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Sonntag, 8. November 2020

Teltower Rübchen, die Luxuswurzel

Dieses Jahr war unser bisher bestes Anbaujahr für Teltower Rübchen. Eine so schöne und grosse Ernte hatte ich noch nie. Jetzt sind sie fast abgeerntet. Wenn man sie essen will, muss man sie selbst anbauen, in Süddeutschland sind sie weitgehend unbekannt und sogar auf dem Wochenmarkt, wo Produzenten seltene Gemüsesorten anbieten sind sie fast nie zu finden. Es sind absolute Exoten. Doch was ist dieses Wurzelgemüse überhaupt und warum die Mühe damit?

 

Was sind Teltower Rübchen?

Teltower Rübchen gehören zur riesigen Gruppe der Kohlarten, es sind Kreuzblütengewächse. In dieser Gruppe stehen sie familiär neben den Nachkommen des wilden Rübsens, der im Mittelmeergebiet heimisch ist. Ebenfalls kultivierte Rübsenarten sind Chinakohl, Pak Choi, Rübstiel, Ölrübsen (der eine Elternart von Raps ist), Mairübe, vielleicht auch andere Herbstrüben und diverse Speiserüben und eben unsere Teltower Rübchen: Brassica rapa L. subsp. rapa f. teltowiensis. Es gibt noch ein paar wenige und teilweise ausgestorbene lokale Rübenarten, die Richtung Teltower Rübchen gehen, zum Beispiel die "bayerische Rübe", oder die "schwarze Winterrübe". Eine erschöpfende Übersicht aus historischen Quellen findet sich hier. Andere Kohlarten sind verwandtschaftlich ein bisschen weiter entfernt, da ist im Stammbaum meist der Meerkohl daran beteiligt, den unser Rübchen nicht mit drin hat. Typische Zeichen für eine genetische Meerkohlbeteiligung ist eine bläulich-weisse Wachsschicht auf den Blättern, die das Wasser abperlen lässt. Die hat unser Rübchen nicht, keine Spur davon. Das Grün des Laubes wirkt sehr satt, weich, bricht leicht. Optisch sind auch die Rübchenknollen leicht von ihren Speiserübenverwandten zu unterscheiden. Teltower Rübchen sind kleiner, weiss bis beige. Ihre essbaren Wurzeln wachsen oft unregelmässig und haben viele bartartige Wurzelhaare an der Knolle sowie horizontale Narben. Selten werden sie länger wie ein Daumen. Auch von den Inhaltsstoffen her sind sie ziemlich einzigartig im Vergleich zu den Kohlrüben. Sie enthalten bis zu doppelt so viel Zucker, Stärke, Eiweiss und dafür weniger Wasser, sind also gehaltvoller, konzentrierter und damit auch weit nahrhafter wie Kohlrüben sowie fast alle anderen Gemüsesorten. Vielleicht war das einmal einer der wichtigen Punkte für ihre frühe Wertschätzung.


Wie schmecken sie?

Kochfertige Stücke Teltower Rübchen

Für den verfressenen Nutzgärtner zählen vor allem zwei Dinge: 1. Wie kann ich das anbauen? 2. Wie schmeckts? Gekocht haben sie von ihren nahen Verwandten einen zart kohligen und ebenso zart rettichartigen Ton, der aber nie aufdringlich wird und auch nicht Richtung Radies geht, sondern Richtung Meerrettich. Daneben gibts aber noch viele Sekundäraromen, ich schmecke Kokos (wirklich!) heraus, eine sanfte Süsse, Spargel, erdig, duftig. Sie wirken "voll", dicht, nie wässrig und leichtgewichtig wie manchmal andere Kohlrüben. Einzigartig ist auch ihre Konsistenz. Gekocht zerfallen sie zwar nicht so schnell, werden aber trotzdem cremig weich, man kann sie fast mit der Zunge zerreiben. Für mich ein fabelhaftes Gemüse.



