht wären. Die Pflanzen wachsen langsam, in jeder milden Phase kommt die Gartenwegschnecke und gleich dazu auch die spanische Wegschnecke und wandert zu den Pflanzen. Winterblumenkohl, Winterrettiche, alle Wintersalatsorten, im Spätwinter ausgepflanzte und gekeimte Jungpflanzen, Kulturen die heute auch im Winter im Beet bleiben wie Teltower Rübchen, Wurzeln der gelben Rübe ab Herbst massiv, sie schlagen zu. Der hohe Besatz mit Arion Hortensis sorgt dann rund ums Jahr auch im Sommerhalbjahr für anhaltende Schäden, dann nicht nur ober-, sondern leider auch stark unterirdisch.


Was tun gegen die kleine Gartenwegschnecke?

So sitzen sie an Brettern

Eine wirkliche Lösung habe ich nicht gefunden, nur viele Dinge die nicht funktionieren und ein paar, die ein bisschen funktionieren.



  • Nematoden: Wirkungslos. Die sauteuren Produkte mit beispielsweise PH Nematoden (Phasmarhabditis californica) gegen Schnecken kann man sich sparen.
  • Schneckenzaun: Wenig Wirkung. Auch teuer und unbequem. Innerhalb des Zauns muss erst strikt bekämpft und dann stetig beobachtet und weiter bekämpft werden. Wirkt besser gegen grosse Arten.
  • Nützlinge: Eine Dauerlüge, die längst nur noch nervt weil sie jeder nachplappert, ohne zu wissen was er sagt. Wir haben nachweislich eine sehr hohe Igel- und Blindschleichendichte, trotzdem explodierte der Schneckenbesatz geradezu. Eine Wildkamera filmt ständig neben anderem Getier auch Igel und selbst wenn nach Regen die Schleimer offen über den Boden kriechen, laufen die Stacheltiere ausnahmslos daran vorbei. Jedenfalls an den heutigen echten Problemarten.
  • Pak Choi Jungpflanze
    Schneckenkorn half nicht
  • Schneckenkorn: "Ferramol" mit Eisen-III-phosphat ist praktisch wirkungslos ggen Arion Hortensis und gleichzeitig das teuerste Schneckenkorn, bezogen auf die empfohlene Aufwandsmenge pro Quadratmeter. Profis verwenden es nicht. Tönnchenförmiges Schneckenkorn mit Metaldehyd (=Trockenspiritus wie in "Esbit") wirkt mässig bis schlecht. Produkte mit kleinerem Granulat (z.B. "Schneckenlinsen") wirken mässig. Die Aufwandsmenge pro Quadratmeter ist identisch, aber das feinere Granulat wird dichter gestreut, so dass die winzigen Gartenwegschnecken es leichter finden. Trotzdem dünn streuen und zwar nur direkt nach Regenende. Dann aber konsequent, bevorzugt Abends.
    Generell sind diese Präparate aber viel schlechter als man hofft. Da Stück für Stück alles verboten wird, wurde vor zwei Jahren der Metaldehydgehalt per Vorschrift ganz kräftig abgesenkt, der beträgt jetzt noch 25g/kg, die Landwirte können weiterhin welches mit 59,1 g/kg Metaldehyd nehmen, weil ja schliesslich ins kommerziellen Beet keine Nützlinge gehen (Vorsicht, Ironie). Wir sollen also wie immer lieber mit Hilfe der Maximaldröhnung angebaute Produkte kaufen statt selber anbauen. Solange daran verdient wird (weniger der Anbauer verdient, mehr der Staat über Steuern und der Schneckenkornhersteller sowie Händler), ist eben alles besser. Achja, logisch: Selbstverständlich wurde das schwächere Schneckenkorn teurer, nicht billiger.
  • Unter Holz im Winter, kein Ausnahmebild.
    Die sauberste, wenn auch nicht müheärmste Methode sind Holzbretter. Alle Arten, aber ganz besonders die Gartenwegschnecke lieben glattes, feuchtes Holz, um dort drunter bei Trockenheit zu ruhen. Meine Wege zwischen den Beeten sind nicht zuletzt deshalb mit simplen, locker aufgelegten Brettern realisiert: Glattkantbretter, Fassadenholzbretter, Schalbretter, breite Holzlatten. Etwas Patina wirkt besonders anziehend, weil sie Mulm und zusätzlich Feuchtigkeit schafft. Man geht durch den Garten, dreht die Bretter um und beseitigt die daran haftenden Schnecken, guckt sich dann noch den Boden unter der Auflagefläche an. Ich habe im gesamten "Winter" regelmässig Bretter mit -zig Schnecken drunter gefunden. Wenn ich das alle zwei Tage und bei feuchter Witterung täglich mache, pendelt sich die Fundrate auf täglich ein bis drei Schnecken pro Meter Brett ein. Besonders die Zonen Richtung Nachbargrundstücke sind wichtig, auf denen nichts bekämpft wird. Von dort wandern sie stetig ein und verstärken die sowieso schon überall vorhandene Population.
  • Vorhanden und gut getarnt
  • Kombinationsmethoden waren mal gut, heute nicht mehr richtig. Typisches Beispiel: Schneckenkorn unter Holzbrett. Damit verhindert man auch, dass Schneckenkorn von anderen Tieren direkt oder indirekt aufgenommen wird, ähnlich wie Köderboxen mit grössenbegrenztem Zugang. Nur Nacktschnecken, die sich bevorzugt unter die Bretter verkriechen können kommen damit in Berührung, keine grossen Schneckenarten, keine Gehäuseschnecken, keine anderen Tiere. Diese Methode wurde uns durch die erzwungene Wirkstoffabsenkung leider versaut. Unter dem Brett ist es dauerfeucht, die Schnecken überleben dann das schwach wirkende Schneckenkorn mittlerweile oft, bleiben nur eine Zeitlang inaktiv und machen irgendwann einfach weiter. So führt in der Praxis die verordnete Wirkstoffverdünnung sogar dazu, dass wieder mehr unerwünschte Beifänge entstehen, weil man das neue schwache Zeug nun erst recht flächig und stärker ausstreut, damit es überhaupt Wirkung zeigt.

 

Andere Arten

Junge spanische Wegschnecken, Arion vulgaris.
Alt werden sie ziegelrot.

Auch die bereits genannte spanische Wegschnecke (Arion vulgaris, jung meist gelbbäunlich, nicht immer von der Gemeinen Wegschnecke Arion distinctus zu unterschieden) profitiert vom neuen Wetter, aber sie vermehrt sich nach wie vor weniger im Winter, sondern erst wieder ab Ende Februar. Dann aber auch heftig. Die Kleine Wegschnecke (Arion intermedius) blieb wie sie war häufig, alle anderen Arten haben abgenommen, etwa schwarze und andere Schnegel, Weinbergschnecken, Schnirkelschnecken. Alle diese Arten leiden eher durch die langen, heissen Trockenphasen und können das in der Winterregenzeit nicht ausgleichen. Weinbergschnecken sind deshalb nicht nur im Garten, sondern auch auf meinen Obstwiesen zur Seltenheit geworden, obwohl sie vorher dort häufig waren. Die grossen Schnegel haben ebenfalls Seltenheitswert, nur im Wald sind sie noch häufig.

Donnerstag, 4. Januar 2024

Der Biber erntet Obst, Schutz dagegen

Mahlzeit, Herr oder Frau Biber

Biber haben wir in der Gegend nach einer Pause schon seit Jahrzehnten wieder, obwohl es gar nicht so viel Raum für sie gibt. An den Flüssen hat er sich sehr schnell wieder ausgebreitet. Bäche und andere Oberflächengewässer gibt es in der Gegend jedoch nicht so viele und wenn, dann liegen die lange oder sogar den grössten Teil des Jahres trocken. Hier im Muschelkalkgebiet versickert sehr viel und sehr tief in den Untergrund. Das ist keine Biberfreude, denn bei trockenfallendem Gewässer sind vor allem seine Jungtiere ungeschützt und können Beute von Mardern, Füchsen, Greifvögeln werden. Auch die Gehölzzonen an den Trockenbächen bleiben eher klein, es gibt wenig vernässte Zonen, keinen Sumpf, keinen Bruch, damit hat er weniger Nahrungspflanzen.

