Samstag, 27. März 2021

Backhonig, besser als sein Ruf

Was ist "Backhonig"? Den Namen hört man selten, im Laden gibt es keinen Backhonig. Er klingt etwas wie der untergangene "Kunsthonig", ein Begriff der verboten wurde. Heute muss das "Invertzuckercreme" heissen, alles was "Honig" als Wortbestandteil hat muss von Bienen stammen. Und Backhonig?


Gläser mit Backhonig

In der Honigverordnung existiert er in der Liste der Honigarten, die als Lebensmittel geeignet sind. Dort taucht er als letzte Kategorie auf, nach Blütenhonig, Honigtauhonig, Wabenhonig, Honig mit Wabenteilen, Tropfhonig, Schleuderhonig, Presshonig, gefilterter Honig. So wie einige andere Kategorien hat er jedoch kaum Marktbedeutung. Für Backhonig gelten einige Ausnahmen, die bei keiner anderen Honigart erlaubt sind. Er darf angegoren sein, er darf Fremdaromen aufweisen, er darf erhitzt worden sein. Der Wassergehalt darf 23% statt 20% betragen, ein wenig mehr Säure darf er aufweisen. Als Backhonig deklariert muss er mit dem zusätzlichen Hinweis "nur zum Kochen und Backen" versehen werden. Damit kann (aber muss nicht) Backhonig ein minderwertiger Honig sein. Die Honigverordnung sagt ferner: "Honig, der für industrielle Zwecke oder als Zutat für andere Lebensmittel, die anschließend verarbeitet werden, geeignet ist." Naja, jeder Honig ist für die Verarbeitung geeignet.

 

Wertigkeit

Bei der Wertigkeit von Backhonig spielt es eine entscheidende Rolle, wieso ihn der Imker oder ein Verkäufer als Backhonig deklariert hat. Ist dies nur deshalb passiert, weil er in irgendeinem Verarbeitungsschritt erhitzt wurde, dann ist er als Back- und Kochzutat ebenso wertvoll wie jeder andere Honig. Verschiedene wertgebende Inhaltsstoffe sind zwar schon vor dem backen durch die Erhitzung deaktiviert (z.B. Enzyme), was aber völlig irrelevant bleibt, weil er beim Backen sowieso erhitzt wird. Spätestens dann wäre auch jeder andere Honig im selben Zustand. Erhitzter Honig ist übrigens nicht wertlos, nur etwas weniger wertvoll. Fast alle der 120 verschiedene Duft- und Aromastoffe sind nach wie vor vorhanden, ebenso Mineralien (Magnesium, Calcium, Natrium, Kalium, Eisen und Phosphor), die weniger hitzeepfindlichen Vitamine (etwa Biotin), Flavoniode, einige Aminosäuren (Prolin erwa), die grosse Vielfalt bis zu 30 unterschiedlicher Zuckerarten, Fruchtsäuren. Man kann ihn sich entgegen der Etikettendeklaration sehr wohl auch aufs Brot streichen und genussvoll ohne Schaden essen. Wertvoller als irgendeine Industriezucker-Kakaomargarine wie Nutella ist er immer noch. Sämtliche anderen käuflichen Zuckerarten sind bei ihrer Fertigstellung stärker raffiniert und höher erhitzt worden.

Manche Imker sind bei der Ernte im Stress, sie verzichten während der Ernte bei manchen Chargen auf ein Feinsieb und Abschöpfen von Schaum und feinen Wachspartikeln, das sogenannte abschäumen. Mit diesem Grund als Backhonig deklarierter Honig unterscheidet sich kaum von anderem Honig, er ist ebenso hochwertig.

Aus Angst vor Veränderungen im Honig deklarieren manche Imker Honig nach zwei Jahren Lagerdauer als Backhonig. Dann kommt es stark auf die Lagerung an. Kühl, dunkel und luftdicht gelagerter Honig ist ohne Qualitäts- und Geschmackseinbusse sehr viel länger haltbar. Honig, der zu warm steht ist dagegen schon nach ein paar Monaten nicht mehr auf der Höhe. Lagerbedingungen und Lagerdauer sind voneinander unabhängige Faktoren.

Angegorener Backhonig oder mit Fremdaromen belasteter Honig ist problematischer. Fremdaromen verderben unter Umständen auch das Backergebnis. Fremdaromen kommen auch durch Gärvorgänge in den Honig. Angegorener Honig hatte zu viel Wasser und war deshalb unreif. Selten kommen auch Fremdaromen bereits mit den Bienen. Es gab den Fall, dass Zuckerabfälle einer Bonbonfabrik nicht bienensicher im Container lagen und es auch noch hineinregnete. Dort sind Bienen eingeflogen, holten Wasser mit gelöstem Bonbonzucker und der Honig hatte dann Minzgeschmack, denn es wurden gerade Pfefferminzbonbons produziert. Derlei kuriose Ergebnisse sollte aber der Imker nicht als Backhonig verkaufen, sondern bestenfalls bei erwiesener Ungefährlichkeit als Winterfutter für die Bienen verwenden. Wer es frühzeitig merkt, stellt die Völker von vornherein weitab aller künstlicher Zuckerquellen auf. Industriellen Zucker meidet jeder Imker wie der Teufel das Weihwasser. Der lässt sich natürlich nachweisen, damit verdirbt man sich die Honigernte, man wird ihm sofort unterstellen, er hätte mit Zucker den Honig gefälscht, der reine Horror.

Schliesslich gibt es noch einen besonders kuriosen Grund für "Fehlaromen" im Honig. Wenn Kirschen oder Zwetschgen reif sind und beispielsweise wegen starkem Regen platzen, tritt süsser Saft aus. Wird das Wetter trocken und konzentriert sich der Zucker durch Verdunstung weiter, weckt dies das Interesse von Bienen. Sie holen solche Säfte genauso wie auch Honigtau, sie werden im Bienenstock zu Honig weiterverarbeitet. Der bekommt eine braunrote Farbe, schmeckt nach Steinobst, Leder, Rosinen, anderen Trockenfrüchten. Eigentlich eine besondere und seltene Spezialität, aber im Sinne der Honigverordnung ein Fehlaroma: Backhonig.