Wo kommen sie her, wer baut sie an?

Angeblich kamen Teltower Rübchen über Schweden oder Polen nach Deutschland, andere Theorien sprechen von den Niederlanden. Vor allem in Schweden entstanden im Spätmittelalter auch diverse Herbstrübensorten. Die Wildform von Rübsen kommt allerdings aus Südasien. Irgendwo auf dem Weg zu uns sind sie entstanden. Bis zur Ankunft der Kartoffel waren Speiserüben generell ein wichtiges Lebensmitel. Die ganze Speiserübenwelt ist uralt, schon seit über 2000 Jahren werden sie vom Mittelmeerraum bis China angebaut, Rübsensamen aus Kulturen sind schon aus der Zeit von vor 4000 Jahren in Mitteleuropa nachgewiesen. Welche Unterarten sich wann und wo abgetrennt haben, ist nicht mehr feststellbar. 

Im 18. Jahrhundert werden die Teltower Rübchen jedenfalls in Deutschland zur Spezialität, im 19. Jahrhundert zur Delikatesse. Goethe liess sie sich mit einem Eilboten bringen, Fontane liebte sie, sie wurden bis Portugal exportiert, in Frankreich wird sie von Napoleon geschätzt. Lange Jahre wird sie nur im Sandboden der Mark Brandenburg angebaut, dort aber massenhaft. Wie die gesamte übrige Esskultur Deutschlands erlebte das mit dem ersten Weltkrieg einen herben Absturz, ab dann ist nur noch satt werden um jeden Preis angesagt. In der DDR war sie nicht als Gemüse im Wirtschaftsplan vorgesehen, sie stirbt fast aus, nur noch ein paar Hobbygärtner haben sie. Mit ihrem Untergang trat eine bis heute dauernde Begriffsverwirrung mit anderen Speiserüben ein, sie wird seither mit anderen Speiserübensorten verwechselt, z.B. dem "Mairübchen Petrowski", aber das ist kein Teltower Rübchen. Die süddeutsche Saatgutfirma Hild aus Marbach rettete sie nach dem Ende der DDR und vermehrte sie wieder.

In Teltow auf sandigen Böden sollen sie das beste Aroma entwickeln, aber eigentlich ging es beim Rübenanbau am meisten darum, auf sandigen Böden mehr Verwertbares zu ernten. Vor allem etwas, das man sogar noch spät im Vegetationsjahr, nach der Getreideernte aussäen kann und das trotzdem noch reif wird. Das Prinzip: Ein Feld, zwei Ernten im Jahr. Das klappte mit Herbstrüben und eben auch mit den leckeren Teltower Rübchen. Teltow liegt direkt an der südlichen Stadtgrenze nach Berlin. Dort hat man erst nach der Wende die Rübchenspezialität wiederentdeckt und sich sogleich 1993 den Namen "Teltower Rübchen" als Marke schützen lassen. Wer Teltow und die Rübchen heute kennt, wundert und ärgert sich aber. In und um Teltow hat man wie so oft im heutigen Deutschland nichts unterlassen, um gründlich alles zu vernichten, auf dem etwas natürliches wachsen könnte, was im Kreislauf der Natur liegt. Gewachsen ist nur Beton und Zerstörung. Teltow wurde rasend schnell und mit voller Absicht zu einem hässlichen, verpanschten Brei aufgebläht, der in den überall bekannten kaputten Mischung aus furchtbaren neuen "Wohnparks", riesigen metastasierenden Blechhallen-Industriegebieten, Baumärkten, Strassen, Müllverarbeiter, quadratkilometergrosse LKW-Aufmarschplätze von "Logistikern" verwandelt wurde. Die Entwicklungen sind kein Einzelfall, überall läuft das so im engen Land, wir haben es auch vor der Haustür. Die Teltower Rübchen werden absehbar nur noch mit Rüben bepinselte LKW-Anhänger sein oder Einzelexemplare aus einem einsamen Winz-Restgärtchen hinter einem der endlosen neuen Bürgerpalastwüsten mit Schottergarten, Dreifachgarage fürs SUV und Wohnmobil, Riesenterasse, Grillplatz. Im stetigen Bestreben, Ressourcen gründlich zu vernichten, das Land mit Quantität zu verrümpeln statt Qualität wachsen zu lassen, ist der Anbau in Teltow heute stark zurückgegangen. Es gibt nur noch einen einzigen beruflichen Bauern, der sie im Anbau hat, in einem Zeitungsinterview sagte er "Zudem verlieren wir auch immer mehr Fläche, weil zurzeit nahezu jeder Krümel Bauland wird." Trotz gutem Absatz kann er nicht mehr liefern, auch wenn er will. Es gibt kein Land mehr zu pachten, er kann nicht bewässern weil er keine langfristigen Verträge bekommt, Investitionen in Leitungen und Brunnen wären also verloren. Hauptanbaugebiet ist mittlerweile Vierlanden bei Hamburg, es sind also eigentlich Hamburger Rübchen geworden und sogar in der Schweiz gibt es nun kommerziellen Anbau. So schafft es "Entwicklung" in Teltow nachhaltig zu zerstören, was Weltkriege und Diktaturen nicht geschafft haben.