Dieses fette Nagetier frisst Rinde lebender Gehölze, bedient sich aber auch opportunistisch an landwirtschaftlichen Kulturen wie Mais. Man kann lange Listen mit positiven und eben auch negative Folgen herableiern, Vorteile wie Konflikte. Optisch sofort jedem Menschen auffallend ist: Wo es auftaucht, sterben Bäume. Ganz besonders Apfelbäume. Diese Eigenart des Apfelvorzugs konnte ich schon länger an wassernahen Grundstücken beobachten und nun habe ich sie auf der eigenen Wiese erlebt: Ein Biber hat mir eine mittelalte Renette weitgehend abgefressen. Er verwertet diesen Obstbaum auf seine Weise.


 "Mein" Biber mit der Wildkamera. Frisst Geäst wie Spaghetti.

 

Der Biber räumt auf bzw. ab

Mein Apfel - geerntet vom Biber.
Art und Höhe deuten auf ein Jungtier hin.

Ärgerlich. Aber was das Ereignis so unerwartet macht, ist der Ort, die Wiese liegt nämlich nur an einem Graben, der den grössten Teil des Jahres knochentrocken ist. Trotz langjährigen Biberrevieren am Fluss gab an diesem Graben niemals Biber. Deshalb hatte ich mich auch auf solche Schäden nur zu 90% und nicht zu zu 100% vorbereitet. Von den 20 Bäumen dort sind 15 recht gut mit Drahthosen oder Manschetten geschützt, vor allem weil auch schwere Fegeschäden durch Wild stattfinden. Grössere Stämme weiter weg vom Bach sind nicht mehr geschützt. Wild fegt nur an dünneren Stämmen. Nachdem schon Draht eingewachsen ist und die Befürchtung aufkam, damit auch der Waschbärenpest eine Kletterhilfe zum Obst hoch zu bieten, fehlen sie an den dickeren Stämmen abseits vom immer schon biberfreien Graben.

Nun fanden aber zum ersten Mal seit 21 Jahren wieder über drei Monate anhaltende Regenfälle von Herbst bis jetzt statt. Der Graben führte schon im Frühherbst plötzlich Wasser und das seither ständig, weil es ausnahmsweise fast täglich regnete. Das fliessende Wasser verführte Jungbiber, sofort einzuwandern und auch sogleich Obstbäume zu "ernten". Bei meinem Apfel zeigte sich auch eine weitere Spezialität: Der stand gar nicht am Bach, sondern ein Stück den Hang rauf. Ungeschützt im Bach standen eine Birne und zwei Steinobstbäume. Und hunderte grosse und kleine Gehölze aller Art. Da musste er direkt vorbei, aber die hat er nicht angerührt. Der Apfel musste es sein. Nur den hat er abgenagt. Dafür nimmt er auch unbequeme Wege in Kauf. Ein Verhalten, das ich auch auf den Wiesen andernorts sehen konnte, wo der Biber sowieso schon in angrenzenden Gewässern lebt: Apfel wird ganz klar bevorzugt. Er frisst Rinden und alle Hölzer, aber eben am liebsten Apfel. Und dafür watschelt er auch einen Hang hinauf, an Weide, Birne, Erle, Zwetschge vorbei.

Des Jungbibers Fussabdrücke, Hinterpfoten gross, Vorderpfoten klein
 

Was tun gegen Biber am Obstbaum?

Vorbeugen. Im Internet gibt es viele Beispiele für einen Stammschutz. Hier in der Gegend werden Estrichmatten als Stammschutz empfohlen, eine Art Armierungsgitter. An dem 2mm dicken verzinkten Stahl verliert selbst ein Biber die Nagelust. Die Matten werden rund gebogen und um die Stämme befestigt, am Boden verankert damit der Biber sie nicht einfach hochschiebt. Zusammenbinden kann man die gebogenen Matten mit Kabelbindern oder Draht.

Das ist nicht teuer. Die Naturschutzbehörde und der hiesige Wasserbauhof halten sogar solche Matten vor, sodass sie schnell bei Biberproblemen zur Verfügung stehen und so erhaltenswerte Bäume geschützt werden können. Das ist eine optimale Lösung, und ein gutes Beispiel für unbürokratische Problemlösung die wirklich etwas bringt, vorausgesetzt man weiss das und gerät gleich an die richtigen Ansprechpartner. Was nun jeder Leser dieses Beitrages auch versuchen kann, wenn er Obst an Wasserläufen hat, an denen Bibereinwanderung droht oder schon erste Schäden an Obstbäumen da sind und es deshalb eilig ist.

Estrichmatten. Leicht und biegsam, trotzdem sehr robust. Wenn man sie parat hat.

Zwei geschützte Bäume, jung und mittelalt. Unten der Graben, der Bütten"bach".


Was bleibt? 

Eindeutige Biberfraßspuren an Schnittgut. Er ist da.

Der Biber vermutlich nicht. Im wieder trockenen Graben wird er sicher die Lust verlieren, weil er monatelang auf dem Trockenen sitzen wird. Vorher soll er gefälligst noch was arbeiten. Ich habe Schnittgut vom Obstbaumschnitt in den Graben geworfen, vielleicht kriegt er dann Lust dazu. Angenagt hat er die Äste bereits, er ist also weiterhin präsent und betrachtet das als sein Revier. Ein Damm wäre perfekt. Der Graben hat nämlich das Problem, dass er wie eine Regenrinne bei Gewittern kurz und heftig Wasser führt, weil an seinem Oberlauf Quadratkilometerweise Flächen mit gigantischen Grosslagern und noch gigantischeren LKW-Aufmarschplätzen mit mies bezahlten Billigarbeitsplätzen zubetoniert wurden. Aus dieser konsequent vernichteten Landschaft fliesst Regenwasser sofort und heftig ab und überflutet auch extra angelegte Stauräume (auch wieder auf bestem Boden) schnell. Auf Asphalt, Beton und Blech versickert nun mal nichts, die Flächen unter all den Betongrabsteinen fallen als natürliche Speicher für Wasser aus, die sie vorher waren. Angesichts der ungünstigen Wetterveränderungen obendrauf ist das doppelt folgenreich.


Eine der vielen Folgen: Der Graben frisst sich deshalb metertief ein, Erosion nimmt die gute Erde mit, dann wieder monatelang staubtrocken und tot. Das stört dann keinen Bürgermeister und keinen Gemeinderat mehr, die vorher bestes Land planmässig und billig vernichten liessen. Ein Bekannter sagte dazu "das Schmiergeld ist schon kassiert, wie es weitergeht ist dann egal". So hätte ich das nicht gesagt, aber die Blindheit gegenüber unseren natürlichen Grundlagen zugunsten künstlich herbeigeredeter Sachzwänge und sehr kurzfristigem Denken ist eine Tatsache. Es herrscht rein quantitatives Wachstum bei qualitativem Zusammenbruch. Vielleicht lässt sich der Biber wenigstens an diesem Graben als Helfer einspannen und er baut noch einen Damm dort, bevor er wegen Trockenheit die Lust verliert - Dämme wären genau richtig gegen solche Wasserstürze, wenigstens auf ein paar Abschnitten. Ich helfe ihm jedenfalls dabei mit Schnittholz. Noch lieber wären mir Beton-Biber, die die nahen Betongrossprojekte zu Fall bringen.

"Biberrutsche". Sein Aufgang vom Bach zur Wiese.
Abdrücke seiner hinteren Watschelpfoten mit Schwimmhaut und Krallen sind zu sehen.

Hinterpfote, auch Schwimmhaut ist zu erkennen.