 

In der Imkerpraxis

Der häufigste und noch immer weiter steigende Grund für Backhonig ist erhitzter Honig. So ist das auch bei meinem Backhonig. Doch warum erhitzt der Imker seinen Honig? Der bittere Hauptgrund bei mir: Jahre mit Melezitosehonig kommen immer häufiger. Das bedeutet eine Katastrophe, riesigen Mehraufwand und keinen Honig, der in ein Glas gefüllt werden kann. Denn Melezitose ist eine der Zuckerarten (es gibt 24 verschiedene Zuckerarten im Honig), die Honigtauerzeuger in manchen Jahren zeitweise in höherer Konzentration produzieren, vor allem in trockenwarmen Sommern. Und von trockenwarmen Sommern hatten wir wahrlich genug in den letzten Jahren. Die Bienen sammeln den Honigtau mit mehr Melezitose ebenso wie jeden anderen erreichbaren Honigtau für Waldhonig. Melezitose ist kein komischer Fremdstoff sondern eine natürliche Dreifachzuckerart, der in allen Honigtauhonigen von Natur aus vorhanden ist, die Frage ist immer nur in welcher Konzentration.

Der Honig schmeckt oft klasse und hat Waldhonigaroma, aber kandiert in den Waben sofort zementhart. Kein Schleudern mehr möglich. Nun hat man verschiedene Möglichkeiten, diesen Zuckerzement irgendwie loszuwerden. Alle sind aufwendig, eine davon ist das Ausschneiden der vollen Waben und vorsichtiges Erhitzen auf 65°C. Das Wachs der Waben schmilzt und sammelt sich oben, unten setzt sich der Honig ab. Abkühlen lassen, Honig abgiessen. Kein so schlechter Honig eigentlich, aber selbstverständlich wärmegeschädigt. Mein Backhonig ist geboren. Leider mittlerweile jedes zweite Jahr. Er ist dunkel wie anderer Waldhonig, kandiert nach dem erhitzen spät oder nie.

Sieht im Gegenlicht aus wie Waldhonig


Verwendung

Was macht man mit so einem Backhonig? Zuerst: Was nicht? Er ist kein Ersatz für raffinierten Zuckerrübenzucker. Dafür ist er zu kräftig und zu dunkel. Besser nicht fürs Süssen von heissem Tee oder Kaffee nehmen oder für helles Gebäck wie Hefezopf. Das Aroma ist zu dominierend. Anderen Waldhonig würde man dafür auch nicht gerne nehmen.

Für klassische Lebkuchen aller Art ist er jedoch ideal, mit Abstand das Beste das überhaupt dafür zu bekommen ist. Er macht sie aromatisch und hält sie feucht, sorgt für perfektes Aroma. Ideal ist er auch für alle Würzsossen, für die Senfherstellung, Senf-Honigsossen, Senfdips, Liköre, Zutat zur Met-Herstellung, Desserts wie gebackene Bananen mit Honig, scharfe Sossen, Süssmittel für eingelegte Gurken oder sonstiges Gemüse, zum Süssen von allen Gebäckfüllungen (z.B. Zimtschnecken), Honigriegel, Vollkorngebäck, Honig-Zimt-Eis, Bratapfel... auch anstatt Zuckerrohrmelasse ist so ein Backhonig gut verwendbar. Je nach Kristallisationsgrad ist er als Brotaufstrich tauglich.


Verkauf, Preise, Angebotsform

Angenehm für Jeden, der Backhonig verwendet aber nicht für Verkäufer ist der Preis: Backhonig ist wesentlich billiger wie andere Honigarten. Deutscher Blütenhonig liegt im Durchschnitt bei 10-12 EUR pro kg (also das 500g - Standardhonigglas ab 5 EUR Stand Anfang 2021), Backhonig meist bei 6-7 EUR Stand Anfang 2021. Oder noch weniger: Wer ihn im Lagergebinde nimmt oder mit eigenen geeigneten Gefässen kommt, bleibt unter 5 EUR das Kilo Stand Anfang 2021. Die Abfüllung in Gläser lohnt sich da nicht mehr. Oder er wird einfach verschenkt. Auch wenn die Preise steigen, so steigen sie insgesamt, es bleibt immer ein Abstand zum Standardhonig.

Auf Märkten ist er selten zu finden, die Imker fürchten um ihr Image, obwohl das unbegründet ist. Bei mir gibts ihn auch nur ab Haustür und vor Weihnachten auf dem Wochenmarkt, da werden auch Backzutaten gekauft. Einige Leute holen ihn aber mittlerweile regelmässig, weil sie ihn probiert haben und ihn seither gerne in der Küche verwenden. Damit zu experimentieren ist preiswert und einfach.

Dienstag, 12. Januar 2021

Winterzeit, Material reparieren und kaufen: Gartenspritzen

Behandlung von Pfirsich im Winter

Der Winter ist die Beste Zeit, um die Gartengeräte durchzusehen und sich zu überlegen, was man braucht, was man reparieren oder ersetzen muss. Während der Vegetationsperiode passiert es sonst zu oft, dass man nur noch hastig Löcher flickt und Notfallmanagement betreibt, wenn etwas kaputt geht und sofort Ersatz benötigt wird.

Eines der wichtigen Geräte des engagierten Nutzgärtners ist die Gartenspritze, ein Druckbehälter mit Lanze und Zerstäuber. Pflegeintensive Kulturen benötigen häufig Hilfe gegen Schädlinge oder Krankheiten. Geeignete Mittel möglichst optimal und aufwandsarm an die Pflanzen zu bringen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor gegen Pflanzenkrankheiten. Da Nutzgärtner keine hochwirksamen Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft nutzen wollen und ohnehin nicht dürfen, geht es dabei in der Hauptsache um Hausmittel, selbst angesetzte Mittel, Mischungen und natürliche Mittel. Deren Wirksamkeit ist meist weniger kräftig, die besten Zeitpunkte für das Wirkoptimum sind weniger gut zu finden, also wird man mit der Gartenspritze eher öfter wie seltener hantieren. Beispiele für Mittel, die ich in den letzten 12 Monaten mit der Gartenspritze ausgebracht habe: Magermilch (gegen Mehltau), verschiede Schmierseifenmischungen, Essig, Neemöl, Rapsöl, Flüssigdünger, Pflanzensud, Kaliumhydrogencarbonat. Letzteres ist Bestandteil von Backpulver und ein Lebensmittelzusatzstoff. Im Garten stellt es ein wichtiges Fungizid dar, das beispielsweise gut gegen echten Mehltau am Wein wirkt. Allerdings sind mehrere Anwendungen nötig. Vorsicht vor Mischungen mit Essig, nicht jede Spritze kommt mit Säuren klar.

