Dienstag, 22. März 2022

Das Tomatenjahr beginnt - bitte ohne Braunfäule

Braunfäule Phytophthora infestans, erster Blattbefall

Alle Jahre wieder: Jungpflanzenanzucht von Tomaten ist ab Mitte März wieder angesagt, nach den Paprika, vor den Gurken, Melonen, Kürbissen. Nach der Braunfäulekatastrophe letztes Jahr werden vermutlich einige Nutzgärtner dieses Jahr einen stärkeren Drang zu anderen Anbautechniken und einem robusteren Sortenspektrum verspüren. 

Die Tomatenseuche

Eigentlich ist die Braunfäulekatastrophe schon 40 Jahre älter. Bis Anfang der 1980er Jahre gab es damit wenig Probleme im Tomatenanbau. Der verursachende Braunfäulepilz Phytophthora infestans ist zwar seit 1845 nach Europa eingeschleppt worden, verursachte die bekannte Hungersnot in Irland weil auch Kartoffeln befallen werden, aber die damals und danach noch einmal eingeschleppten Stämme waren nur zu nichtsexueller Vermehrung fähig und es konnten bald resistente Sorten gezüchtet werden. Danach passierte, wovor Biologen dringend gewarnt hatten: Eine zur sexuellen Vermehrung fähige Variante wurde aus Amerika um 1980 nach Europa eingeschleppt. Sie kann sich ständig genetisch verändern und rekombinieren. Seither ist Feuer unterm Tomatendach und hat einigen Nutzgärtnern Freilandtomaten regelrecht ausgetrieben. Faulende Früchte, sterbende Pflanzen im Sommer, das macht keinen Spass. Bis vor zehn Jahren waren alle Sorten stark anfällig, ganz langsam gelang es, ein paar wenige robustere Sorten zu züchten - erst einmal nicht in Europa.

...dann an Stengeln

Freilandtomaten sind auch in privaten Gärten eine Seltenheit, denn der Pilz benötigt Luftfeuchte, Wasser, um sich zu vermehren. Die meisten Leute bauen sie deshalb unter Folie an, unter Dachüberständen im Topf, im Gewächshaus. Das ist speziell bei Tomaten ausgesprochen schade, denn nur im Freiland entwickeln sich auch kräftige Aromen. Foliendächer filtern UV-B Strahlung der Sonne, die für die Aromabildung wichtig ist. Hinzu kommt manchmal erheblicher Aufwand für die Dachkonstruktionen und der traurige optische Eindruck einer Hüttenlandschaft im Garten. Man kann zwar von seinen Foliendachtomaten schwärmen und besser als Supermarktware sind sie meist auch, aber man sollte dann auch einmal den direkten Vergleich mit einer voll besonnten Freilandpflanze gleicher Sorte machen, das öffnet die Augen und die Geschmacksknospen. Zudem sind die Zeiten grosser Tomatenbeete vorbei, man quetscht sie nun unter ein begrenztes Tomatendach. Das Tomatenjahr im Freiland ist ansonsten kurz geworden, ab Mitte Juli droht Totalausfall durch Braunfäule, meist ist es Mitte August so weit, wenn die Nächte kühler und taufeuchter werden.

Noch eine Seuche: Alternaria

Alternaria an Tomatenblättern

Die Jahre vor 2021 gab es aufgrund sehr trockener Jahre drei Jahre lang weniger Braunfäule, dafür mehr Alternariabefall. Diese Krankheit kann man am Anfang nicht immer von Braunfäule auseinanderhalten. Alternaria kommt früher im Jahr, schon bevor sich Braunfäule breitmacht, die braunen Blattnekrosen sind oft gezont und haben im Gegensatz zu Braunfäule immer einen gelben Hof. Alternaria ist zum Glück selten ein kompletter Spielverderber. Braunfäule verbreitet sich hingegen rasend schnell, zerstört auch die Stengel und Früchte, die ganze Pflanze ist hin.