Der Anbau

Gut entwickeltes Laub von Teltower Rübchen

Oft wird behauptet, nur in den Sandböden Brandenburgs würden sie ihre spezifischen Qualitäten entwickeln. Das kann durchaus sein, bald wird das niemand mehr vergleichend nachprüfen können weil auf dem "entwickelten" Beton und Blech Teltows nichts mehr wachsen kann. Aber eins weiss ich genau: Sie schmecken vielleicht nicht wie früher aus Teltow, aber auch aus dem eigenen Garten immer noch recht gut. Selbst wenn sie hier weitab von Sand und Brandenburg wachsen. Zum Beispiel in einem flachgründigen, tonigen Boden mit hohem Kalkgehalt, einem Klima das selten Fröste vor Mitte November kennt und sehr trockene Jahre die Regel sind. Eigentlich das genaue Gegenteil von den Bedürfnissen der Teltower Rübchen. Trotzdem: Nach einigen Jahren Anbau habe ich im Vergleich zu vielen anderen Kohlgemüsen sogar den Eindruck, dass es eine problemarme Kultur ist.

Keimung und sofort Schaden durch Kohlerdflöhe

Die runden, für Kohlgemüse kleinen Samenkörner werden Ende August bis Anfang September ausgesät. Empfohlen wurde früher im Bauernkalender der 5. August, dann Mitte August, aber das ist meiner Erfahrung nach heutzutage viel zu früh für die meisten Gegenden. Dann wird schon die erste Überraschung sichtbar: So gut wie Teltower Rübchen keimt kaum was. Selbst bei Hitze laufen sie recht gut auf. In jedem Boden. Ein bisschen giessen reicht. Gesät wird 1-2 cm tief im 10cm - Abstand. Da sie nach der Hauptzeit des Kohlerdflohs wachsen, ist ein Befall mit den typischen Löcherblättern zwar noch vorhanden, aber meist kontrollierbar. Blattkrankheiten sorgen manchmal für Ausfälle, aber aufgrund der kurzen Vegetationsdauer von acht Wochen erntet man die Rübchen dann halt etwas früher und sie bleiben kleiner, aber auch das verursacht keinen Totalverlust.

Rausziehen: Ernte

Wasser benötigen sie auch nicht mehr oder gleichmässiger wie andere späte Kohlgemüse. Sie wirken sogar genügsamer und robuster. Giessen muss man sowieso in unserer trockenen Gegend. Haben sie weniger Wasser, schaffen sie es trotzdem, nur die Rübchen bleiben kleiner. Dieses Jahr stimmte alles, der Herbst wurde im Oktober feucht, kühl aber ohne Frost. In Jahren mit viel Sonne und trockener Luft lief es weniger gut, aber noch gut genug. Auffallend war diesmal die gute und reichliche Laubentwicklung. Die Wurzelbildung verzögert sich dadurch offensichtlich etwas, setzte dann aber um so stärker ein. 