Apfel mit restlicher Drahthose, die zu klein wurde.
Der Biber frisst jede erreichbare Rinde. Andere Baumarten in der Nähe blieben alle unberührt.

 

Donnerstag, 28. Dezember 2023

Chinakohl verstrickt sich im Netz

Chinakohl unter Gemüsenetz

Chinakohl war hier im Blog vor allem in den Beiträgen "Fehlschläge des Jahres" ein Star. Das lag und liegt am grundlegend neuen Wetter, das sehr viele Probleme speziell für alle Kohlsorten mit sich brachte, was in diesem Beiträgen oft zur Sprache kommt. Alles war dabei: Am schlimmsten sind mehr und neue Schädlinge, dann schiessende Köpfe Dank Wetterextremen, mehr Pilzkrankheiten die früher keine Rolle spielten, schwaches Wachstum oder gar kein Wachstum wegen anhaltender Hitze.

Trotzdem: Aufgegeben wird nicht. Ich liebe Chinakohl und Kapitulation kommt nicht in Frage. Chinakohl verwende ich am liebsten für Kimchi, dafür braucht man richtig grosse Mengen. Auch sonst ist er vielseitig und beliebt, für Salate, Bratgemüse, auf belegten Broten, in Pfannkuchen... wirklich aufgegeben habe ich nur den Frühjahrsanbau, der ist so ziemlich chancenlos geworden. Er braucht ein mildes, feuchtes Frühjahr. Heute herrscht in der Regel schon im April knochentrockene anhaltende Hitze samt sehr früh aktiven Schädlingen, dann doch wieder Frost im Mai, er schiesst dann zuverlässig. Wenn, dann Anbau im Herbst.

Typisches oberirdisches Schadbild von Kohlfliegen

Der neueste Verbesserungsversuch lief mittels Gemüsenetz. Sowas habe ich schon früher gelegentlich an anderen Kulturen probiert, bin aber nie richtig warm damit geworden. Es war umständlich, brachte andere Probleme mit sich. Nun also Chinakohl. Meine Hoffnung war, dass sich die Versprechungen der Verkäufer bewahrheiten:

  • Kein Zuflug von Kohlfliegen. Fatale Schädlinge, die sehr häufig geworden sind. Sie bringen Kohlgemüse zum welken. Die heute normale trockenwarme Witterung ist ein Turbo für sie. Sie fressen Wurzeln, bohren sich von unten in die weissen Blattrippen, wo die Würmer Frassgänge und dann Fäulnis verursachen.
  • Kein Zuflug all der vielen Falter, deren Raupen sich gnadenlos durch die Blätter fressen. Das sind Kohleulen, Wintersaateule, Gemüseeule, Hausmutter, Kohlweisslinge.
  • Kein Zuflug der vielen anderen Schädlinge wie Kohldreherzmücke oder Kohlmotte. Die Drehherzmücke hat sich die letzten Jahre sehr stark ausgebreitet, früher war sie nur im Süden nennenswert vorhanden, jetzt jedes Jahr flächendeckend und stark.
  • Kein Zuwandern von Schnecken und der extrem gewordenen Kohlerdflöhen. Nur, was schon unterm Netz ist, kann dem Chinakohl noch schaden.
Chinakohl Vorkultur in Pflanzplatte

Gehofft, getan. Die Vorkultur auf dem ausgewählten Beet war Kartoffeln. Boden vorbereitet im Juli, Chinakohlpflanzen in einer Pflanzplatte vorgezogen, Sorte Emiko (früher schon die Sorten Granaat, Parkin, Cantoner, Kilakin, Scarlette rot, One Kilo als Lieblingssorte gehabt). Schneckenbekämpfung, Auspflanzung diesmal Anfang August, dann sofort ein Gemüsenetz installiert. Dafür habe ich Holzlatten mit etwas angerundeten Kanten (damit das teure Netz nicht beschädigt wird) als Abstandhalter in den Boden gesteckt und das Netz in 40cm Höhe darübergezogen. Überstehende Ränder eingerollt und entweder leicht in Erde eingegraben oder mit einer langen, steinbeschwerten Holzlatte am Boden fixiert. Diese Konstruktion hat sich bewährt, kein Sturm und kein Ereignis hat sie umgeworfen. Die Lattenfixierung ist wichtig, wie sich herausstellte, dann man muss doch wieder öfters das Beet öffnen und wieder schliessen. Die Latten sind dafür günstig, sie drücken das Netz plan an den Boden, man kann sie aber auch abheben und dann das Netz an dieser Seite öffnen. Eine Seite habe ich gehäufelt, das Netz etwas eingegraben. Das Netz blieb bis kurz Vor der letzten Ernte Ende November auf den Pflanzen. Als Vorteile zeigten sich:

Fast erntereif unter dem Netz
  • 60% der Problemschädlingsarten blieben tatsächlich draussen. Das waren Kohldreherzmücken, Kohlfliegen, einige Raupenarten. Bei Kohlerdflöhen war nichts zu beweisen, weil die Auspflanzung so spät passierte, dass die schon weg waren. Vor allem die Abwehr von Kohlfliegen war sehr günstig für den Chinakohl.
  • Das Netz war auch ein Schutz gegen die marodierenden Tauben, die mir hier zuverlässig und ganzjährig Jungpflanzen, vor allem alle Kohl- und Salatarten zerhacken und vernichten. Deswegen muss ich sowieso stark mit Vogelschutznetzen arbeiten. Die sind zwar einfacher zu handhaben, aber das erledigt das Gemüsenetz auch gleich mit.
  • Auch gegen Hagel war das Netz ein erstklassiger Schutz.

 

Und sogleich die Nachteile:

  • Trotzdem raupenzerfressen bis ins Innere...
    Schnecken bleiben nicht draussen. Die kleine schwarze Gartenschnecke Arion Hortensis kam durch den Boden, sie ist ohnehin der schlimmste Schleimer im Garten. Das Netz hielt auch ihre Fressfeinde wie Igel oder Blindschleichen draussen. Man sieht durch das Netz zudem erst spät, oft zu spät die Frassschäden. Dann muss man sofort aufdecken und Schnecken bekämpfen.
  • Erdraupen bleiben nicht draussen. Sie kamen erst mit der Zeit und überraschten mich, weil es lange gut ging. Ich rechnete nicht mehr mit Ärger und bemerkte bedingt durch die schlechte Sicht durch das Netz nicht, dass sie bereits Riesenschäden beim Chinakohl angerichtet hatten. Sie frassen sich tief in die Köpfe. Offenbar kriechen sie auch durch die Erde zu Wirtspflanzen.
  • Erdraupe auf frischer Tat
    Die Luftfeuchte war unter dem Netz grösser, was verstärkten Befall mit Pilz- und Bakterienkrankheiten zur Folge hatte, vor allem Ringfleckenkrankheit (Neopseudocercosporella brassicae), aber auch Phoma, Nassfäule. Ich hatte zur Kontrolle dieselben Sorten auch ausserhalb des Netzes und sie blieben bei diesen Krankheiten deutlich gesünder. Auch Regenwürmer nisteten sich stärker zwischen den Blättern ein. Sie fressen zwar den Chinakohl nicht, aber verschmutzen ihn innen.
  • Nicht alles schön unterm Netz
    Netz rauf, Netz runter. Ein weiterer Daueraufwand entsteht. Denn auch unter dem Netz vermehrt sich Unkraut sehr gerne, man muss genau nachsehen was sich an und in den Köpfen tummelt und schliesslich will man auch mal etwas ernten. Die Zeremonie, das Netz abzuziehen und dann wieder dicht hinzupfriemeln gefiel nicht. Wann gibts solche Netze mit Reissverschluss?
  • Das Beet muss sich in Forum und Grösse an das Netz anpassen. Zu kurz geht nicht, Lücken aus Netzabschnitten gehen nicht. Damit ist man unflexibler. Schneidet man sich das Netz zurecht, hat mal bald nur noch Teilstücke, die im Folgejahr noch weniger nutzbar sind.
  • All das Material kostet Geld. Viel Geld, denn das Netz ist nicht billig. In 8 von 12 Monaten des Jahres muss es irgendwo aufbewahrt werden, braucht also auch unbenutzt Platz. Man muss es reinigen, rollen (es lässt sich kaum falten), Rolle zubinden...
Etwas mickrig, aber so soll er sein
nach Entfernen der Umblätter