Hausmittel, Stärkungsbrühen haben sich in Versuchen gegen Braunfäule als nutzlos erwiesen. Pflanzenschutzmittel, Fungizide existieren leidlich, sollen aber hier nicht Thema sein. Nutzgärtner greifen sowieso nur höchst ungern oder gar nicht zu solchen Mittel. Am liebsten mogeln wir uns an den Krankheiten vorbei, durch gute Anbaubedingungen, Hilfsmittel wie die genannten Foliendächer und resistente Sorten, sofern vorhanden und qualitativ brauchbar.

Züchtung resistenter Sorten

Endphase Braunfäule

Solche Sorten existieren mittlerweile, aber der Weg dorthin war sehr lang, die Züchtung begann in den USA schon 1940 und es gibt noch Vieles zu verbessern. Einen sehr grossen Schritt erreichte Dr. Randy Gardner (der heisst wirklich so) von der North Carolina State University, er stellte im Jahr 2010 mehrere klassisch gezüchtete Tomatensorten mit erstmals multigenetisch verankerter Resistenz vor. Er nutzte dafür sehr kleinfrüchtige, Wildtomaten nahestehende Resistenzträger. Ergebnissorten aus dieser Züchtung waren unter anderem Defiant, Iron Lady, Jasper, Mountain Magic, Mountain Merit und noch ein paar mehr. Leider alles F1-Hybriden. Das löste Hoffnungen und Aktivitäten anderer Leute aus, so dass heute noch ein paar mehr Sorten verfügbar geworden sind. Kräftig beworben wird "Primabella", "Rondobella", verfügbar sind "Buffalosun", "Consuelo", "Honey Moon", "Crimson Crush". Weitere Sorten nennen sich zwar Resistent, haben aber nur einfache Resistenzen, die nicht lange halten. Beispiele: Philovita (Züchtung von De Ruiter Seeds, eine Marke von Bayer-Monsanto), Fantasio. Von denen halte ich nicht viel, die Samen sind so teuer wie wirklich resistente Sorten, Braunfäulebefall findet nur leicht verzögert statt.

"Defiant" habe ich im Anbau, seit die ersten Samen nach Europa gekommen sind und seither noch viele resistente Sorten mehr. Diese Sorten sorgten vor allem letztes Jahr dafür, dass ich Tomaten bis in den Herbst ernten konnte, während Nachbarn und Bekannte in ungünstigen Jahren pünktlich zur Haupterntezeit ab Ende Juli alles abräumen mussten - Totalschaden. Auch meine klassischen Sorten gingen über den Jordan, auch danebenstehende resistente Neuzüchtungen bekamen mit der Zeit ein paar Symptome, das blieb aber fast immer begrenzt, sie lebten, fruchteten ungerührt weiter. Und mehr noch: Seither gelingt es sogar wieder, Tomaten extensiv im Freiland anzubauen, ohne Dach. Speziell "Defiant" ist teilweise determinant und wird nicht besonders hoch. Man kann diese Sorten ohne grosse Pflege in einem Aussengarten setzen, einmal am Spiralstab festmachen und dann mit wenig Aufsicht wachsen lassen. Das ist ideal, wenn man viel Tomatensugo und getrocknete Tomaten für den Winter haltbar machen will. Einmal die Woche hingehen und schwungweise ernten, kochen, passieren, abfüllen.

Nun mal einige meiner eigenen Sortenerfahrungen mit diesen neuen Sorten hier im Freilandanbau:

Defiant

Tomate Definant abgeerntet, Ende August
im Braunfäulejahr 2021 - kaum Befall.

Darüber steht schon einiges weiter oben. Es ist die Sorte, zu der ich immer wieder zurückgekommen bin. Wuchs problemlos, wird im Freiland 100 bis 150cm hoch, im Gewächshaus auch höher. Ideal für extensiven Anbau. Fruchtet und reift früh und reichlich und dann bis zum Frost, so ganz echt determinant ist sie glücklicherweise dann doch nicht. Dankbare Sorte mit guten Erträgen. Pflanze wird bei guten Infektionsbedingungen nur punktuell von Braunfäule befallen, wächst weiter, fruchtet weiter. Tomaten etwas uneinheitlich in der Grösse, die Meisten haben typische 70-100g mit viel Fruchtfleisch, im Stil wie eine kleine Fleischtomate. Ihr Aroma ist wirklich gut, voller Tomatengeschmack, volle Farbe, schöne Konsistenz. Nicht platzempfindlich. Für alle Verwendungen, besonders Sugo. Nachteile hat sie auch: Eine stark erhöhte Anfälligkeit für Blütenendfäule, vor allem bei heissem Wetter. Calcium verbessert diese Mangelerscheinung. Ich habe das einfach in Kauf genommen, schwarze Stellen abgeschnitten und die Frucht weiter zu Sosse verkocht.