Neben Paprika

Der Anbau funktioniert auch, wenn Anfangs Halbschatten herrscht. Sogar besser. Ich pflanzte sie auch zwischen Paprikapflanzen. Dort waren sie im Jungstadium stärker beschattet, bekamen aber herrliches fettes Laub und anschliessend dicke Wurzeln. Die Paprika wurden im Herbst abgeräumt, die Rübchen blieben und wuchsen ungerührt stetig weiter.


Ernte

Ab Mitte Oktober ziehe ich die ersten Rübchen aus dem Boden. Auch kleine Rübchen sind schon gut. Sie wachsen sowieso sehr ungleich, manche Pflanzen entwickeln sind gar nicht, andere bekommen richtig dicke Knollen mit bis zu 200g Gewicht (mein Rekord bisher). Vielleicht ist die Unterschiedlichkeit der tatsächliche Nachteil bei Anbau in weniger geeigneten Verhältnissen. Mehrbeinigkeit ist auch häufiger, aber das ist ohnhin ein generelles Problem in schwerem Boden mit Steinen drin. Erntehöhepunkt ist Anfang November, also etwa acht, neun Wochen nach Aussaat. Ihr Fleisch ist dann unabhängig von der Grösse noch fast weiss, fest und sehr dicht, markig, auch brechend beim schneiden. Danach lassen sie nach und die beige Wurzel bekommt langsam schwarze Fasern unter der Wurzelhaut. So etwas ist auch bei überständigen Rettichen oft zu sehen oder wenn die Pfanzen im Stress sind, z.B. bei Befall durch die Kohl- oder Rettichfliege. Aber essbar sind sie noch, nicht holzig, die Aromen werden mit der Zeit langsam kohliger und weniger fein.

Wird langsam überreif - erste Fasern werden dunkel

 

Verarbeitung und Verwendung

Nach der Ernte werden sie abgebürstet, vor weiterer Verwendung geschält, genau wie die meisten anderen Wurzelgemüse, Beispielsweise gelbe Rüben. Das ist etwas mühsam, denn die Rübchen sind klein und die Verwachsungen sind nicht gerade schälfreundlich. Durch das schlechtere Verhältnis von Aussenfläche zu Inhalt gibts viel Schälabfall. Das muss beachtet werden, wenn man nach Rezept kocht und eine bestimme Menge Rübchen benötigt. 

Rübchen waschen und schälen, viel Schälabfall
Schäumt kräftig

Brutto bei der Ernte ist deutlich mehr wie Netto vor dem kochen. Anschliessend gemäss Rezept in Stücke schneiden oder nicht, in kochendem Wasser blanchieren oder direkt in einer Sosse kochen. Dabei zeigt sich ein besonderer Effekt: Es entsteht auf dem Kochwasser ziemlich viel und standfester Schaum und das Wasser wird auch schnell trübe. Wahrscheinlich verursacht das ihre vergleichsweise hohe Konzentration von Inhaltsstoffen, von denen sich etwas während des Kochvorgangs im Wasser löst.

Glasiert mit Zucker, Butter, Rotweinessig

Zur Verwendung gibt es unzählige Rezepte im Internet. Wir essen sie am liebsten in Stücken blanchiert, dann mit Butter, wenig Zucker und einem Säurungsmittel wie Agrest angeschwitzt, eventuell noch in Petersilienblättern gewälzt, also ganz einfach. Andere Leute schwören auf eine Cremesuppe aus Rübchen oder bevorzugen sie klassisch, in dicken Sossen, was wir auch gerne machen. Auch als Rohkost oder in Eintöpfen hat sie Liebhaber. Egal was: Etwas Säurezugabe ist immer gut. Und Butter harmoniert immer sehr gut damit. Den guten Eigengeschmack sollte man nicht mit vielen starken Gewürzen übertönen. Andere Speiserüben vertragen das besser, das sind mehr Resonanzböden für Gewürze. Die Teltower Rübenddiva möchte dagegen selbst glänzen und im Mittelpunkt stehen.