Sprühdüse und Dichtungen

Mancher Nachbar guckt komisch, wenn man mit der giftgelben Gartenspritze gut sichtbar an grossen Weinstöcken steht und eifrig "spritzt". In diesem Punkt ist die Schizophrenie nie grösser gewesen wie heute. Bereits die vermeintliche Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln wird so misstrauisch beäugt wie nie, gleichzeitig hat man aber für einen eigenen Weinstock angeblich keine Zeit und akzeptiert stattdessen klaglos den Chemiemüll in Tafeltrauben im Laden, Hauptsache er ist billig und man sieht nicht, wie intensiv dieses Obst im kommerziellen Anbau behandelt wurde. Sieht man aber jemand mit Gartenspritze, herrscht erst einmal Misstrauen, obwohl die meisten Mittel der Landwirtschaft für Privatleute nicht einmal erhältlich sind, Hobbygärtner sind in Deutschland von so gut wie allen modernen Pflanzenschutzmitteln ausgeschlossen. Mir ist das egal, ich habe keine Lust irgend jemand zu erklären, dass ich gerade sehr wenig Backpulver in Wasser gelöst versprühe und nicht das neue tödliche Neonikotinid, das den ultimativen Bienengenozid verursacht. Und selbstverständlich kommt auch der Bioanbau nicht ohne "spritzen" aus, nur die Mittelwahl ist sehr eingeschränkt, aber gerade deshalb muss dort ebenfalls öfters behandelt und präventiv gestärkt werden.

Geklebtes (!) Oberteil abgebrochen

Dieses Jahr hat nun meine am meisten genutzte Gartenspritze endgültig den Geist aufgegeben. Sie war nicht besonders robust, bekam schon früh Macken und Probleme. Das war die "Gloria hobby exclusiv", ein Drucksprüher aus Pastik mit 5 Liter nutzbarem Tankinhalt. Die hatte ich deswegen gewählt, weil

  • der Inhalt mit 5 Litern Maximum die Idealgrösse für einen grösseren Nutzgarten ist.
  • sie als einziges Gerät ein Teleskop-Sprührohr hat, das man schnell auseinanderziehen und wieder verkleinern kann. Das ist ein wichtiger Punkt, denn Weinstöcke und Obstkulturen sind häufig hoch oder nicht gut von allen Seiten begehbar, eine lange Giesslanze ist dann die einzige Möglichkeit, abseits von Sprühnebel Mittel an die richtige Stelle zu bringen. Es gibt zwar auch Lanzen mit Verlängerungsstück (ich habe so etwas an einem anderen Sprühgerät), aber das muss mühsam an- und abgeschraubt werden, ausserdem neigen solche Rohrstücke dazu, immer verlegt zu werden, weil man sie ja nicht immer braucht. 
  • die Spritzdüse gut konstruiert und leicht reinigungsfähig ist. Hier patzen viele andere Produkte mit zu grobem oder zu ungleichmässigem Sprühnebel oder gar einer Düse, die nicht in alle Richtungen dreh- und ausrichtbar ist.
  • sie einen langen Schlauch hat, so dass man die Sprühlanze auch variabel einsetzen kann.
  • das Manometer praktisch ist.
  • sie mit 7 Litern Tankraum auch genug Druckluft speichern kann, damit man beim spritzen nicht sofort nachpumpen muss. Unter 1,5 bar sollte man wieder Luft hineinpumpen.
  • sie den robusten Eindruck gut gefertigter Markenware hat.
Schnell zerfallendes Material an der Gloria

Diese Punkte haben sich alle in der Praxis bewahrheitet, bis auf den Letzten. Den dafür aber krass. Das Ding fing trotz des fürstlichen Preises im Bereich von >50 EUR schon kurz nach dem Kauf an, auseinanderzufallen. Gloria spricht von fünf Jahren Benutzung, danach Generalüberholung. Das erreicht sie bei mir gerade so, dann war sie ein Totalschaden. Die Verarbeitung war überwiegend nicht einmal so schlecht, aber das Material war mies. Auch die Konstruktion hat Probleme. Der Hersteller Gloria sitzt in Deutschland, der Grossteil des Programms wird wie üblich irgendwo im Ausland gefertigt. Die Akribie, mit der jeder kleine Hinweis an der Spritze oder Verpackung auf den eigentlichen Produktionshersteller getilgt wird, lässt vermuten dass der Herstellungsort nur sehr ungern genannt wird und keine positive Qualitätsanmutung mit sich bringt. Gross drauf steht nur "Made by Gloria". Das Modell wird zudem seit über zehn Jahren unverändert gefertigt, Verbesserungen aus der Praxis und Innovationen wurden unterlassen.

Einfüllkonus - gespalten
Manometer - innen rostig, Kondenswasser

Halter für die Sprühlanze - zerbrochen

Warum das so ist, wurde mir klar als ich mich auf dem Markt umgesehen habe: Es gibt kaum Alternativen für das Marktsegment das den engagierten Nutzgärtners interessiert, die Konkurrenz ist schwach. Gardena hat beispielsweise ein Modell, etwas praktischer konstruiert aber simpel, ohne Teleskoplanze und Manometer, dann noch ein "Comfort" Modell das richtig teuer ist aber auch nicht mehr bietet. Danach kommt nur noch Mesto, Nanoprotect, Voxon, Solo und eine unübersehbare Anzahl baugleich aussehender Drucksprüher aus China unter verschiedenen Markennamen. Da reichten mir eigentlich Berichte von geplatzten Druckbehältern wegen schrottiger Sicherheitsventile. Interessant wären andere europäische Hersteller gewesen, die es garantiert auch gibt, aber davon war in Deutschland wenig bis nichts zu finden. Deutschland ist eben kein Land der Nutzgärtner, in dem solche Produkte einen guten Markt finden. Übrig bleiben die wenigen lokalen Marken und die unübersehbare Flut an einfallsloser Chinaware, die nur beweist dass Schrott nicht schrottig genug sein kann, solange er billig ist kauft ihn trotzdem jemand.