Honey Moon

Riesiger Nabel

Fleischtomate. Wuchs bis 180cm. Reife etwas spät, Erträge unterer Durchschnitt. Tomaten >200g, gleichmässig, hat einen leicht himbeerartigen Farbton, aber nicht richtig Pinkrosa. Auf Fotos sieht man das oft nicht richtig. Haut ist ziemlich hart. Die Früchte haben einen charakteristischen grossen Nabel, sie lösen etwas schwer vom Stengel, auch wenn sie reif sind. Man sollte sie wirklich ganz ausreifen lassen, dann erreichen sie erst ihre Güte. Aroma ist gut, tomatig, mit Säure und Schmelz. Platzt nicht. Blütenendfäule kommt vor, wie auch bei den meisten anderen Sorten von Gardner. Ich vermute, der Resistenzträger brachte das in die Zuchtlinien.

Tomate Honey Moon Schnittbild
Tomate Honey Moon Strauch

 


Cocktail Crush

Tomate Cocktail Crush

Die meisten braunfäulefeste Sorten sind eher klein, es gibt überdurchschnittliche viele "Naschtomaten" oder Kirschtomaten, Cocktailtomaten. "Cocktail Crush" ist auch sowas, Früchte um 50g. Grosse Pflanze, wächst in die Höhe, Erträge durchschnittlich, mittelfrühe Sorte. Braunfäulefest, auch keine Alternaria gesehen. Aroma durchschnittlich. Nach zwei Jahren habe ich sie aussortiert, denn sie hat einen gravierenden Nachteil: Sie platzt bei mir zuverlässig am Stock nach Regen. Was soll ich mit einer Tomate, die nach Regen platzt, wo doch der Hauptvorteil einer braunfäuleresistenten Sorte der Freilandanbau ohne Folie ist?

Mountain Merit

Ähnelt in Allem der Sorte "Defiant", konnte sie teilweise nicht gut unterscheiden. Früchte tendentiell etwas grösser, Pflanze auch, Erträge gleichhoch, Blütenendfäule nicht besser. Früchte etwas weicher. Ersatz für "Defiant", falls man die nicht bekommt. Vorsicht: Eine andere braunfäulefese Sorte heisst "Mountain Magic", nicht verwechseln. "Mountain Magic" hat kleinere Früchte, nur max. 60 Gramm schwer. Auch sehr gut, aber aber eben nur eine Cocktailtomate.

Iron Lady

Noch ein naher "Defiant" Verwandter.  Diese Dreiergruppe zeigt wenig Unterschiede. Sie wirken alle wie kleine Fleischtomaten, recht gut im Aroma, hinreichend gut braunfäulefest. In dieser Gruppe kann man nichts falsch machen, wenn man mit Blütenendfäule klar kommt.

Consuelo 

Eine Kirschtomate. Wuchs über 180cm, geht in die Länge. Aroma durchschnittlich, platzt nicht, keine Blütenendfäule, die bei Kirschtomaten sowieso selten vorkommt. Erträge etwas schwach. Wenn schon Kirschtomate, dann wenigstens viele der kleinen Früchte. Erwies sich als nicht ganz so braunfäulefest wie die anderen Sorten, unter starkem Befallsdruck wird sie schliesslich deutlicher krank. Damit fraglich, denn an braunfäulefesten Kirschtomaten herrscht sowieso kein Mangel. Als "robust" kann man sie aber definitiv ezeichnen.