 

Lagerung

Am Besten finde ich sie erdfrisch aus dem Boden. Abgebürstet und ohne Laub halten sie sich im Kühlschrank eine Woche, am Besten im Null-Grad-Fach. Sie lagern sich auch einfach bis ins Frühjahr in einer Sandkiste, genau so wie andere Speiserüben, Pastinaken, gelbe Rüben, rote Rüben, Topinambur. Tiefgefrieren habe ich noch nicht ausprobiert, müsste aber angesichts der gekochten Konsistenz gehen - die Stücke blanchieren und dann einfrieren.


Fazit

Die kurze Entwicklungszeit, gute Eignung als Nachkultur, ihre Robustheit und die "Leckerei, die man nicht kaufen kann" machen sie zur idealen Herbstkultur im Hausgarten. Nach einigen Jahren Test damit sind sie nun in mein Stammsortiment der regelmässig angebauten Gemüsesorten gekommen.

Dienstag, 17. Oktober 2017

Unser Kohlrübenwinter

Steckrübe Wilhelmsburger, Gewicht
der Knolle 1kg - ideal
Heute haben wir die Erste "gezogen". Eines der wenigen Kohlgemüse, die noch in unserem Nutzgarten gelingen sind die einst vielgehassten Kohlrüben oder auch Steckrüben, Erdkohlrabi, schwedische Rübe, Wruke, Butterrübe, Unterkohlrübe oder Unterkohlrabi genannt. Legendär wurde der "Kohlrübenwinter" 1916/17, in dem die eigentlich für Tierfutter vorgesehene Kohlrübenernte aus geschmacklich minderwertigen Sorten in einer Notmassnahme beschlagnahmt wurde, geschnitzelt und getrocknet als Ersatzlebensmittel aufgrund des Kartoffelmangels verteilt wurde. Dann gab es den gesamten Winter und Frühling lang täglich Kohlrübensuppe, Kohlrübenmarmelade, Kohlrübenschnitzel, Ersatzmarzipan aus Kohlrüben und die armen Futter-Kohlrüben wurden zum meistgehassten Lebensmittel Deutschlands. In bitterem Humor wurde sie "ostpreussische Ananas" genannt. Sie ist kalorienarm, hilft nur gegen das Hungergefühl aber bringt wenig Energie, nicht einmal die Hälfte von Kartoffeln. Um den Tagesbedarf an Kalorien zu decken, müsste man täglich mindestens sieben Kilo davon essen. Nicht zuletzt deshalb hat sie nicht über den Hungerwinter geholfen, damals starben fast eine Million der geschwächten Menschen an Unterernährung. Positiv vermarktet wird sie heute als "Schlankheitsgemüse", angesichts ihrer Geschichte in Hungerzeiten ebenfalls nicht ohne Ironie.

Wo sie beliebt blieben

In Deutschland brach der Anbau sofort zusammen, als es wieder mehr Lebensmittel gab, die meisten Sorten sind verloren und erloschen, auch in der Literatur als sehr gut beschriebene Sorten. Durchgängig populär geblieben sind sie aber in Grossbritannien und Skandinavien mit Zentrum Schweden, sogar in den USA war sie früh bekannt. Das drückt sich auch im englischen Wort für die grosse gelbe Variante aus: "swede" oder "rutabaga", entlehnt aus einem alten schwedischen Dialektwort. Um 1620 wurde sie in Schweden als wild vorkommend bezeichnet, botanisch ist sie eine vielleicht zufällige Kreuzung aus Brassica rapa (Rübsen, Herkunft Südeuropa) und Brassica oleracea (Gemüsekohl, Wildkohl, wächst an Küsten), entstanden vermutlich in Skandinavien. Genetisch stehen sie somit dem Raps (ebenfalls eine rapa und oleracera - Kreuzung) näher wie anderem Kohlgemüse.
Steckrüben heissen sie in Deutschland nach ihrem beliebtesten Anbausystem. Man hat die Futtersorten früher ab Mai oder Juni gesät und im Juli auf abgeerntete Frühkartoffelfelder verpflanzt, sie "gesteckt". Im Herbst hat man die Schweine aufs Feld getrieben, die sie abgefressen haben oder sie wurde aus der Erde gezogen, geerntet und im Stall verfüttert.