Fazit: Die Ernte verwertbarer Chinakohlköpfe war etwas besser, aber nicht gut. Das Netz ist ein Schritt voran, aber Nachteile sind ebenfalls vorhanden und so deutlich, dass man nicht auf Anhieb "ja" zu seinem Einsatz sagen kann. Am meisten nervt mich, dass man immer mehr Zeugs, Krempel, Massnahmen, Material, Einkäufe braucht, um Dinge wieder etwas besser (aber nicht mal gut) wachsen zu lassen, die früher leichter gingen. Wie beim Obst: Irgendwann geht das alles ur noch in steriler, künstlicher Vollschutzumgebung. Beispiel Erdbeeren: Erst das Erdbeerfeld, dann wird künstliche Bewässerung nötig, dann vom Feld in den Folientunnel, dann in die Stellagen, dann in die geschlossenen Stellagen. Und dann? Zellkulturen aus dem Bioreaktor, essfertig zurechtgeschnitten?

Nassfäule unterm Netz. Ohne Netz nicht.

Sehr grosser Blattverlust durch die Raupen. Viele Blätter sind nur noch Hühnerfutter. Die Raupen sowieso.

Samstag, 28. Mai 2022

Kohlpflanzen und Tauben

Taube: Erst sichten, dann fressen

Kohlarten haben es wahrlich nicht mehr leicht. Früher war das ein absolutes Standardgemüse, kein Garten ohne Kohlrabi, Kraut, Rettich, Blumenkohl. Eine sichere Miete. Später kam noch Chinakohl, Broccoli, Blattkohl und weitere Arten dazu. Aber schon seit Jahren geht es generell abwärts mit dem Anbauerfolg, der Nutzgärtner bekommt nur immer mehr Ärger, aber keine Erträge mehr. Auch hier im Blog wurde das schon oft thematisiert. Die zum Standard gewordenen langen, extremen Trocken- und Hitzephasen wirken sich besonders katastrophal auf viele Kohlarten aus. Schädlinge profitieren auch stark davon. Selbst robuste Arten haben zunehmend mit Problemen zu tun. Das bekommen auch die Profis zu spüren. Hier in der Gegend gibt es etwas professionellen Krautanbau, ohne Dauerbewässerung (häufig noch Überkopfberegnung) und erschreckend viel Pflanzenschutzmitteln geht da gar nichts mehr.

Starke Hitze und tiefe Kälte = Geschossen

Dieses Jahr sind auch bei mir wieder einige frühe Kulturen sofort gescheitert. Pak Choi wurde ein Opfer der Hitzeperiode mit über 30°C im April und Anfang Mai, dazu noch eiskalte Nächte. Das führt zu Vernalisation. Die Pflanze stellt aufgrund von Temperaturstress das Wachstum ein, bildet keine neuen Blätter und fängt an zu blühen. Nichts mehr zu ernten. Auch andere Arten gingen hops. Frühlingsrettiche wurden wie sehr oft schnelle Opfer der Kohlerdflöhe und und schliesslich vernichteten Kohldrehherzmücken Teile des Kohlrabis. Dabei hatte ich Jungpflanzen extra im Haus vorgezogen, um frühe Schäden zu vermeiden.

Zuerst die jungen Blätter, dann die Alten

Und es kommen immer neue Malaisen dazu. Letztes Jahr wurden plötzlich Blätter sämtlicher Kohlarten (ausser Rettichen) skelettiert. Raupen? Schnecken? Nichts war zu sehen. Auch keine Schleimspuren, Was ist das nur? Vor allem junge Blätter wurden abgefressen, wenn die weg waren kamen ältere Blätter dran. Und Jungpflanzen wurden herausgerissen. Kohlrabi, Blumenkohl, Broccoli, Weisskraut - alles vernichtet. Ein versuchsweise aufgelegtes Schutznetz stoppte das, es waren also keine sehr kleinen Tiere. Irgendein grösserer tierischer Schädling war verantwortlich. Wer frisst Kohlblätter? Eine Wildkamera brachte dann die Beweise: Morgens von Sonnenaufgang bis etwa 8:00 Uhr flogen Tauben zu, marschierten zu Fuss durch den gesamten Garten, stellten sich vor die Kohlpflanzen und zerhackten systematisch alle Blätter. Jungpflanzen wurden dadurch auch herausgerissen. Das wiederholte sich dieses Jahr in exakt gleicher Weise. Hier der Film meiner Wildkamera von heute morgen, 7:30 Uhr:


Kohlrabi, abgefressen

Was tun? Es gibt nur eine Möglichkeit: Wieder einmal einkaufen gehen und viel arbeiten, Schutznetze erwerben, auflegen und bis zur Ernte drauflassen. Festklemmen, damit sie der Wind nicht wegbläst. Abstandhalter wie Folientunnelbögen verwenden, damit der Kohl nicht zu Boden gedrückt wird, Zum Unkraut jäten, hacken und ernten muss man dann jedesmal alles wieder öffnen. Die Mühe ist durchaus erheblich, aber nicht mehr vermeidbar. Dass sich opportunistisch lebende (also Generalisten) Vogel - Massenarten hemmungslos vermehren, ist bekannt, während die spezialisierteren Vogelarten immer weniger werden. Auch die Ringeltaubendichte ist recht hoch geworden und zu deren Gewohnheiten gehört heute offenbar auch der Frass von Kohlpflanzen, gründlich und radikal. Das endet auch nicht im Sommer, sie tun das immer. Andere Schutzmöglichkeiten gibt es heute nicht mehr. Aktive Abwehr ist natürlich verboten. Frühere Generationen haben sie mit Leim oder Fallen gefangen (Produkte dafür sind Rattenleim wie Saratoga Top-Fix). Schnüre, blitzende und blinkende Gegenstände halten sie nicht ab.

Andere Gärtner berichten von Taubenschäden auch an Bohnen, Erbsen, Heidelbeeren, Stachelbeeren. Meine Stachelbeerstecklinge vernichten sie in der Tat ebenfalls immer, wenn ich sie nicht unter Netzen ziehe - die Blätter werden ansonsten komplett abgefressen. Wohlgemerkt: Gemeint sind bereits Frassschäden an den Pflanzen selbst, nicht erst an reifen Beeren. So weit kommt es gar nicht, wenn schon die Pflanzen kahlgemacht werden. Auch der Kohl ohne Blätter stellt das Wachstum ein bzw. wird einfach so lange abgefressen, bis er stirbt. Die Probleme hat auch der Profianbau, seit die EU-Vogelschutzrichtlinie lange Schonzeiten auch für schadenverursachende Massenarten eingeführt hat. Früher konnte wenigstens im Spätsommer eine Bestandskontrolle stattfinden, nun erst ab 1.11., wogegen Bauern auch immer wieder protestieren.

Broccoli. Aus und vorbei.

Am besten, wir bauen "tier- und umweltfreundlich" im sterilen Gewächshaus auf künstlichen Substrat an, klimatisiert, durch eine Luftschleuse zu betreten, bewässert, gedüngt. Lebensmittel aus dem Vollschutz. Wer ansonsten im Garten noch etwas ernten will, muss sich unter Schutznetze und Beregner flüchten und verzichtet besser von vornherein auf einige Gemüsearten.

Dienstag, 22. März 2022

Das Tomatenjahr beginnt - bitte ohne Braunfäule

Braunfäule Phytophthora infestans, erster Blattbefall

Alle Jahre wieder: Jungpflanzenanzucht von Tomaten ist ab Mitte März wieder angesagt, nach den Paprika, vor den Gurken, Melonen, Kürbissen. Nach der Braunfäulekatastrophe letztes Jahr werden vermutlich einige Nutzgärtner dieses Jahr einen stärkeren Drang zu anderen Anbautechniken und einem robusteren Sortenspektrum verspüren. 