Neben dieser Spritze habe ich noch ein kleines Handsprühgerät von Mesto für das Gewächshaus und ein Hochdrucksprühgerät aus Metall mit sehr weit verlängerbarer Sprühlanze, das auch für höhere Apfelbäume einsetzbar ist. Das ist aber unbequem, für den Garten zu gross und zu schwer.

Und was ist es diesmal als Ersatz für die Gloria geworden? Nach langer Suche und Prüfung der Alternativen nochmal dieselbe Gartenspritze. Trotz ihrer Nachteile bei der Qualität war sie praktisch konkurrenzlos. Und kaum war sie geliefert, konnte man schon wieder über an der Fertigungsqualität kritteln: Das geklebte Oberteil war nicht sauber aufgesetzt. Notventil und Manometer schlossen nicht bündig ab. Eine Qualitätskontrolle hätte das mit einem Blick aussortiert - beim Gloria-Fertiger offenbar unterlassen.




Montag, 28. Dezember 2020

Helianthus strumosus, die Sonnenwurzel

Blüte Helianthus Tuberosus, Topinambur

Ein typisches frisches Gemüse aus dem Nutzgarten im Dezember sind Topinambur, in den USA auch seltsamerweise Jerusalem-Artischocke genannt, obwohl sie dort heimisch ist. Die Pflanze ist ganz langsam aber sicher bekannter geworden, hat aber nie den grossen Durchbruch geschafft. Sie kann auch zum Unkraut werden, ist ein Neophyth der sich in Flusstälern auch leicht von selbst ausbreitet. Auch hier an der Jagst gibt es ein paar Stellen, an den sie ausgewildert zu sehen ist, ihre Konkurrenzkraft ist aber bei weitem nicht so gross wie die des Springkrauts oder gar des Sachalin-Knöterichs, der ein echtes Teufelszeug ist.

Topinambur gehören zur Gattung der Helianthi, der Sonnenblumengewächse. Davon gibt es sage und schreibe 67 Arten, alle stammen ausschliesslich aus Nordamerika. Helianthus tuberosus, wie die Art mit botanischem Namen heisst schmeckt so la la, was einer der Gründe für ihre mehr als mässige Beliebtheit darstellt.

Helianthus strumosus, Knollen?

Nun ist seit ein paar Jahren noch eine Topinamburverwandte in Deutschland auf Internetseiten und bei Pflanzenverkäufern aufgetaucht: Helianthus strumosus, die "Sonnenwurzel". In den USA heisst sie Blassblättrige Waldsonnenblume. Nah verwandt ist die Topinambur, die blasse Sonnenblume (H. decapetalus), Waldsonnenblume (H. divaricatus), die borstige Sonnenblume (H. hirsutus). Angeblich soll die Sonnenwurzel besser schmecken wie Topinambur, glattere Knollen haben. Auf mehreren Internetseiten, auch deutschen wird das als Tatsache verkündet. Das habe ich dieses Jahr ausprobiert, eine Pflanze für nicht gerade wenig Geld gekauft und im Mai gesetzt. Sie wuchs gut. Bei genauerem Hinsehen wurde ich jedoch misstrauisch, das Ding sah sehr nach gewöhnlicher Topinambur aus. Also fing ich an zu recherchieren, las die Bescheibungen von H. Strumosus und kam ziemlich schnell zu einem eindeutigen Ergebnis. Das lautete:

Die Sonnenwurzel gibt es gar nicht. Die Art Helianthus strumosus gibts es natürlich schon, aber sie entwickelt generell überhaupt keine Knollen, nur ganz normale dünne Wurzeln, die für die Ernährung aber untauglich sind. Brauchbar sind sie nur für einen Absud, der gegen Würmer bei Kindern angewendet wird. Was man mir verkauft hat, war in der Tat nur eine Standard-Topinambur und zwar die Sorte "blaue Französische". Tja... man sollte nicht jeder vermeintlichen Neuigkeit nachrennen.

Sehr hohe Pflanzen

Bleiben wir noch etwas bei Topinambur. Obwohl ich sie schon als Kind im Garten meiner Eltern kennengelernt habe, bin ich nie so recht warm geworden mit ihr, habe sie in geringem Unfang aber bis heute angebaut. Das ist der Grund, dass sie auch in der Gartenzone keine grössere Erwähnung fand. Einige ihrer grössten Probleme würden sich aber durch Zucht sicher verbessern lassen:

  • Die sehr unförmigen Knollen mit Sprossknollen, kaum zu reinigen, schwer zu verwerten. Einige Sorten sind da schon recht weit und haben Knollen, die für die Verarbeitung viel besser geeignet sind, Gföhler Rote etwa.
  • Hohe Stengel, die in unseren böigen Lage und den zunehmenden Unwettern im Verlauf des Herbsts fast immer umgerissen werden. Auch da gibt es schon kleiner bleibende Sorten, z.B. Topstar.
  • Normalerweise zerfällt das Fleisch schnell, beim kochen etwas länger fester bleibend wäre enorm hilfreich. "Gute Gelbe" geht in dieser Richtung.
Zubereitung in der Pflanne

Leider gibts keine Sorte, die das kombiniert. So weit ist der Weg dorthin aber nicht. Andere Probleme lassen sich wohl nicht lösen. So wirkt nach längerer Esspause eine gute Potion Topinambur recht drastisch abführend, der Körper gewöhnt sich zwar mit der Zeit an die verantwortlichen Oligosaccharide, aber nach der schlechten ersten Erfahrung haben viele Leute einfach keine Lust mehr auf dieses Gemüse.

Und für mich gilt das Fazit: Reingefallen mit Helianthus strumosus. Misstrauischer sein.

Schön sind sie ja, aber auch kaum zu reinigen

Als Sichtschutz tauglich

Die "blaue französische" Topinambur zeigte sind in keinem Punkt überlegen, die Sorte kann man kaum weiterempfehlen. Der Hauptstengel wurde fast 3m hoch und war recht kräftig. Und an einem Standort im Spätsommer durch Windböen prompt umgerissen, die Knollen waren da noch unterentwickelt. Am anderen Standort habe ich sie an einem Zaun angebunden und ganz ausreifen lassen, erst Ende November nach den Knollen gegraben. 