Heute tauchen sie wie alle zeitweilig unpopulär gewordenen alten Sorten auch in der Gourmetküche auf, liegen im Spezialitätenregal und werden auf edlen Marktständen feilgeboten, vor allem in Norddeutschland. Weiter südlich wächst sie aber ebenso gut. Bereitet man gute Sorten richtig zu, schmecken sie zart, voll und süss mit einer leichten Senfölschärfe, ein Genuss den man ihnen nicht zugetraut hätte. Gelbe Sorten schmecken besser, am häufigsten wird in Deutschland die langsam wachsende aber gross werdende "Wilhelmsburger" angebaut. Sie ist von gelber Fruchtfleischfarbe mit leicht grünlicher Schale oder nur ein Kragen, wird recht gross, hat ausladende Blätter von blaugrauer Farbe, eine lange Vegetationsdauer. Sie wird bereits im Frühling ausgesät und erst ab Herbst gegessen. Um gut zu werden, benötigt sie Zeit und Sonne. Ich habe sie auch jährlich im Anbau, ausserdem mit wechselndem Erfolg verschiedene schneller wachsende verwandte Mairüben, gelbe wie weisse mit und ohne violettem Kragen. Die sind etwas für eigene Beiträge, diesmal will ich mich nur auf Steckrüben konzentrieren.

Sorten

Saatgut ist meistens nur für "Wilhelmsburger" zu haben - eine wirklich gute und robuste Sorte, aber mit etwas Aufwand bekommt man noch "Best of All", die mit ihrem optisch attraktiven lila Kragen im Supermarkt häufiger ist; weiterhin "Magress" und die helle "Tyne", eine F1-Hybride. Auch mein Favorit ist ganz klar "Wilhelmsburger", sie bringt die schönste Süsse, hat Aroma ohne wirklich kohlig zu werden, wird wenig von Krankheiten befallen. Die violettschaligen Varietäten mögen besser aussehen, sind aber neutraler im Geschmack. Wer auf besonders "mild" steht, wird damit auch glücklich sein. Die Konsistenz der Sorten ist ähnlich. Roh wie Kohlrabi, aber mit höherer Dichte. Gekocht wie eine Kartoffel, wird bald weich und lässt sich dann leicht zerdrücken.