Die Tomatenseuche

Eigentlich ist die Braunfäulekatastrophe schon 40 Jahre älter. Bis Anfang der 1980er Jahre gab es damit wenig Probleme im Tomatenanbau. Der verursachende Braunfäulepilz Phytophthora infestans ist zwar seit 1845 nach Europa eingeschleppt worden, verursachte die bekannte Hungersnot in Irland weil auch Kartoffeln befallen werden, aber die damals und danach noch einmal eingeschleppten Stämme waren nur zu nichtsexueller Vermehrung fähig und es konnten bald resistente Sorten gezüchtet werden. Danach passierte, wovor Biologen dringend gewarnt hatten: Eine zur sexuellen Vermehrung fähige Variante wurde aus Amerika um 1980 nach Europa eingeschleppt. Sie kann sich ständig genetisch verändern und rekombinieren. Seither ist Feuer unterm Tomatendach und hat einigen Nutzgärtnern Freilandtomaten regelrecht ausgetrieben. Faulende Früchte, sterbende Pflanzen im Sommer, das macht keinen Spass. Bis vor zehn Jahren waren alle Sorten stark anfällig, ganz langsam gelang es, ein paar wenige robustere Sorten zu züchten - erst einmal nicht in Europa.

...dann an Stengeln

Freilandtomaten sind auch in privaten Gärten eine Seltenheit, denn der Pilz benötigt Luftfeuchte, Wasser, um sich zu vermehren. Die meisten Leute bauen sie deshalb unter Folie an, unter Dachüberständen im Topf, im Gewächshaus. Das ist speziell bei Tomaten ausgesprochen schade, denn nur im Freiland entwickeln sich auch kräftige Aromen. Foliendächer filtern UV-B Strahlung der Sonne, die für die Aromabildung wichtig ist. Hinzu kommt manchmal erheblicher Aufwand für die Dachkonstruktionen und der traurige optische Eindruck einer Hüttenlandschaft im Garten. Man kann zwar von seinen Foliendachtomaten schwärmen und besser als Supermarktware sind sie meist auch, aber man sollte dann auch einmal den direkten Vergleich mit einer voll besonnten Freilandpflanze gleicher Sorte machen, das öffnet die Augen und die Geschmacksknospen. Zudem sind die Zeiten grosser Tomatenbeete vorbei, man quetscht sie nun unter ein begrenztes Tomatendach. Das Tomatenjahr im Freiland ist ansonsten kurz geworden, ab Mitte Juli droht Totalausfall durch Braunfäule, meist ist es Mitte August so weit, wenn die Nächte kühler und taufeuchter werden.

Noch eine Seuche: Alternaria

Alternaria an Tomatenblättern

Die Jahre vor 2021 gab es aufgrund sehr trockener Jahre drei Jahre lang weniger Braunfäule, dafür mehr Alternariabefall. Diese Krankheit kann man am Anfang nicht immer von Braunfäule auseinanderhalten. Alternaria kommt früher im Jahr, schon bevor sich Braunfäule breitmacht, die braunen Blattnekrosen sind oft gezont und haben im Gegensatz zu Braunfäule immer einen gelben Hof. Alternaria ist zum Glück selten ein kompletter Spielverderber. Braunfäule verbreitet sich hingegen rasend schnell, zerstört auch die Stengel und Früchte, die ganze Pflanze ist hin.

Hausmittel, Stärkungsbrühen haben sich in Versuchen gegen Braunfäule als nutzlos erwiesen. Pflanzenschutzmittel, Fungizide existieren leidlich, sollen aber hier nicht Thema sein. Nutzgärtner greifen sowieso nur höchst ungern oder gar nicht zu solchen Mittel. Am liebsten mogeln wir uns an den Krankheiten vorbei, durch gute Anbaubedingungen, Hilfsmittel wie die genannten Foliendächer und resistente Sorten, sofern vorhanden und qualitativ brauchbar.

Züchtung resistenter Sorten

Endphase Braunfäule

Solche Sorten existieren mittlerweile, aber der Weg dorthin war sehr lang, die Züchtung begann in den USA schon 1940 und es gibt noch Vieles zu verbessern. Einen sehr grossen Schritt erreichte Dr. Randy Gardner (der heisst wirklich so) von der North Carolina State University, er stellte im Jahr 2010 mehrere klassisch gezüchtete Tomatensorten mit erstmals multigenetisch verankerter Resistenz vor. Er nutzte dafür sehr kleinfrüchtige, Wildtomaten nahestehende Resistenzträger. Ergebnissorten aus dieser Züchtung waren unter anderem Defiant, Iron Lady, Jasper, Mountain Magic, Mountain Merit und noch ein paar mehr. Leider alles F1-Hybriden. Das löste Hoffnungen und Aktivitäten anderer Leute aus, so dass heute noch ein paar mehr Sorten verfügbar geworden sind. Kräftig beworben wird "Primabella", "Rondobella", verfügbar sind "Buffalosun", "Consuelo", "Honey Moon", "Crimson Crush". Weitere Sorten nennen sich zwar Resistent, haben aber nur einfache Resistenzen, die nicht lange halten. Beispiele: Philovita (Züchtung von De Ruiter Seeds, eine Marke von Bayer-Monsanto), Fantasio. Von denen halte ich nicht viel, die Samen sind so teuer wie wirklich resistente Sorten, Braunfäulebefall findet nur leicht verzögert statt.

"Defiant" habe ich im Anbau, seit die ersten Samen nach Europa gekommen sind und seither noch viele resistente Sorten mehr. Diese Sorten sorgten vor allem letztes Jahr dafür, dass ich Tomaten bis in den Herbst ernten konnte, während Nachbarn und Bekannte in ungünstigen Jahren pünktlich zur Haupterntezeit ab Ende Juli alles abräumen mussten - Totalschaden. Auch meine klassischen Sorten gingen über den Jordan, auch danebenstehende resistente Neuzüchtungen bekamen mit der Zeit ein paar Symptome, das blieb aber fast immer begrenzt, sie lebten, fruchteten ungerührt weiter. Und mehr noch: Seither gelingt es sogar wieder, Tomaten extensiv im Freiland anzubauen, ohne Dach. Speziell "Defiant" ist teilweise determinant und wird nicht besonders hoch. Man kann diese Sorten ohne grosse Pflege in einem Aussengarten setzen, einmal am Spiralstab festmachen und dann mit wenig Aufsicht wachsen lassen. Das ist ideal, wenn man viel Tomatensugo und getrocknete Tomaten für den Winter haltbar machen will. Einmal die Woche hingehen und schwungweise ernten, kochen, passieren, abfüllen.

Nun mal einige meiner eigenen Sortenerfahrungen mit diesen neuen Sorten hier im Freilandanbau:

Defiant

Tomate Definant abgeerntet, Ende August
im Braunfäulejahr 2021 - kaum Befall.

Darüber steht schon einiges weiter oben. Es ist die Sorte, zu der ich immer wieder zurückgekommen bin. Wuchs problemlos, wird im Freiland 100 bis 150cm hoch, im Gewächshaus auch höher. Ideal für extensiven Anbau. Fruchtet und reift früh und reichlich und dann bis zum Frost, so ganz echt determinant ist sie glücklicherweise dann doch nicht. Dankbare Sorte mit guten Erträgen. Pflanze wird bei guten Infektionsbedingungen nur punktuell von Braunfäule befallen, wächst weiter, fruchtet weiter. Tomaten etwas uneinheitlich in der Grösse, die Meisten haben typische 70-100g mit viel Fruchtfleisch, im Stil wie eine kleine Fleischtomate. Ihr Aroma ist wirklich gut, voller Tomatengeschmack, volle Farbe, schöne Konsistenz. Nicht platzempfindlich. Für alle Verwendungen, besonders Sugo. Nachteile hat sie auch: Eine stark erhöhte Anfälligkeit für Blütenendfäule, vor allem bei heissem Wetter. Calcium verbessert diese Mangelerscheinung. Ich habe das einfach in Kauf genommen, schwarze Stellen abgeschnitten und die Frucht weiter zu Sosse verkocht.