Weitere Sorten

Daneben schwirren noch einige Sorten herum, die oben schon genannt wurden, sie werden auch als recht braunfäulefest gepriesen, Sunviva etwa. In Feldversuchen hat sich das aber nicht bestätigt, diverse Nachteile hat sie auch noch, etwa sehr platzanfällig. Jahrelang geisterte ferner "De Berao" durch die endlosen Abschreiberartikel, die Sorte ist allerdings sogar stark anfällig und taugt geschmacklich wirklich nichts. Einige andere Sorten sind aber durchaus tauglich, meine Erfahrungen sind jedoch noch nicht langjährig genug, um da belastbare Aussagen zu machen. Wer probieren will: Primabella (gleicher Züchter wie Sunviva, Dr. Bernd Horneburg / Göttingen) und Rondobella, Resibella, Vivagrande; Rubylicious (Kirschtomate), Buffalosun (gelbe Fleischtomate, USA) und Gourmansun (gelbrote Ochsenherztomate), Paoline und weitere. So oder so: Endlich Sorten, die man im Freiland ausprobieren kann!

Woher bekommt man diese Sorten?

Einzelne Sorten haben den Weg ins Standardsortiment grosser Endkundensamenverkäufer gefunden. Bezugsquellen: Iron Lady gibt es bei Pötschke, Honey Moon hat Sperli im Programm, Rondobella und Andere gibts von Culinaris im Samenhaus. Kiepenkerl hat Primabella. Bobby Seeds hat mehrere Sorten. Mit diesen Stichworten und Sortennamen findet man genügend Händler oder auch Grosshänder wie beringmeier.de. Ich bin ziemlich sicher, dass solche Sorten in wenigen Jahren auch bei Nutzgärtnern einen festen Platz im Anbau haben. Bei mir haben sie das schon länger. Das ist so erfolgreich, dass Manche vermuten, ich würde nachts mit einem bösen Spritzmittel heimlich Tomatenpflanzen behandeln, anders könne man ja keine Freilandtomaten wachsen lassen. Ein Nachbar baut riesige Dachkonstruktionen, ein Anderer geht auf frühe Freilandernten, bevor er seine befallenen Stöcke leider abräumen muss. Mein Hinweis auf die neuen Sorten verhallte (noch?), Phytophthora infestans und Folien-, Balkenverkäufer freut es.

Donnerstag, 10. März 2022

Die Selbstversorgerphantasie

Selbstversorger- aber nur Gemüse, kaum Nährmittel

"Selbstversorger" ist seit einiger Zeit ein absoluter Modebegriff. Das ist eigentlich recht witzig, denn der Begriff ist schlichtweg eine Lüge. Niemand in Mitteleuropa schafft es, Selbstversorger zu sein. Es sind so wenig Leute wie nie auch nur annähernd Selbstversorger und auch ganz Deutschland kann sich nicht einmal annähernd selbst von dem versorgen, was hier wächst.

Selten gehen Wünsche und Realität von Nutzgärtnern so weit auseinander wie bei diesem Begriff. Gross wird in allerlei Videos, Webseiten, in sozialen Netzen durch endlos Experten und Grünfingern von Selbstversorger-Methoden berichtet. Manche Leute stellen komplexe Rechnungen auf und fragen sich, wie gross der Garten sein muss, wieviel man anbauen muss um die Selbstversorger-Ehrenmedallie zu verdienen. Aber Selbstversorger ist gar niemand, auch nicht Leute die auf viel bebaubarem Land sitzen. Wer es nicht beruflich macht, kann nicht einmal Grundzutaten für tagtäglich gegessene einfachste Lebensmittel selbst herstellen. Praktisch alle Kalorien, alle Sattmacher, alle Nährmittel, Zucker wachsen kaum in unseren Nutzgärten. Wo sind sie, die Getreidesorten für unser Brot, Gebäck und unsere Nudeln? Wo im Garten stehen die Pflanzen und/oder Tiere für Fett und Öl? Wo wachsen unsere Hülsenfrüchte für genug Proteine, die Linsen, die Soja- und Kernbohnen, die Kichererbsen? Selbst der Kartoffelbedarf lässt sich aus den allermeisten Gärten nicht decken. Eier, ja, mit Hühnerhaltung, aber woher nehmen wir das Hühnerfutter? Das gilt auch für andere Tiere. Kuh, Schwein? Schafe sind leicht populärer geworden - bei den wenigen glücklichen Leuten, die grosse Liegenschaften geerbt, angeheiratet oder mit Millionen gekauft haben. Jedoch auch da: Butter, Käse, Milch haben, nur mit Schafen - viel Spass.