Der Anbau

Steckrübenreihe
Bislang habe ich "Wilhelmsburger" nicht "gesteckt", sondern immer gleich an dem Ort ausgesät, an dem sie auch später reif wurden und höchstens zu dicht stehende Pflanzen beseitigt. Ich traue der Verpflanzung im Juli nicht. Das Klima ist anders als in Ostpreussen, im Juli ist es oft brüllend heiss und umgepflanzte Jungpflanzen verbrennen innerhalb kürzester Zeit. Ihr Wuchsabstand sollte mit 30cm, besser 40cm relativ gross sein, zu eng stehende Pflanzen entwickeln aus Sonnenmangel keine grossen Knollen und bekommen weniger Süsse. Für ein Kohlgemüse zeigt sich die Pflanze aber robust und klimatisch anpassungsfähiger wie Gemüsekohl. Sie keimt auch unter relativ trockenen Bedingungen, ich habe einmal überlagerten Samen in eine trockene Ecke geworfen und wunderte mich anschliessend, wie gut viele Pflanzen trotzdem aufgingen, Knollen bildeten, besser noch als auf meinem vorbereiteten Beet. Für einige typische Geisseln des Kohls ist sie weniger anfällig, die Kohldrehherzmücke war zum Beispiel noch kein Problem. Sie schosst nicht, die weisse Fliege kommt vor aber schädigt nichts wirklich, Kohlerdflöhe sind zwar für Jungpflanzen sehr schädlich aber älteres Laub können sie nicht mehr schädigen, ganz im Gegensatz zu Kohlpflanzen wie Chinakohl. Steckrüben entwickeln arttypische blaugraue (an der Farbe kann man kleine Pflänzchen bereits identifizieren) Blätter mit Wachsüberzug, der einen Schutz gegen Kohlerdflöhe darstellt. Leider kann der Schädling die Keimblätter und ersten Jungblätter noch angreifen. Ein Problem sind Windböen (Gewitter!) an Jungpflanzen. Sie knicken an der Nahtstelle von Wurzel und Stengel. Später droht Raupenfrass, Fäulnis im Herz der Blattrosette.
Genetzte Ackerschnecke, tagsüber zwischen
Steckrübenblättern versteckt
Faulende Kohlrüben lösen sich von innen her in Schleim auf und stinken erbärmlich, man riecht sie bereits aus der Entfernung. Schnecken fressen an den Blättern, vor allem die weisse Gartenschnecke vergreift sich sogar noch im Spätherbst daran und zieht gerne komplett zu den Blättern hoch. Sieht man den typischen Lochfrass, sollte man die Unterseite der Blätter absuchen, dort kleben die Schädlinge tagsüber zwischen zwei übereinanderliegenden Blättern.

Insgesamt ist ihre Anbausicherheit im Vergleich zu fast allen anderen Kohlgemüsearten hoch. Nur Broccoli geht ähnlich gut. Der Rest des Kohls hat im trockenwarmen, flachgründigen Nutzgarten und bei der Klimarealität der Gegenwart weit grösserere Probleme und Ausfälle.

Ernte 

Faulende Kohlrübe
Ab Oktober geht es an die Ernte. Wir essen sie kontinuierlich, lassen noch nicht geerntete Rüben meist bis Dezember auf dem Beet, sie vertragen leichten Frost. Bei -4°C würde ich die Grenze ansetzen, eine Nacht mit -8°C führte zu Totalschaden, der Bereich dazwischen führt zu verfrühter Verholzung. Spätestens Dezember werden sie gezogen, oberflächlich gesäubert und kommen in eine Kiste mit feuchtem Sand, die in der kühlen Aussengarage steht. Bis März schmeckt sie gut, dann wird sie holzig. Ein richtiges Wintergemüse. Leider keines, das die Kinder mögen. Wahrscheinlich, weil Papa davon zu sehr geschwärmt hat. Knapp zugeteilt und nicht angepriesen wären sie sicher beliebter.

 

Zubereitung

Halbierte Knolle. Oberen Teil grosszügig abschneiden.
Blanchiert, paniert und in Fett ausgebacken mag ich sie am liebsten. Auch als einfache Beilage sind sie gut, nur gesalzen. Man kann sie in Streifen hobeln und wie Rösti zubereiten. Oder gekocht pürieren. Gewürze wie Kreuzkümmel oder Curry passen, frische Gewürze wie Dill, Blattkoriander und weitere. In Finnland ist ein gut gewürztes Weihnachtsgericht aus Kohlrüben Tradition. Aufpassen sollte man nur, dass Steckrüben nicht zu lange gekocht werden, sondern nur bis sie gerade weich sind. Zu lange gekocht wird die Süsse schwächer, der kohlige Ton stärker. Wohl bekomms. Gute Steckrüben im Winter zu haben ist heute erfreulich und glücklicherweise kein Zeichen für eine Hungersnot mehr.