Die Gesamterntemenge einer Pflanze lag bei unter 3kg und viele Knollen waren kaum verwertbar, weil klein und sehr verwachsen. Für ein mühsam hergestelltes Gericht stand ich ganz schön lange in der Küche und war mit der Reinigung und Zurechtschneiden der Knollen beschäftigt. Das Aroma unterschied sich nicht von anderen Sorten, wenigstens zerfiel sie nicht so schnell und roh sieht sie wegen der Farbe attraktiver aus wie die gelblicheren Sorten. Die Pflanze setzt früh viele Blüten an, sie wäre enger gesetzt auch als Sichtschutzpflanze brauchbar. Ansonsten: Muss nicht sein.

Die Blüten sind attraktiv für Bienen und Wildbienen, viele Pollen, aber wenig Nektar
Stengel ist bei Topinambur stark behaart, bei H. Strumosus jedoch nicht.
"Blaue Französische" hat recht kleine Knollen
November. Laub abgestorben, Pflanze erntereif

Donnerstag, 19. November 2020

Neues zum Anbau von Süsskartoffeln

Wurzelknollen bei der Ernte, 3kg

Auch dieses Jahr habe ich wieder mehrere Sorten Süsskartoffeln angebaut. Geerntet wurden sie am 2. November, kurz bevor Nachtfrost angesagt war. Die gut entwickelten Pflanzen schafften wie jedes Jahr problemlos rund 3kg Ertrag pro Pflanze. Das ist einiges mehr im Vergleich zur Nachtschatten-Kartoffel. Pflanzt man sie in Reihe im 50cm-Abstand, Reihenabstand 1m kommt man auf zwei Pflanzen pro Quadratmeter, was 6kg Ertrag pro Quadratmeter ergibt. Nachtschattenkartoffeln kommen selbst im intensiven kommerziellen Anbau nur auf gut 3kg/qm, im Hausgarten in unserem nicht mehr kartoffelgeeigneten Klima sind es meist noch deutlich weniger. Sicher kann man auch anders rechnen, aber klar ist: Süsskartoffeln brauchen sich beim Ertrag nicht vor Nachtschattenkartoffeln verstecken, eher umgekehrt. Nachtschattenkartoffeln haben nur wenig Vorteile: Es gibt Frühkartoffelsorten, so dass ab Anfang Juli eine zweite Kultur auf derselben Fläche gepflanzt werden kann und die Kartoffeln sind ohne Wärmebehandlung haltbar, ausserdem ist das Pflanzgut deutlich billiger wenn man es kauft. Aber das Ertragsrennen verieren sie bei mir mit Pauken und Trompeten, da liegen sie hoffnungslos zurück. Jedenfalls im hiesigen heimischen Garten.

Süsskartoffeln gebacken zum Abendessen

Da Süsskartoffeln im mitteleuropäischen Nutzgarten eine neue Kultur sind, gibt es über die beste Anbautechnik und -Bedingungen noch viel zu lernen. Seit ich sie habe, versuche ich herausbekommen welche Bedürfnisse sie haben, was ihnen entgegenkommt.

In diesem Jahr hat sich zufällig einiges über die Art ihres Wasserbedarfs enthüllt. Schon länger klar war, dass sie so wie viele Kulturen in den zunehmend trockenen Sommern zusätzliches Wasser benötigen. Die Niederschläge haben die letzten Jahre nie ausgereicht. Im Aussengarten ohne Extrawasser blieben die Pflanzen immer klein und die Erträge gering.

Im Hausgarten hatte ich sie dieses Jahr an drei Stellen. Boden, Besonnung und Sortenspektrum überall gleich. Natürliche Niederschläge gab es ab Pflanzung bis Ende September wieder einmal keine nennenswerten. Die Ergebnisse waren sehr interessant:

3. Platz: Anfangs wenig Wassergaben
  1. Platz: Neben Paprikapflanzen. Ab Pflanzung bis Ernte immer gut bewässert, weil Paprika regelmässig Wasser benötigten, denn ihr Wurzelraum ist nicht gross. Ergebnis: 3kg Knollen pro Pflanze, schön geformte Knollen.
  2. Platz: Neben Wassertonne. Der Boden bleibt dort etwas länger feucht und ich habe ab Pflanzung ein bisschen gegossen, bis die Tonne leer war. Nicht viel. Mitte Juli war Schluss mit Extrawasser. Ab da mussten die Pflanzen selbst nach Wasser graben. Ergebnis: 3kg Knollen pro Pflanze, sehr schöne geraden Knollen. Exakt dasselbe wie von der duchgängig bewässerten Stelle.
  3. Platz. Neben Tomaten. Die halten es länger ohne Extrawasser aus, aber ab Mitte Juli war damit Schluss. Ab dann habe ich mehrmals kräftig gewässert. Ergebnis: Geringere Erträge, 1,8kg pro Pflanze. Die Knollen waren an allen Pflanzen ineinander verwickelt, sie sahen etwas aus wie unsere hohenlohischen Schneeballen. Das Bild zeigt sich auch bei den unbewässerten Pflanzen im Aussengarten, dort sind die Knollen dann noch kleiner.
Adventivwurzel, bereits zur Knolle ausgebildet


 

Wasserbedarf: Wann und wieviel?

Auch das Laub hat Masse: >2kg pro Pflanze
Sie können auch gerade wachsen

Damit ist klar geworden, dass Süsskartoffeln für gute und schwere Knollen vor allem am Anfang ihrer Entwicklung (in den ersten beiden Monaten) regelmässig Wasser benötigen. Danach sinken ihre Bedürfnisse nach Extrawasser. Kein Wasser ab Juli änderte die Erträge nicht mehr wirklich. Man schätzt das zunächst automatisch anders ein, denn Süsskartoffeln wachsen lange Zeit nach der Pflanzung nur sehr wenig. Die Pflanze steht optisch still. Mit und ohne Wasser. Kein Unterschied zu sehen. Die Ranken beginnen erst spät im Jahr, kräftig zuzulegen und in die Länge zu gehen. Ganz offensichtlich entwickelt sich aber in dieser ersten Zeit das Wurzelwerk, Lage und Zahl der Speicherwurzeln werden angelegt. Daraus werden später die grossen Knollen. Und diese ersten Anlagen gelingen nur, wenn Wasser da ist. Hat sie ihren Wurzelraum, schafft sie selber mehr Wasser ran und lässt die Ranken ranken. Grosse Bewässerungsmühen kann man sich dann sparen. Das Spiel wird am Anfang entscheiden, nicht ab Mitte.

