Sonntag, 16. Februar 2020

Misteln, Parasiten an Obstbäumen auf dem Vormarsch

Apfelbaum, von Misteln befallen
Es fällt sogar Spaziergängern auf, die sonst nichts mit Obst am Hut haben: Immer mehr der noch übrigen Obstbäume am Strassenrand und auf ungepflegten Obstwiesen zeigen auch im Winter grüne Blattkugeln in der Krone. Die meisten Leute kennen die Ursache, es sind Misteln.

Die Mistel, genauergesagt die "weissbeerige Mistel", viscum album ist ein in Europa heimischer pflanzlicher Baumparasit. Auch in Kalifornien wurde er eingeschleppt und hat sich dort im nördlichen Teil stark auf vielen Gehölzen ausgebreitet. In Europa existieren drei Unterarten der Mistel, die Tannen-Mistel, die Kiefern-Mistel und die Laubholz-Mistel, mit der wir es an Obstbäumen zu tun haben. Diese Mistelart befällt eine Vielzahl von Laubbäumen. Am häufigsten erwischt es Pappeln und Apfelbäume. Die Mistel kann sich sogar selbst befallen. Wenig befallen werden Kischen und Birnen. Aber bei hohem Befallsdruck passiert auch das.

Pappeln mit Misteln. Autobahnbrücke ohne Misteln.
Ihre klebrigen, weissen Beeren werden im Winter reif und von Vögeln verbreitet. Für Menschen sind sie giftig. Vögel bringen sie am häufigsten an weitere Äste eines bereits befallenen Baumes, aber auch an Nachbarbäume. Die verschleppten oder ausgeschiedenen Samen keimen, bilden eine Haftscheibe, dann bohrt sich der Keimling dolchartig in den Ast des Wirtsbaumes. Die Mistel ernährt sich aus dem Saftstrom des Wirtsbaumes, holt sich Wasser und Mineralstoffe. Nach einigen Jahren ist die Mistel zu einem bis zu einem Meter Durchmesser grossen ganzjährig dauergrünen Gezweig herangewachsen. Auch wenn man sie häufiger an alten Bäumen sieht, ist sie kein Schwächeparasit, sondern befällt auch maximal vitale Jungbäume.

Gekeimte Beere auf neuem Wirtsbaum mit Haftplatte.
Befallene Bäume wachsen schlechter, tragen weniger, leiden zunehmend unter dem Befall. Nach einigen Jahren können Baumkronen so stark durchwuchert sein dass es mehr Misteln wie eigenes Blattwerk gibt, das ist dann auch das Ende, der Parasit verschlingt seinen Wirt, Äste sterben ab, der Baum geht auf sein Ende zu. Kommen befallene Bäume zusätzlich in Stress, zum Beispiel durch Trockenheit, multipliziert sich die Belastung, sie leiden noch stärker. Auch Astbruch ist ein Problem, weil die belaubten Misteln im sonst unbelaubten Baum von den Winterstürmen stärker mitgerissen werden.

Neuer Befall Mistel
In Süddeutschland war sie immer häufig, nun ist sie extrem häufig geworden aber seit einigen Jahren ist sie auch im Norden stark in Ausbreitung begriffen. Sie stand nie und nirgends unter Schutz. Die Gründe dafür sind einerseits eine Veränderung des Klimas in eine Richtung, die der Mistel viel besser gefällt (mehr wintermilde Jahre) und andererseits völlige Ignoranz gegenüber ihrer Ausbreitung. Jeder Naturbesorgte im Lande will Obstwiesen- und Hochstammschützer spielen, aber kein Mensch schneidet oder pflegt noch Obstbäume. Auch in Forschung und Bekämpfung wird Null investiert. Im Rahmen von Ausgleichsmassnahmen werden zwar weiterhin immer wieder Obstbäume an Strassenrändern gepflanzt, aber sogleich umgefahren, beschädigt, ungepflegt verrotten gelassen. Und eben als Mistelwirte vergammeln lassen. Niemand entfernt noch Misteln an so einem Baum. Man guckt zu, geht weiter, die Bäume sterben Stück für Stück und der Bauer daneben freut sich, weil er dem gemeindeeigenen 5 Meter - Streifen drei Meter abackern kann, sobald die Bäume tot sind. Dieses Landgrabbing ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ich kenne keinen einzigen derartigen Streifen, dem nicht in kurzer Zeit mindestens alle Grenzsteine herausgeackert wurden.

Beeren der Mistel, Januar
Um die Obstbäume zu schützen, müsste man auf einem grösseren Areal konsequent alle Misteln entfernen. Genau das hat man früher gemacht. Obst- und Gartenbauvereine riefen früher regelmässig zu Misteltagen auf, an denen die Parasiten gemeinsam beseitigt wurden. Man musst die Äste absägen, an denen sich Misteln breitgemacht haben, nur sehr junge Misteln lassen sich noch so herausschneiden, dass sie nicht nachwachsen. Das ist Vergangenheit. Heute geht man eine schöne gefühlvolle Obstwiesenausstellung, trinkt stolz natürtrüben Saft von Streuobstwiesen und guckt gleichzeitig dem Sterben der Bäume zu.

Knospen
Gut zu sehen ist, wie von einem erstbefallenen Baum Misteln an Nachbarbäumen erscheinen und immer stärker werden. Leider habe ich auch so reinen Befallsbaum an meiner grössten Obstwiese.  Dort sieht man, wie sich die Mistel in der Krone ausbreitet. Dieser Baum steht an einem Bach auf Gemeindegrund, niemand pflegt die Bäume, wie üblich. Als ich die erste Jungmistel an einem meiner Obstbäume (zufällig eine Mispel, sozusagen eine Mistel in der Mispel) gesehen habe, musste ich etwas tun. Ich habe dann mühsam eine lange Leiter beschafft und herangetragen, über den Bach gezogen und bin in die Krone gestiegen, um den Parasiten abzusägen. Er wuchs weit oben. Das werde ich in den kommenden Jahren wiederholen müssen, denn viele der jüngeren Misteln übersieht man in einer dichten Krone. Gleichzeitig muss ich die eigenen Bäume überwachen. Ein Befall ist immer schlecht, da wie gesagt dann der ganze Ast dran glauben muss, was eventuell den Baum deformiert. Abzusägen ist der Ast nicht an der Stelle, an der die Mistel wächst, sondern bereits mindestens 30cm davor, denn die Wurzeln der Mistel gehen auch den Ast entlang und schieben wieder Blätter, wenn sie nicht mit dem Ast entfernt wird.


Endstadium einer einstmals schönen Obstwiese