Selbstversorgung mit Tomaten gelungen

Letztlich bedeutet der Begriff "Selbstversorgung" immer nur, dass man mit viel Einsatz in einigen Monaten etwas Gemüse und Obst aus eigenem Anbau hat und ein paar wenige platzprivilegierte Tierhalter noch einige wenige tierische Produkte erwirtschaften, wobei sie relevante Anteile des Tierfutters dazukaufen. Was uns tatsächlich satt macht, kaufen wir fast immer, es wird nicht vom netten Biobauern nebenan, sondern von spezialisierten Grossbetrieben angebaut, meistens im Ausland oder mit importierten Futtermitteln. Und von Textilienfasern und nachwachsender Energie fangen wir besser gar nicht erst an zu reden.

Wir kaufen es nicht nur von anderen Produzenten im Land, wir importieren es von ausserhalb, über Kontinente hinweg. Denn in grossem Maßstab läuft es nicht anders. Deutschland ist grösster Lebensmittelimporteur der Welt, schon seit Jahrzehnten, bis heute. Gemessen nicht nur im Wert, sondern auch in der Menge. Allein von 2000 bis 2010 haben sich Agrarimporte von knapp 10 Millionen Tonnen auf über 15 Millionen Tonnen erhöht, das nicht nur absolut, sondern auch ein hoher Pro-Kopf-Wert. Schon seit weit über hundert Jahren kann im (damals noch viel grösseren und landwirtschaftlich reicheren) Land nicht einmal mehr annähernd das produziert werden, was verbraucht wird. Selbstversorger? Hat sich was. Und was hier produziert wird, verlässt sich auch auf importierte Produkte, zum Beispiel Tierfutter. Deutsche Milch und deutsches Schweinefleisch? 90% des Futters für die hier gezüchteten Tiere wird importiert - der grösste Teil aus anderen Erdteilen. Es gibt nur ein paar wenige Spezialprodukte, bei denen das Produktionssaldo positiv ist. Selbst bei so urdeutsch wirkenden simplen Obstsorten wie Äpfeln ist Deutschland das grösste Importland der Welt - importiert werden Äpfel im Wert von über einer halben Milliarde Euro, exportiert weit weniger. Beim Apfelsaft ist die Situation noch weit drastischer.

Kartoffeln, reichen eine Woche

Woher solls auch kommen? Das Bundesland Baden-Württemberg hat beispielsweise 816000 Hektar Ackerfläche. Bei mittlerweile (ununterbrochen entgegen allen Vorhersagen stetig steigenden) 11 Millionen Einwohnern macht das nicht einmal 750 Quadratmeter Acker pro Kopf aus. Weltweit sind es 1800 bis 2000 Quadratmeter. Nachbar Frankreich liegt bei 2700, Rumänien bei über 5000, hat ausserdem sehr hochwertige Böden. Auf diesem 750 Quadratmeter-Acker müssten Nährmittel, Öle, Zucker, Hülsenfrüchte, alle Futtermittel, Faserpflanzen, Energiepflanzen produziert werden, in einem Klima das nur maximal fünf frostfreie Monate im Jahr hat und mittlerweile ertragsmindernd unregelmässig gewordene Niederschläge zwischen monatelanger Trockenheit und Überschwemmung. Völlig absurd. Tatsächlich würden noch nicht einmal streng vegane und einseitige Ernährung, Lumpen statt Kleider aus Faserpflanzen, Holzherd (Holz woher?) statt Biogas aus Mais, intensiver Anbau ausreichen von dieser Fläche würdig zu leben. Im Bioanbau mit seinen obendrein niedrigeren Erträgen würde bitterer Hunger recht früh kommen. Nimmt man Mangel, Kälte und extrem einseitige Ernährung die bald zu Krankheiten führen in Kauf, könnte bei Intensivanbau (Düngemittel woher?) vielleicht das sofortige hungern vermieden werden. Jeden Tag im Jahr ein roher, kalter Getreidebrei in Wasser würde bei 800g Weizenertrag (353kcal/100g) pro qm im konventionellen Anbau pro Quadratmeter wenigstens den Magen füllen, dafür wären 360qm nötig, auf dem Rest der Fläche müssten Proteine, Gemüse für Vitamine stehen und die Energie für Landmaschinen, Dünger- und Pflanzenschutzmittel müsste aus der Luft herbeischweben. Und Vorsicht, alles ist perfekt zu lagern, kein Gramm zu verschwenden, nichts verschimmeln, nichts von Käfern fressen lassen. Keine Missernte erleben. Fazit: Die Decke ist nicht nur ein bisschen, sie ist um ein Vielfaches und drastisch zu kurz.