Nun ist mir auch deutlich geworden, wieso Süsskartoffeln vor zwei Jahren nach einem feuchten Frühling trotzdem noch gute Erträge hatten, obwohl der Sommer danach sehr trocken wurde.


Zwei Sorten Süsskartoffeln beim Frittieren in Pflanzenöl







Sonntag, 8. November 2020

Teltower Rübchen, die Luxuswurzel

Dieses Jahr war unser bisher bestes Anbaujahr für Teltower Rübchen. Eine so schöne und grosse Ernte hatte ich noch nie. Jetzt sind sie fast abgeerntet. Wenn man sie essen will, muss man sie selbst anbauen, in Süddeutschland sind sie weitgehend unbekannt und sogar auf dem Wochenmarkt, wo Produzenten seltene Gemüsesorten anbieten sind sie fast nie zu finden. Es sind absolute Exoten. Doch was ist dieses Wurzelgemüse überhaupt und warum die Mühe damit?

 

Was sind Teltower Rübchen?

Teltower Rübchen gehören zur riesigen Gruppe der Kohlarten, es sind Kreuzblütengewächse. In dieser Gruppe stehen sie familiär neben den Nachkommen des wilden Rübsens, der im Mittelmeergebiet heimisch ist. Ebenfalls kultivierte Rübsenarten sind Chinakohl, Pak Choi, Rübstiel, Ölrübsen (der eine Elternart von Raps ist), Mairübe, vielleicht auch andere Herbstrüben und diverse Speiserüben und eben unsere Teltower Rübchen: Brassica rapa L. subsp. rapa f. teltowiensis. Es gibt noch ein paar wenige und teilweise ausgestorbene lokale Rübenarten, die Richtung Teltower Rübchen gehen, zum Beispiel die "bayerische Rübe", oder die "schwarze Winterrübe". Eine erschöpfende Übersicht aus historischen Quellen findet sich hier. Andere Kohlarten sind verwandtschaftlich ein bisschen weiter entfernt, da ist im Stammbaum meist der Meerkohl daran beteiligt, den unser Rübchen nicht mit drin hat. Typische Zeichen für eine genetische Meerkohlbeteiligung ist eine bläulich-weisse Wachsschicht auf den Blättern, die das Wasser abperlen lässt. Die hat unser Rübchen nicht, keine Spur davon. Das Grün des Laubes wirkt sehr satt, weich, bricht leicht. Optisch sind auch die Rübchenknollen leicht von ihren Speiserübenverwandten zu unterscheiden. Teltower Rübchen sind kleiner, weiss bis beige. Ihre essbaren Wurzeln wachsen oft unregelmässig und haben viele bartartige Wurzelhaare an der Knolle sowie horizontale Narben. Selten werden sie länger wie ein Daumen. Auch von den Inhaltsstoffen her sind sie ziemlich einzigartig im Vergleich zu den Kohlrüben. Sie enthalten bis zu doppelt so viel Zucker, Stärke, Eiweiss und dafür weniger Wasser, sind also gehaltvoller, konzentrierter und damit auch weit nahrhafter wie Kohlrüben sowie fast alle anderen Gemüsesorten. Vielleicht war das einmal einer der wichtigen Punkte für ihre frühe Wertschätzung.


Wie schmecken sie?

Kochfertige Stücke Teltower Rübchen

Für den verfressenen Nutzgärtner zählen vor allem zwei Dinge: 1. Wie kann ich das anbauen? 2. Wie schmeckts? Gekocht haben sie von ihren nahen Verwandten einen zart kohligen und ebenso zart rettichartigen Ton, der aber nie aufdringlich wird und auch nicht Richtung Radies geht, sondern Richtung Meerrettich. Daneben gibts aber noch viele Sekundäraromen, ich schmecke Kokos (wirklich!) heraus, eine sanfte Süsse, Spargel, erdig, duftig. Sie wirken "voll", dicht, nie wässrig und leichtgewichtig wie manchmal andere Kohlrüben. Einzigartig ist auch ihre Konsistenz. Gekocht zerfallen sie zwar nicht so schnell, werden aber trotzdem cremig weich, man kann sie fast mit der Zunge zerreiben. Für mich ein fabelhaftes Gemüse.



Wo kommen sie her, wer baut sie an?

Angeblich kamen Teltower Rübchen über Schweden oder Polen nach Deutschland, andere Theorien sprechen von den Niederlanden. Vor allem in Schweden entstanden im Spätmittelalter auch diverse Herbstrübensorten. Die Wildform von Rübsen kommt allerdings aus Südasien. Irgendwo auf dem Weg zu uns sind sie entstanden. Bis zur Ankunft der Kartoffel waren Speiserüben generell ein wichtiges Lebensmitel. Die ganze Speiserübenwelt ist uralt, schon seit über 2000 Jahren werden sie vom Mittelmeerraum bis China angebaut, Rübsensamen aus Kulturen sind schon aus der Zeit von vor 4000 Jahren in Mitteleuropa nachgewiesen. Welche Unterarten sich wann und wo abgetrennt haben, ist nicht mehr feststellbar. 

Im 18. Jahrhundert werden die Teltower Rübchen jedenfalls in Deutschland zur Spezialität, im 19. Jahrhundert zur Delikatesse. Goethe liess sie sich mit einem Eilboten bringen, Fontane liebte sie, sie wurden bis Portugal exportiert, in Frankreich wird sie von Napoleon geschätzt. Lange Jahre wird sie nur im Sandboden der Mark Brandenburg angebaut, dort aber massenhaft. Wie die gesamte übrige Esskultur Deutschlands erlebte das mit dem ersten Weltkrieg einen herben Absturz, ab dann ist nur noch satt werden um jeden Preis angesagt. In der DDR war sie nicht als Gemüse im Wirtschaftsplan vorgesehen, sie stirbt fast aus, nur noch ein paar Hobbygärtner haben sie. Mit ihrem Untergang trat eine bis heute dauernde Begriffsverwirrung mit anderen Speiserüben ein, sie wird seither mit anderen Speiserübensorten verwechselt, z.B. dem "Mairübchen Petrowski", aber das ist kein Teltower Rübchen. Die süddeutsche Saatgutfirma Hild aus Marbach rettete sie nach dem Ende der DDR und vermehrte sie wieder.