Honey Moon

Riesiger Nabel

Fleischtomate. Wuchs bis 180cm. Reife etwas spät, Erträge unterer Durchschnitt. Tomaten >200g, gleichmässig, hat einen leicht himbeerartigen Farbton, aber nicht richtig Pinkrosa. Auf Fotos sieht man das oft nicht richtig. Haut ist ziemlich hart. Die Früchte haben einen charakteristischen grossen Nabel, sie lösen etwas schwer vom Stengel, auch wenn sie reif sind. Man sollte sie wirklich ganz ausreifen lassen, dann erreichen sie erst ihre Güte. Aroma ist gut, tomatig, mit Säure und Schmelz. Platzt nicht. Blütenendfäule kommt vor, wie auch bei den meisten anderen Sorten von Gardner. Ich vermute, der Resistenzträger brachte das in die Zuchtlinien.

Tomate Honey Moon Schnittbild
Tomate Honey Moon Strauch

 


Cocktail Crush

Tomate Cocktail Crush

Die meisten braunfäulefeste Sorten sind eher klein, es gibt überdurchschnittliche viele "Naschtomaten" oder Kirschtomaten, Cocktailtomaten. "Cocktail Crush" ist auch sowas, Früchte um 50g. Grosse Pflanze, wächst in die Höhe, Erträge durchschnittlich, mittelfrühe Sorte. Braunfäulefest, auch keine Alternaria gesehen. Aroma durchschnittlich. Nach zwei Jahren habe ich sie aussortiert, denn sie hat einen gravierenden Nachteil: Sie platzt bei mir zuverlässig am Stock nach Regen. Was soll ich mit einer Tomate, die nach Regen platzt, wo doch der Hauptvorteil einer braunfäuleresistenten Sorte der Freilandanbau ohne Folie ist?

Mountain Merit

Ähnelt in Allem der Sorte "Defiant", konnte sie teilweise nicht gut unterscheiden. Früchte tendentiell etwas grösser, Pflanze auch, Erträge gleichhoch, Blütenendfäule nicht besser. Früchte etwas weicher. Ersatz für "Defiant", falls man die nicht bekommt. Vorsicht: Eine andere braunfäulefese Sorte heisst "Mountain Magic", nicht verwechseln. "Mountain Magic" hat kleinere Früchte, nur max. 60 Gramm schwer. Auch sehr gut, aber aber eben nur eine Cocktailtomate.

Iron Lady

Noch ein naher "Defiant" Verwandter.  Diese Dreiergruppe zeigt wenig Unterschiede. Sie wirken alle wie kleine Fleischtomaten, recht gut im Aroma, hinreichend gut braunfäulefest. In dieser Gruppe kann man nichts falsch machen, wenn man mit Blütenendfäule klar kommt.

Consuelo 

Eine Kirschtomate. Wuchs über 180cm, geht in die Länge. Aroma durchschnittlich, platzt nicht, keine Blütenendfäule, die bei Kirschtomaten sowieso selten vorkommt. Erträge etwas schwach. Wenn schon Kirschtomate, dann wenigstens viele der kleinen Früchte. Erwies sich als nicht ganz so braunfäulefest wie die anderen Sorten, unter starkem Befallsdruck wird sie schliesslich deutlicher krank. Damit fraglich, denn an braunfäulefesten Kirschtomaten herrscht sowieso kein Mangel. Als "robust" kann man sie aber definitiv ezeichnen.

Weitere Sorten

Daneben schwirren noch einige Sorten herum, die oben schon genannt wurden, sie werden auch als recht braunfäulefest gepriesen, Sunviva etwa. In Feldversuchen hat sich das aber nicht bestätigt, diverse Nachteile hat sie auch noch, etwa sehr platzanfällig. Jahrelang geisterte ferner "De Berao" durch die endlosen Abschreiberartikel, die Sorte ist allerdings sogar stark anfällig und taugt geschmacklich wirklich nichts. Einige andere Sorten sind aber durchaus tauglich, meine Erfahrungen sind jedoch noch nicht langjährig genug, um da belastbare Aussagen zu machen. Wer probieren will: Primabella (gleicher Züchter wie Sunviva, Dr. Bernd Horneburg / Göttingen) und Rondobella, Resibella, Vivagrande; Rubylicious (Kirschtomate), Buffalosun (gelbe Fleischtomate, USA) und Gourmansun (gelbrote Ochsenherztomate), Paoline und weitere. So oder so: Endlich Sorten, die man im Freiland ausprobieren kann!

Woher bekommt man diese Sorten?

Einzelne Sorten haben den Weg ins Standardsortiment grosser Endkundensamenverkäufer gefunden. Bezugsquellen: Iron Lady gibt es bei Pötschke, Honey Moon hat Sperli im Programm, Rondobella und Andere gibts von Culinaris im Samenhaus. Kiepenkerl hat Primabella. Bobby Seeds hat mehrere Sorten. Mit diesen Stichworten und Sortennamen findet man genügend Händler oder auch Grosshänder wie beringmeier.de. Ich bin ziemlich sicher, dass solche Sorten in wenigen Jahren auch bei Nutzgärtnern einen festen Platz im Anbau haben. Bei mir haben sie das schon länger. Das ist so erfolgreich, dass Manche vermuten, ich würde nachts mit einem bösen Spritzmittel heimlich Tomatenpflanzen behandeln, anders könne man ja keine Freilandtomaten wachsen lassen. Ein Nachbar baut riesige Dachkonstruktionen, ein Anderer geht auf frühe Freilandernten, bevor er seine befallenen Stöcke leider abräumen muss. Mein Hinweis auf die neuen Sorten verhallte (noch?), Phytophthora infestans und Folien-, Balkenverkäufer freut es.

Sonntag, 22. August 2021

Das Tafeltrauben-Pilzjahr: Echter und falscher Mehltau

Falscher Mehltau, Spätstadium an Blättern -
Alles zu spät im August

Das Jahr hat wieder einmal mehrere Wetterrekorde gebrochen. Ein anhaltend saukalter Frühling bis Anfang Juni, dann kurz brüllende Hitze, schliesslich Niederschlagsrekorde mit anschliessendem Rekord-Hochwasser in manchen Gegenden, das Wetter bringt offenbar immer mehr Extreme. Für Tafeltraubenfreunde hat es sich als ein Jahr entpuppt, das extremen Befallsdruck von echtem Mehltau (Uncinula necator) mit sich bringt und sehr hohen Befallsdruck von falschem Mehltau (Peronospora, Plasmopara viticola). 

 

Woher kommt der Mehltau?

Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen, aber Weinbau war einst jahrtausendelang eine ausgesprochen gesunde Kultur, die nur Frost und ein bisschen den Traubenwickler und Motten zu fürchten hatte. Das änderte sich grundlegend, nachdem der Mensch in seiner schier unbegenzten Dummheit drei absolute Katastrophen vom amerikanischen Kontinent ins Herz des Weinbaus nach Europa importiert hat: Die Reblaus, den echten Mehltau an Weinreben und den falschen Mehltau. Echter Mehltau machte den Anfang, er wurde 1845 nach Europa geholt. Um 1865 folgte die Reblaus, wieder mit importierten Rebstöcken. Sie brachte den europäischen Weinbau nach den schweren Mehltauschäden vollends an den Rand des Zusammenbruchs. Und weil Fehler so gerne wiederholt werden, importierte man anschliessend noch den falschen Mehltau mit Unterlagsreben im Jahre 1878. Seither gleicht der Weinbau einer Dauerschlacht, in der mit massenhaft Chemikalien, ständigen Züchtungsversuchen und biotechnischen Methoden den Pflanzen gegen Krankheitsangriffe ein Ertrag abgepresst wird, zumal der Import von noch mehr Krankheiten folgte und den Weinbau noch weiter "bereicherte". Alles diese Krankheiten bleiben. Es gibt kein einziges Problem, das man wirklich wieder losgeworden ist. Im allerbesten Fall sind die Probleme "beherrschbar" geworden, was aber ebenso Zeit, Geld und Mühen kostet.