Ein Kofferraum voll Selbstversorgung

Die Aussichten für die Zukunft sind nicht besser. Agrarland wird rasend schnell absichtlich und gründlichst vernichtet. Im Grün regierten Baden-Württemberg geht der Flächenfrass beispielsweise hemmungslos weiter wie bei Dauerbesoffenen, die nicht von der Flasche weg können. Es ändert sich nur jeweils die Flaschenfarbe, momentan ist sie Grün. Die besten Böden unserer Gemeinde wurden mit rücksichtsloser Brutalität gegen das Land zu Grosslagern, anderen Lager und LKW-Aufmarschplätzen zubetoniert. Welche Partei an der Macht ist, spielt absolut keine Rolle, unter der grünen Regierung läuft alles ungehemmt weiter wie bisher mit Rekordjahren wie 2017, die Selbstlügen dazu sind nur noch grösser geworden. Auch die dies immer weiter anheizende Bevölkerungszunahme durch die politisch hocherwünschte Zuwanderung ohne jedes Limit scheint keine Grenzen zu kennen. Es wird gequetscht, gepresst, gebaut und gestapelt und das Land damit kaputt gemacht. Bei den Agrarerträgen sind die Grenzen aber längst erreicht, da hat sich nicht mehr allzuviel getan, die meisten Kulturen liegen an ihren biologisch bedingten Grenzen, die auch durch Züchtung nicht mehr wesentlich ausgeweitet werden können. Die Hektarerträge von Reis in Asien, Mais in Deutschland, Weizen, Gerste änderten sich im letzten Jahrzehnt nicht mehr wirklich.

Der Selbstversorger ist also ein Traumwesen, im Grossen wie im Kleinen. Eine unehrliche Täuschung, die sich täglich zwischen wachsenden Industriegebieten, wachsenden Bürgerpalästen, wachsenden Freiflächen-Solaranlagen und immer mehr extremen Wetterlagen weiter und weiter von der Realität entfernt. Es wäre ehrlicher, nur von Hobbygärtner, Nutzgärtner, Genussgärtner zu reden, der ein paar ausgewählte Genüsse teilweise selber anbaut, aber nie davon länger satt wird.

Selbstversorger mit LKWs, hier war einmal bester Ackerboden

 