In Teltow auf sandigen Böden sollen sie das beste Aroma entwickeln, aber eigentlich ging es beim Rübenanbau am meisten darum, auf sandigen Böden mehr Verwertbares zu ernten. Vor allem etwas, das man sogar noch spät im Vegetationsjahr, nach der Getreideernte aussäen kann und das trotzdem noch reif wird. Das Prinzip: Ein Feld, zwei Ernten im Jahr. Das klappte mit Herbstrüben und eben auch mit den leckeren Teltower Rübchen. Teltow liegt direkt an der südlichen Stadtgrenze nach Berlin. Dort hat man erst nach der Wende die Rübchenspezialität wiederentdeckt und sich sogleich 1993 den Namen "Teltower Rübchen" als Marke schützen lassen. Wer Teltow und die Rübchen heute kennt, wundert und ärgert sich aber. In und um Teltow hat man wie so oft im heutigen Deutschland nichts unterlassen, um gründlich alles zu vernichten, auf dem etwas natürliches wachsen könnte, was im Kreislauf der Natur liegt. Gewachsen ist nur Beton und Zerstörung. Teltow wurde rasend schnell und mit voller Absicht zu einem hässlichen, verpanschten Brei aufgebläht, der in den überall bekannten kaputten Mischung aus furchtbaren neuen "Wohnparks", riesigen metastasierenden Blechhallen-Industriegebieten, Baumärkten, Strassen, Müllverarbeiter, quadratkilometergrosse LKW-Aufmarschplätze von "Logistikern" verwandelt wurde. Die Entwicklungen sind kein Einzelfall, überall läuft das so im engen Land, wir haben es auch vor der Haustür. Die Teltower Rübchen werden absehbar nur noch mit Rüben bepinselte LKW-Anhänger sein oder Einzelexemplare aus einem einsamen Winz-Restgärtchen hinter einem der endlosen neuen Bürgerpalastwüsten mit Schottergarten, Dreifachgarage fürs SUV und Wohnmobil, Riesenterasse, Grillplatz. Im stetigen Bestreben, Ressourcen gründlich zu vernichten, das Land mit Quantität zu verrümpeln statt Qualität wachsen zu lassen, ist der Anbau in Teltow heute stark zurückgegangen. Es gibt nur noch einen einzigen beruflichen Bauern, der sie im Anbau hat, in einem Zeitungsinterview sagte er "Zudem verlieren wir auch immer mehr Fläche, weil zurzeit nahezu jeder Krümel Bauland wird." Trotz gutem Absatz kann er nicht mehr liefern, auch wenn er will. Es gibt kein Land mehr zu pachten, er kann nicht bewässern weil er keine langfristigen Verträge bekommt, Investitionen in Leitungen und Brunnen wären also verloren. Hauptanbaugebiet ist mittlerweile Vierlanden bei Hamburg, es sind also eigentlich Hamburger Rübchen geworden und sogar in der Schweiz gibt es nun kommerziellen Anbau. So schafft es "Entwicklung" in Teltow nachhaltig zu zerstören, was Weltkriege und Diktaturen nicht geschafft haben.


Der Anbau

Gut entwickeltes Laub von Teltower Rübchen

Oft wird behauptet, nur in den Sandböden Brandenburgs würden sie ihre spezifischen Qualitäten entwickeln. Das kann durchaus sein, bald wird das niemand mehr vergleichend nachprüfen können weil auf dem "entwickelten" Beton und Blech Teltows nichts mehr wachsen kann. Aber eins weiss ich genau: Sie schmecken vielleicht nicht wie früher aus Teltow, aber auch aus dem eigenen Garten immer noch recht gut. Selbst wenn sie hier weitab von Sand und Brandenburg wachsen. Zum Beispiel in einem flachgründigen, tonigen Boden mit hohem Kalkgehalt, einem Klima das selten Fröste vor Mitte November kennt und sehr trockene Jahre die Regel sind. Eigentlich das genaue Gegenteil von den Bedürfnissen der Teltower Rübchen. Trotzdem: Nach einigen Jahren Anbau habe ich im Vergleich zu vielen anderen Kohlgemüsen sogar den Eindruck, dass es eine problemarme Kultur ist.

Keimung und sofort Schaden durch Kohlerdflöhe

Die runden, für Kohlgemüse kleinen Samenkörner werden Ende August bis Anfang September ausgesät. Empfohlen wurde früher im Bauernkalender der 5. August, dann Mitte August, aber das ist meiner Erfahrung nach heutzutage viel zu früh für die meisten Gegenden. Dann wird schon die erste Überraschung sichtbar: So gut wie Teltower Rübchen keimt kaum was. Selbst bei Hitze laufen sie recht gut auf. In jedem Boden. Ein bisschen giessen reicht. Gesät wird 1-2 cm tief im 10cm - Abstand. Da sie nach der Hauptzeit des Kohlerdflohs wachsen, ist ein Befall mit den typischen Löcherblättern zwar noch vorhanden, aber meist kontrollierbar. Blattkrankheiten sorgen manchmal für Ausfälle, aber aufgrund der kurzen Vegetationsdauer von acht Wochen erntet man die Rübchen dann halt etwas früher und sie bleiben kleiner, aber auch das verursacht keinen Totalverlust.

Rausziehen: Ernte

Wasser benötigen sie auch nicht mehr oder gleichmässiger wie andere späte Kohlgemüse. Sie wirken sogar genügsamer und robuster. Giessen muss man sowieso in unserer trockenen Gegend. Haben sie weniger Wasser, schaffen sie es trotzdem, nur die Rübchen bleiben kleiner. Dieses Jahr stimmte alles, der Herbst wurde im Oktober feucht, kühl aber ohne Frost. In Jahren mit viel Sonne und trockener Luft lief es weniger gut, aber noch gut genug. Auffallend war diesmal die gute und reichliche Laubentwicklung. Die Wurzelbildung verzögert sich dadurch offensichtlich etwas, setzte dann aber um so stärker ein. 

