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Donnerstag, 10. März 2022

Die Selbstversorgerphantasie

Selbstversorger- aber nur Gemüse, kaum Nährmittel

"Selbstversorger" ist seit einiger Zeit ein absoluter Modebegriff. Das ist eigentlich recht witzig, denn der Begriff ist schlichtweg eine Lüge. Niemand in Mitteleuropa schafft es, Selbstversorger zu sein. Es sind so wenig Leute wie nie auch nur annähernd Selbstversorger und auch ganz Deutschland kann sich nicht einmal annähernd selbst von dem versorgen, was hier wächst.

Selten gehen Wünsche und Realität von Nutzgärtnern so weit auseinander wie bei diesem Begriff. Gross wird in allerlei Videos, Webseiten, in sozialen Netzen durch endlos Experten und Grünfingern von Selbstversorger-Methoden berichtet. Manche Leute stellen komplexe Rechnungen auf und fragen sich, wie gross der Garten sein muss, wieviel man anbauen muss um die Selbstversorger-Ehrenmedallie zu verdienen. Aber Selbstversorger ist gar niemand, auch nicht Leute die auf viel bebaubarem Land sitzen. Wer es nicht beruflich macht, kann nicht einmal Grundzutaten für tagtäglich gegessene einfachste Lebensmittel selbst herstellen. Praktisch alle Kalorien, alle Sattmacher, alle Nährmittel, Zucker wachsen kaum in unseren Nutzgärten. Wo sind sie, die Getreidesorten für unser Brot, Gebäck und unsere Nudeln? Wo im Garten stehen die Pflanzen und/oder Tiere für Fett und Öl? Wo wachsen unsere Hülsenfrüchte für genug Proteine, die Linsen, die Soja- und Kernbohnen, die Kichererbsen? Selbst der Kartoffelbedarf lässt sich aus den allermeisten Gärten nicht decken. Eier, ja, mit Hühnerhaltung, aber woher nehmen wir das Hühnerfutter? Das gilt auch für andere Tiere. Kuh, Schwein? Schafe sind leicht populärer geworden - bei den wenigen glücklichen Leuten, die grosse Liegenschaften geerbt, angeheiratet oder mit Millionen gekauft haben. Jedoch auch da: Butter, Käse, Milch haben, nur mit Schafen - viel Spass.

Selbstversorgung mit Tomaten gelungen

Letztlich bedeutet der Begriff "Selbstversorgung" immer nur, dass man mit viel Einsatz in einigen Monaten etwas Gemüse und Obst aus eigenem Anbau hat und ein paar wenige platzprivilegierte Tierhalter noch einige wenige tierische Produkte erwirtschaften, wobei sie relevante Anteile des Tierfutters dazukaufen. Was uns tatsächlich satt macht, kaufen wir fast immer, es wird nicht vom netten Biobauern nebenan, sondern von spezialisierten Grossbetrieben angebaut, meistens im Ausland oder mit importierten Futtermitteln. Und von Textilienfasern und nachwachsender Energie fangen wir besser gar nicht erst an zu reden.

Wir kaufen es nicht nur von anderen Produzenten im Land, wir importieren es von ausserhalb, über Kontinente hinweg. Denn in grossem Maßstab läuft es nicht anders. Deutschland ist grösster Lebensmittelimporteur der Welt, schon seit Jahrzehnten, bis heute. Gemessen nicht nur im Wert, sondern auch in der Menge. Allein von 2000 bis 2010 haben sich Agrarimporte von knapp 10 Millionen Tonnen auf über 15 Millionen Tonnen erhöht, das nicht nur absolut, sondern auch ein hoher Pro-Kopf-Wert. Schon seit weit über hundert Jahren kann im (damals noch viel grösseren und landwirtschaftlich reicheren) Land nicht einmal mehr annähernd das produziert werden, was verbraucht wird. Selbstversorger? Hat sich was. Und was hier produziert wird, verlässt sich auch auf importierte Produkte, zum Beispiel Tierfutter. Deutsche Milch und deutsches Schweinefleisch? 90% des Futters für die hier gezüchteten Tiere wird importiert - der grösste Teil aus anderen Erdteilen. Es gibt nur ein paar wenige Spezialprodukte, bei denen das Produktionssaldo positiv ist. Selbst bei so urdeutsch wirkenden simplen Obstsorten wie Äpfeln ist Deutschland das grösste Importland der Welt - importiert werden Äpfel im Wert von über einer halben Milliarde Euro, exportiert weit weniger. Beim Apfelsaft ist die Situation noch weit drastischer.