Echter Mehltau an Wein, Oidium, Uncinula necator

Oidium, echter Mehltau an
Weinbeeren, Juli

In unseren Breiten ist echter Mehltau (auch Oidium genannt, der auslösende Pilz heisst an Uncinula necator) Tafeltrauben der häufigste Spielverderber. Es gibt nur sehr wenige Tafeltraubensorten, die wirklich mehltaufrei bleiben. Seit langer Zeit versucht man mit der Einkreuzung anderer Rebenarten, gute Resistenz mit der den guten Geschmacksqualitäten europäischer Reben zu verbinden. Das gelingt meistens nur teilweise. In Traubenforen, bei Händlern, Züchtern, Vermehrern sind die Resistenzeigenschaften der verschiedenen Sorten ein Endlosthema. Dieses Jahr war der Infektionsdruck so stark, dass nur in absoluten Gunstlagen mehr als ein paar Sorten ohne Mehltau blieben. Hier waren das Venus, Lakemont, Muskat Blau, Sirius. In meinen Tafeltraubentests habe ich ausführlichere Beschreibungen zu den Sortenanfälligkeiten.

Das Krankheitsbild ist einfach und entspricht dem Wort. Die Beeren und manchmal auch Blätter bekommen oft schon ab Juli einen weissen Belag, wie mit Mehl bestäubt. Blätter können aber auch Aufhellungen zwischen den Leitungsbahnen bekommen. Das kann sogar schon in oder gleich nach der Blüte beginnen oder eben später, wenn das Wetter entsprechend ist. Die geschädigten Blätter assimilieren weniger, sterben früh ab und an den Beeren verhärtet sich die Schale, früher oder später platzen sie deshalb auf. Echter Mehltau kann jeder schnell diagnostieren. 

Dem Mehltaupilz gefallen Lagen, die nicht windoffen sind. Beispielsweise an einer windstoppenden Eckmauer, vor dichten Hecken die auch noch Feuchtigkeit verbreiten. Er liebt ferner Gewitterlagen, trockenwarm bei gleichzeitig hoher Luftfeuchtigkeit, Schwüle, nachts Tau. Das hatten wir dieses Jahr seit Anfang Juni dauernd, praktisch jeden Tag.

Echter (Aufhellungen Blattmitte) und falscher Mehltau
(Nekrosen vom Rand her) an Weinblättern, August


Falscher Mehltau an Wein, Peronospora, Plasmopara viticola

Peronospora, Beginn Traubenbefall

Eine andere Pilzart nennt sich Plasmopara viticola, die Krankheit die er auslöst falscher Mehltau oder Peronospora. Der Pilz gehört zur selben Klasse wie Braunfäule an Tomaten und Kartoffeln und die fatalste Blattkrankheiten an Melonen und Gurken. Er liebt Nässe. Feuchter Boden, anhaltend feuchte Blätter durch Tau oder Regen, schon fliegen die Sporen und keimen auf der Pflanze aus. Trockene und schnell abtrocknende Lagen sind wenig gefährdet. 

Auch hier ist die Diagnose einfach. An der Oberseite der Blätter zeigen sich Aufhellungen, sogenannte "Ölflecken". Der Sporenrasen ist mehlig und ausschliesslich an der Unterseite der Blätter zu sehen. Junge Beeren bekommen weisse Beläge, was mit dem echten Mehltau verwechselt werden kann, ältere Beeren werden zu Lederbeeren, vertrocknen. 


Die Verteidigung

Erste Verteidigungslinie für den Nutzgärter ist Sorten- und Pflanzortwahl. Sortenwahl ist am einfachsten, ich habe lange Jahre nur Sorten gepflanzt, die wenig anfällig waren und auch in Kauf genommen, ab und zu Ernteausfall zu haben. Bei sehr robusten Sorten wie Muskat Blau passiert das fast nie. Die Sorten habe ich bis heute, aber am liebsten in einem Aussengarten, weil man dort sowieso nicht ständig hinkommt, um gegenzusteuern. Dort muss die Rebe mit wenig Aufsicht wachsen und fruchten können. Mit der Zeit wollte ich jedoch auch Sorten mit einer grösseren Aroma- und Reifebandbreite und damit kamen dann auch empfindlichere Reben, die nur jedes zweites Jahr ohne Ernteausfall waren. In den Tafeltrauben-Tests stehen auch Erfahrungen mit Krankheitsanfälligkeiten. Wer reine Europäerreben pflanzen will, wozu Spitzensorten wie der Muskattrollinger oder manche Muskatellervarietäten gehören, hat praktisch jedes Jahr Krankheitsärger, denn reine Vitis Vinifera - Reben sind noch empfindlicher.

Für den Pflanzort gilt: So tauarm wie möglich, so windoffen von allen Seiten wie möglich, so viel Sonne (vor allem Morgensonne) wie möglich. Eine Hauswand oder Mauer im Rücken (keine Hecke, deren Nadeln oder Blätter liefern zu lange Feuchtigkeit nach Regen oder Tau) sind trotzdem gut, jedoch verringern Dachüberstände auch Wind und sorgen für "stehende Luft" darunter, das ist wieder schlecht. Reben nicht zu bodennah führen oder an niedrigen Zäunen entlang.

Zweite Verteidigungslinie sind Laubarbeiten, luftig halten, Rückschnitte, Bodenabdeckung, Kräuterbrühen. Darüber gibt es tonnenweise schlaue Ratschläge, die wie üblich endlos abgeschrieben sind und selten auf Praxistauglichkeit sowie Wirksamkeit geprüft werden. Ich habe damit fast durchgäng magere Erfahrungen gemacht: Viel Aufwand, wenig Effekt, oft so wenig dass das der Nachweis von Wirkung im statistischen Rauschen verschwinden dürfte. Am sinnvollsten war noch die luftige Erziehung und Schnitt. Dafür werden Geiztriebe früh gekappt, dicht stehende Triebe ausgelichtet. Prinzip: Prinzip: Alles soll leicht besonnt und durchlüftet werden. Diese zweite Linie ist trotzdem schwach und benötigt viel Arbeit.

Die dritte Verteidigungslinie ist das, was meist abfällig als "spritzen" bezeichnet wird. Die Abfälligkeit kommt meist von Leuten, die eigentlich keine Ahnung von Pflanzen, Krankheiten oder gar Mitteln haben, sich aber selber mit jeder getrunkenen Flasche konventionell angebautem Wein und jeder Schale importierter Tafeltrauben ein Produkt einwerfen, das bis zu 15mal mit verschiedenen Pflanzenschutzmitteln bombardiert wurde. 

Reine Kalischmierseife

Wer richtig behandeln kann, hat Ergebnisse. Hier wird es interessant und sichtbar wirksam. In den vielen Schachtelhalmbrühe-Ratgebern steht nichts über solche Mittel und die Pflanzensude haben leider einen kaum nachweisbaren Effekt.

Gegen echten Mehltau werden ein paar fungizid wirkende Pflanzenschutzmittel auch an Privatleute verkauft. Die sind oft teuer und meistens überflüssig. Echter Mehltau ist mit einfachen Mitteln bekämpfbar, allerdings muss man oft und gründlich behandeln. Dazu bedienen wir uns der Mittel, die auch im Bioanbau Verwendung finden, im Wesentlichen sind das 1. Kaliumbikarbonat (auch Kaliumhydrogencarbonat genannt, Vorprodukt von Pottasche, ein kommerzielles Mittel ist "Armicarb" oder "Vitisan") und 2. Lezitine, wie sie in Milch vorhanden sind sowie 3. Schwefel. Für Schwefel sollte man wirklich zu einem kommerziellen Produkt greifen, "Netzschwefel", aber sehr genau die Anwendungshinweise lesen, damit kann man den Pflanzen auch schaden. Bekannte Mittel heissen "Netz-Schwefelit" oder "Mehltau-frei Thiovit".