Dienstag, 1. März 2022

Scharlachdorn, das leckere Wildobst

Angebissenes Früchtchen

Jetzt ist Pflanzzeit für ein nahezu unbekanntes, aber wertvolles Wildobst. Er sieht auch jetzt im Winter eindrucksvoll aus und meine erste Begegnung mit ihm vor ein paar Jahren löste eine intensive Suche nach der genauen Art aus. Begegnet bin ich ihm in der Hecken- und Gehölzzone am städtischen Hallenbad, wo viele interessante Pflanzen gewachsen sind. In den 1970er Jahren gab es hier in Möckmühl einen Gartenbauer in städtischem Auftrag oder jemand des städtischen Bauhofs, der richtig was drauf hatte. Bepflanzungen aus dieser Zeit stechen richtiggehend heraus. Es wurden viele insektenfreundliche Blühgehölzarten gepflanzt, sehr standortangepasst, robuste Arten, fast immer auch fruchttragend, Wildobst für Vögel, pflegeleicht. Oft einfallsreich und mit Liebe zur Vielfalt, nicht nur die gerade modischen Standartarten der damaligen Zeit. Irgendwann in den 1990er Jahren gab es dann offenbar einen Verantwortlichenwechsel und was ab dann gepflanzt wurde, wurde sichtlich wertlos, lieblos, langweilig. Seit einigen Jahren fand dann ein totaler Zusammenbruch statt. Den alten Blühpflanzenbeständen begegnet das heutige Personal regelrecht hasserfüllt, es wird seither rücksichtslos ausgeholzt, abgesägt und durch absolute Katastrophen ersetzt, wenn man gezwungen ist etwas Neues zu pflanzen. Wildbirnen - Kettensäge, stattdessen Zwergkastanien. Blühhecken - abgesägt, stattdessen Hainbuche. Weissdorne - Kettensäge, stattdessen schmale Sumpfeichen. Kornelkirsche - abgegraben, stattdessen gar nichts. Es ist kaum mehr etwas übrig aus der befähigten Gartenbauergeneration.

Früchte in Vollreife, teilweise schon abgefallen 29.8.

Bis vor einigen Jahren war auch um das städtische Hallenbad herum noch viel dieser tollen ursprünglichen Bepflanzung vorhanden. Darunter auch mehrere auffallende weissdornartige Gewächse, etwa 3-3,5m hoch und mit eindrucksvollen langen Dornen. Da habe ich sie kennengelernt. Im Spätsommer hatten sie rote Früchte, die ich probiert habe und davon sehr überrascht war. In Deutschland wachsende Weissdornarten sind normalerweise nur für Vögel interessant, die Früchte sind zwar geniessbar, aber als Wildobst für den Menschen wenig attraktiv. Sie sind mehlig und haben kaum Aroma. Aber der hier war richtig gut, hat sich deutlich und positiv von anderen Weissdornen abgehoben.

Früchte gesammelt 29.8.
  • Fast schon saftige Früchte jedenfalls viel weniger trocken wie die anderer Weissdorne
  • Für einen Weissdorn Früchte mit guter Grösse, etwa 1,5cm Durchmesser im Schnitt. Weich, innen Kerne, die man mitessen konnte oder ausspucken, leichter trennbar als bei anderen Weissdornen.
  • Das Beste war der Geschmack, das Aroma: Im Gegensatz zu den bekannten Weissdornen war dieser kräftig, mit deutlichen Aromakomponenten (in der Reihenfolge) nach Hagebutte, Orange, Apfel, süss mit angenehmer Säure und keinen unrunden Gerbstoffnoten. Farbe des Fruchtfleischs: Gelborange, oft kräftig gefärbt.

Aber was war es? Von weitem wirkte die Pflanze wie ein Zierapfel. Weissdornarten der Gattung Crataegus gibt es wie Sand am Meer, dazu noch Hybriden, Kreuzungen, ich war mir nicht mal sicher ob es überhaupt ein Baum dieser Familie ist. Schliesslich der Treffer: Es handelte sich um "Scharlachdorn" (Crataegus pedicellata oder Crataegus coccinea oder Crataegus intricata), eine Weissdornart aus Nordostamerika.

Scharlachdorn - der Baum

Habitus des Baums im Winter

Die Art wächst manchmal etwas sparrig und wird nur ein paar Meter hoch. Er ist schnittverträglich, man kann ihn auch als Hecke mit 1-2m Höhe ziehen. Optisch wirkt er wegen der Dornen gefährlich, ist aber nicht so eng und undurchdringlich wie dieser Eindruck nahelegt. Wie die meisten amerikanischen Laubholzarten bekommt er eine schöne Herbst-Blattfärbung. Er blüht sehr reichlich und schön mit typischen Rosacea-Blüten (für Bienen sehr attraktiv, Nektar und Pollen) ab Mitte April, die Früchte sind ab Ende August, September reif.