Kartoffeln, reichen eine Woche

Woher solls auch kommen? Das Bundesland Baden-Württemberg hat beispielsweise 816000 Hektar Ackerfläche. Bei mittlerweile (ununterbrochen entgegen allen Vorhersagen stetig steigenden) 11 Millionen Einwohnern macht das nicht einmal 750 Quadratmeter Acker pro Kopf aus. Weltweit sind es 1800 bis 2000 Quadratmeter. Nachbar Frankreich liegt bei 2700, Rumänien bei über 5000, hat ausserdem sehr hochwertige Böden. Auf diesem 750 Quadratmeter-Acker müssten Nährmittel, Öle, Zucker, Hülsenfrüchte, alle Futtermittel, Faserpflanzen, Energiepflanzen produziert werden, in einem Klima das nur maximal fünf frostfreie Monate im Jahr hat und mittlerweile ertragsmindernd unregelmässig gewordene Niederschläge zwischen monatelanger Trockenheit und Überschwemmung. Völlig absurd. Tatsächlich würden noch nicht einmal streng vegane und einseitige Ernährung, Lumpen statt Kleider aus Faserpflanzen, Holzherd (Holz woher?) statt Biogas aus Mais, intensiver Anbau ausreichen von dieser Fläche würdig zu leben. Im Bioanbau mit seinen obendrein niedrigeren Erträgen würde bitterer Hunger recht früh kommen. Nimmt man Mangel, Kälte und extrem einseitige Ernährung die bald zu Krankheiten führen in Kauf, könnte bei Intensivanbau (Düngemittel woher?) vielleicht das sofortige hungern vermieden werden. Jeden Tag im Jahr ein roher, kalter Getreidebrei in Wasser würde bei 800g Weizenertrag (353kcal/100g) pro qm im konventionellen Anbau pro Quadratmeter wenigstens den Magen füllen, dafür wären 360qm nötig, auf dem Rest der Fläche müssten Proteine, Gemüse für Vitamine stehen und die Energie für Landmaschinen, Dünger- und Pflanzenschutzmittel müsste aus der Luft herbeischweben. Und Vorsicht, alles ist perfekt zu lagern, kein Gramm zu verschwenden, nichts verschimmeln, nichts von Käfern fressen lassen. Keine Missernte erleben. Fazit: Die Decke ist nicht nur ein bisschen, sie ist um ein Vielfaches und drastisch zu kurz.

Ein Kofferraum voll Selbstversorgung

Die Aussichten für die Zukunft sind nicht besser. Agrarland wird rasend schnell absichtlich und gründlichst vernichtet. Im Grün regierten Baden-Württemberg geht der Flächenfrass beispielsweise hemmungslos weiter wie bei Dauerbesoffenen, die nicht von der Flasche weg können. Es ändert sich nur jeweils die Flaschenfarbe, momentan ist sie Grün. Die besten Böden unserer Gemeinde wurden mit rücksichtsloser Brutalität gegen das Land zu Grosslagern, anderen Lager und LKW-Aufmarschplätzen zubetoniert. Welche Partei an der Macht ist, spielt absolut keine Rolle, unter der grünen Regierung läuft alles ungehemmt weiter wie bisher mit Rekordjahren wie 2017, die Selbstlügen dazu sind nur noch grösser geworden. Auch die dies immer weiter anheizende Bevölkerungszunahme durch die politisch hocherwünschte Zuwanderung ohne jedes Limit scheint keine Grenzen zu kennen. Es wird gequetscht, gepresst, gebaut und gestapelt und das Land damit kaputt gemacht. Bei den Agrarerträgen sind die Grenzen aber längst erreicht, da hat sich nicht mehr allzuviel getan, die meisten Kulturen liegen an ihren biologisch bedingten Grenzen, die auch durch Züchtung nicht mehr wesentlich ausgeweitet werden können. Die Hektarerträge von Reis in Asien, Mais in Deutschland, Weizen, Gerste änderten sich im letzten Jahrzehnt nicht mehr wirklich.

Der Selbstversorger ist also ein Traumwesen, im Grossen wie im Kleinen. Eine unehrliche Täuschung, die sich täglich zwischen wachsenden Industriegebieten, wachsenden Bürgerpalästen, wachsenden Freiflächen-Solaranlagen und immer mehr extremen Wetterlagen weiter und weiter von der Realität entfernt. Es wäre ehrlicher, nur von Hobbygärtner, Nutzgärtner, Genussgärtner zu reden, der ein paar ausgewählte Genüsse teilweise selber anbaut, aber nie davon länger satt wird.

Selbstversorger mit LKWs, hier war einmal bester Ackerboden