Nur von links unten gespritzt:
Beginnender Oidiumbefall rechts oben

Bei meinen wenig anfälligen Sorten komme ich in der Regel sogar nur mit Kaliumbikarbonat aus. Das ist der Lebensmittelzusatzstoff E501, ähnlich wie Backpulver (Natriumbikarbonat), oft Bestandteil von Triebmitteln für schwere Teige wie Lebkuchen. Auch Backpulver (Natriumbikarbonat) geht, ist aber etwas weniger wirksam. Im Chemikalienhandel bei Versendern ist Kaliumbikarbonat für kleines Geld in Kilopackungen zu bekommen. Und so wird es angewendet:

  • Erste Behandlung kurz nach der Blüte. Dafür mischt man 5g KHCO3 pro Liter Wasser und gibt auf 5 Liter einen getrichenen Esslöffel aufgelöste reine Kalischmierseife zu. Rein heisst rein: Keine Duftstoffe, kein Glyzerin. Mit dem Stichwort "Kalischmierseife" findet man passende Produkte. Es gibt sie gebrauchsfertig, in Wasser bereits flüssig gemacht (braucht dann nicht mehr aufgelöst zu werden) oder höher konzentriert mit der Konsistenz von zähem Fett.
    Mischen, bei bedecktem Himmel und mässigen Temperaturen mit einem guten Drucksprühgerät auf Blätter und vor allem die jungen Trauben spritzen. Gründlich, von allen Seiten, lückenlos.
  • Angetrocknete Reste von Kaliumhydrogencarbonat
    Zweite Behandlung 10 Tage später.
  • Weitere Behandlungen, wenn Infektionslagen herrschen: Anhaltende Gewitterschwüle, allererste Anzeichen von Infektionen. Kaliumhydrogencarbonat wird dann gerade noch heilend.
  • Die Wirkung basiert auf Austrocknung der Pilze und einiger Sporen. Treffen sie auf einen Spritzbelag, trocknen und platzen sie. Wird der Belag durch Regen abgewaschen, ist die Wirkung auch vorbei. Solange es nicht regnet und keinen Tau hat, hält die Wirkung an.
Typische Vernarbungen, Spätfolgen eines
überstandenen Oidiumbefalls der Beeren

Lecithin hat dieselben Anwendungszeitpunkte. Am einfachsten verwendet man dafür Magermilch, ein Liter Milch in fünf Liter Wasser kippen. Lecithin kann man auch rein kaufen, es ist der Lebensmittelzusatzstoff E322. Die Herkunft spielt keine Rolle, es gibt Sojalecithin oder Lecithin anderer Herkünfte. Lecithin klumpt beim Auflösen in Wasser und muss zweistufig zubereitet werden. Flüssige Zubereitungen sind z.B. "Pilz Stopp Universal", benötigt werden 7,5ml pro 10 Liter für Wein. Pulverlecithin 10-20 Gramm. Die Wirkung ist meiner Erfahrung nach etwas schwächer als mit Kaliumbikarbonat und nie kurativ, ratsam ist eine Behandung pro Woche.


Verteidigung gegen Peronosphora

 
Peronospora, sporulierender Befall Beeren
Gegen falschen Mehltau wurden hundert Jahre lang Kupfermittel eingesetzt. Das waren die ersten wirksamen chemischen Pflanzenschutzmittel überhaupt. Kupfer hat eine stark fungizide Wirkung, beseitigt auch die Sporen und kann sogar ein Stück weit kurativ (heilend) wirken. Ohne Kupfer würde es keinen Weinbau mehr geben, der starke Niedergang im 19. Jahrhundert wäre ungebremst weitergegangen. Nun sind die Zulassungen für Kupfermittel an Privatanwender ausgelaufen, in anderen Ländern wie der Schweiz sind sie weiter erhältlich. Gegen falschen Mehltau ist mittlerweile auch kein anderes Mittel für Privatanwender zugelassen. Konventionelle Traubenanbauer schöpfen dagegen aus dem Vollen. Der letzte Schrei sind Pyrimidylamine, am häufigsten werden ausserdem  ß-Phthalimide ausgebracht und dann das alte Dithianon, eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Chinone, Nitrile und schwefelhaltigen Heterocyclen von 1962. Daneben gibts es noch einige weitere Mittel. Das alles haben wir nicht und das wollen wir nicht im Nutzgarten.
Peronospora, falscher Mehltau, stark befallene Beeren - Lederbeeren
 
Falscher Mehltau, Blattbefall Beginn
Was bleibt uns? Im Ökoweinbau wurden eine Zeitlang als Geheimtip Phosphonate eingesetzt, die aber in einer Grauzone lagen. Sie hätten Kupfer ersetzen können, wurden aber als Pflanzenschutzmittel ohne echte Begründung EU-weit für Ökowinzer verboten, seither nehmen die wieder Kupfer - erlaubte Mengen sind 3 bis 4 Kilo pro Hektar. Im Moment kann man noch einen Blattdünger kaufen, der auch Phosphonat enthält: Phosfik. Früher gab es noch weitere Marken. Es kann aber gut sein, dass das bald nicht mehr möglich ist oder Phosphonat darin nicht mehr enthalten ist. Dieser Dünger hat jedenfalls eine Nebenwirkung auf falschen Mehltau - in einer Dosierung von 5-8ml pro Liter Wasser. Das nutzt nur etwas, solange das Pflanzengewebe jung ist und wächst, zwischen Blüte und Anfang August an Tafeltrauben. Alte Blätter werden sowieso nicht mehr von falschem Mehltau befallen. Heilend wirkt der Dünger auch nicht, sondern nur vorbeugend. Phosphonate zerstören den Pilz nicht, aber bringen die Pflanze in die Lage, ihn selbst bekämpfen, verursachen also eine induzierte Resistenz. 
Falscher Mehltau, typisches Bild Blattunterseite


Damit die Nebenwirkung gegen falschen Mehltau eintritt, muss ab Blüte im Abstand von 10 Tagen ein paarmal mit dem genannten Blattdünger gedüngt werden mit Extragaben bei Infektionslagen. In stabilen Gutwetterlagen kann das unterbleiben.
Falscher Mehltau, beginnende Nekrosen links



Fazit

 
Es gibt Jahre, da geht gar nichts mehr, so wie dieses Jahr. Wochenlang blieb das Laub nass, eine Behandlung war gar nicht in den nötigen Intervallen möglich weil alles sofort wieder abgewaschen worden wäre. Glücklich blieb nur, wer eine der wenigen sehr robusten Traubensorten hatte. Die Biowinzer in unserer Region haben teilweise einen Totalschaden erlitten, über den auch in der Presse berichtet wurde. Ihre Hybridrebsorten und viele unserer ebenfalls hybriden Tafeltraubensorten halten normale Jahre ohne oder mit wenig Behandlung aus, dieses Jahr 2021 ist wieder einmal alles komplett zusammengebrochen. Das letzte derart schlimme Jahr war 2016.

Der Nutzgärtner setzt am Besten auf Risikostreuung. Man pflanzt sehr robuste Tafeltrauben (Muskat Blau, Lakemont, Venus) plus ein paar gute weniger Robuste, die dann nach obigen Vorschlägen behandelt werden. Einen Ertragsausfall wie dieses Jahr nimmt man leichter hin, wenn man wenigstens noch gesunde Trauben von Muskat Blau in der Hinterhand hat. Das dürfte die pilzfesteste Tafeltraubensorte ohne Fuchsgeschmack überhaupt sein.

Behandelt und gesund geblieben - reife Tafeltraube