Fruchtsorten und Auslesen auf Fruchtqualität scheint es nicht zu geben, gefunden ich ich keine. Leider, denn er wäre es wert. Als Wildobst ist er nicht bekannter wie andere Weissdornarten. Optisch ähnliche Früchte haben auch der Arnold-Weißdorn (Crataegus arnoldian), der Punktierte Weissdorn (Crataegus punctata) und der Pennsylvanische Weissdorn (Crataegus pennsylvanica. Von diesen ebenfalls amerikanischen Arten gibt es auch Auslesen, Zbigniew, Ljudmyl, Shamil, benannt in der Ukraine.

Blüten Scharlachdorn, eben aufgegangen am 15. April


Eigener Anbau

Eindrucksvolle Dornen

Lange lebten sie nicht mehr, die Scharlachdorne. Bis auf eine letzte, traurig verkümmerte Pflanze hat die Stadt sie wie üblich alle einfach abgesägt oder die Blühheckenreste mit ihnen abgebaggert, teils zugebaut oder zubetoniert - die übliche Ignoranz, Ablehnung, Inkompetenz, Bebauungsdruck, an dessen Ende immer dauerhaft tote Flächen stehen.

Für mich war Scharlachdorn so interessant, dass ich die Art in die Hecke am Rand der Obstwiese gepflanzt habe. Dort zeigte sich zunächst recht langsames Wachstum, das sich dann plötzlich beschleunigte. Ohne die "Pflege" der Gemeinde wuchs er schön, mit einem leicht geschwungenen Haupttrieb, durchaus ein ansehnliches kleines Bäumchen. Hitze, Winterfrost und Trockenheit überstand er von Anfang an. Er fing bald an zu fruchten, wobei die Früchte zunächst etwas kleiner bleiben, bei älteren Pflanzen werden sie grösser. Da zwar baldiger Fruchtbehang, aber kein anderer Scharlachdorn in der Nähe war, ist er offensichtlich selbstfruchtbar oder heimischer Weissdorn befruchtet ihn, letzteres unwahrscheinlich aber möglich. Und Vorsicht, trotz der Dornen werden weiche Jungtriebe vom Wild gefressen, Jungpflanzen müssen also geschützt werden. Die Früchte sind wie alle kleinen roten Früchte für Vögel attraktiv. Krankheiten gleich welcher Art waren nicht sichtbar. Weissdorne sind meistens gesunde, unempfindliche Pflanzen, aber feuerbrandanfällig, was ich am Scharlachdorn aber nicht beobachtet habe. Kalkboden ist von Vorteil.

Knospe am 21.12. mit schönem, lackartigem Schutzharz überzogen
Reife Früchte, schwach doldenartig

Die Früchte sind wie gesagt überraschend lecker, am Besten frisch gegessen und die Kerne bei Bedarf ausgespuckt. Die Reife findet folgernd statt, vollreife Früchte fallen von selbst vom Baum  und können dann noch gut verwertet werden. Man kann auch schütteln oder direkt pflücken. Die Verarbeitung ist einfach, da die Früchte weich sind. Für das Fruchtmus dreht man sie zerquetscht durch eine Passiermühle und für Saft (zur Geleebereitung) lässt man die Maische mit etwas Pektinase stehen, wie in früheren Beiträgen https://gartenzone.blogspot.com/2021/12/der-saftladen.html beschrieben. Optisch sehen ältere Bäume Dank der leuchtenden Früchte reich behangen aus, aber die "Erntetonnage" ist nicht so riesig. Besser also gleich zwei Bäume setzen, wenn man es auf die Verwertung der Früchte abgesehen hat.

Seine begrenzte Grösse und anderen Vorteile machen ihn auch für Haus- und Vorgarten geeignet. Scharlachdorn - einer der wertvollsten Weissdorne.

Austrieb, aufbrechende Knospen am 19.2.

Jungbaum nach ein paar Jahren im Winter

Blätter und unreife Früchte Scharlachdorn 30.5.