Neben Paprika

Der Anbau funktioniert auch, wenn Anfangs Halbschatten herrscht. Sogar besser. Ich pflanzte sie auch zwischen Paprikapflanzen. Dort waren sie im Jungstadium stärker beschattet, bekamen aber herrliches fettes Laub und anschliessend dicke Wurzeln. Die Paprika wurden im Herbst abgeräumt, die Rübchen blieben und wuchsen ungerührt stetig weiter.


Ernte

Ab Mitte Oktober ziehe ich die ersten Rübchen aus dem Boden. Auch kleine Rübchen sind schon gut. Sie wachsen sowieso sehr ungleich, manche Pflanzen entwickeln sind gar nicht, andere bekommen richtig dicke Knollen mit bis zu 200g Gewicht (mein Rekord bisher). Vielleicht ist die Unterschiedlichkeit der tatsächliche Nachteil bei Anbau in weniger geeigneten Verhältnissen. Mehrbeinigkeit ist auch häufiger, aber das ist ohnhin ein generelles Problem in schwerem Boden mit Steinen drin. Erntehöhepunkt ist Anfang November, also etwa acht, neun Wochen nach Aussaat. Ihr Fleisch ist dann unabhängig von der Grösse noch fast weiss, fest und sehr dicht, markig, auch brechend beim schneiden. Danach lassen sie nach und die beige Wurzel bekommt langsam schwarze Fasern unter der Wurzelhaut. So etwas ist auch bei überständigen Rettichen oft zu sehen oder wenn die Pfanzen im Stress sind, z.B. bei Befall durch die Kohl- oder Rettichfliege. Aber essbar sind sie noch, nicht holzig, die Aromen werden mit der Zeit langsam kohliger und weniger fein.

Wird langsam überreif - erste Fasern werden dunkel

 

Verarbeitung und Verwendung

Nach der Ernte werden sie abgebürstet, vor weiterer Verwendung geschält, genau wie die meisten anderen Wurzelgemüse, Beispielsweise gelbe Rüben. Das ist etwas mühsam, denn die Rübchen sind klein und die Verwachsungen sind nicht gerade schälfreundlich. Durch das schlechtere Verhältnis von Aussenfläche zu Inhalt gibts viel Schälabfall. Das muss beachtet werden, wenn man nach Rezept kocht und eine bestimme Menge Rübchen benötigt. 

Rübchen waschen und schälen, viel Schälabfall
Schäumt kräftig

Brutto bei der Ernte ist deutlich mehr wie Netto vor dem kochen. Anschliessend gemäss Rezept in Stücke schneiden oder nicht, in kochendem Wasser blanchieren oder direkt in einer Sosse kochen. Dabei zeigt sich ein besonderer Effekt: Es entsteht auf dem Kochwasser ziemlich viel und standfester Schaum und das Wasser wird auch schnell trübe. Wahrscheinlich verursacht das ihre vergleichsweise hohe Konzentration von Inhaltsstoffen, von denen sich etwas während des Kochvorgangs im Wasser löst.

Glasiert mit Zucker, Butter, Rotweinessig

Zur Verwendung gibt es unzählige Rezepte im Internet. Wir essen sie am liebsten in Stücken blanchiert, dann mit Butter, wenig Zucker und einem Säurungsmittel wie Agrest angeschwitzt, eventuell noch in Petersilienblättern gewälzt, also ganz einfach. Andere Leute schwören auf eine Cremesuppe aus Rübchen oder bevorzugen sie klassisch, in dicken Sossen, was wir auch gerne machen. Auch als Rohkost oder in Eintöpfen hat sie Liebhaber. Egal was: Etwas Säurezugabe ist immer gut. Und Butter harmoniert immer sehr gut damit. Den guten Eigengeschmack sollte man nicht mit vielen starken Gewürzen übertönen. Andere Speiserüben vertragen das besser, das sind mehr Resonanzböden für Gewürze. Die Teltower Rübenddiva möchte dagegen selbst glänzen und im Mittelpunkt stehen.

 

Lagerung

Am Besten finde ich sie erdfrisch aus dem Boden. Abgebürstet und ohne Laub halten sie sich im Kühlschrank eine Woche, am Besten im Null-Grad-Fach. Sie lagern sich auch einfach bis ins Frühjahr in einer Sandkiste, genau so wie andere Speiserüben, Pastinaken, gelbe Rüben, rote Rüben, Topinambur. Tiefgefrieren habe ich noch nicht ausprobiert, müsste aber angesichts der gekochten Konsistenz gehen - die Stücke blanchieren und dann einfrieren.


Fazit

Die kurze Entwicklungszeit, gute Eignung als Nachkultur, ihre Robustheit und die "Leckerei, die man nicht kaufen kann" machen sie zur idealen Herbstkultur im Hausgarten. Nach einigen Jahren Test damit sind sie nun in mein Stammsortiment der regelmässig angebauten Gemüsesorten gekommen.

Freitag, 30. Oktober 2020

Tafeltraubentest: Solotoi Don

Solotoi Don - aufrechte Ranken

Die letzte reif gewordene Tafeltraubensorte in meiner Sammlung ist "Solotoi Don" und die Letzte, die für dieses Jahr in der Tafeltraubentestserie beschrieben werden soll. Der Name legt es nahe: Wieder eine russische Züchtung. Und zwar erneut einer der viel vielen, vielen Wostorg-Abkömmlinge, die Eltern waren Biruinca aus Moldavien und Wostorg. Gedacht war sie als Spätsorte, die man noch lange in den Herbst hinein essen kann. Die Kurzübersicht der Testwertung:


 

Wuchs und Krankheiten

Gewelltes, dunkelgrünes Laub

Solotoi Don wächst recht charkteristisch. Sie will steil nach oben, geht aufrecht weg. Das ist nicht gerade ein pflegeleichter Wuchs, Wein wird meist an Drähten horizontal geführt, nicht wie eine Pappel einfach nur nach oben. Damit verursacht sie mehr Binde- und Pflegearbeit, weil man sie ständig zur Seite zwingen muss und falsch wachsende Ranken beseitigen. Die Ranken sind auch nicht so schön garniert. Fazit: Schwieriger Wuchs. 

Die Blätter haben ebenso einen besonderen, eigenen Charakter. Sie wirken dick, nicht sehr gross und sind alle irgendwie nach aussen gewellt. Dafür scheint das Laub bis zum Herbst gesund zu sein, vor September waren kaum Krankheitsschäden zu sehen, obwohl die Sorte an einem typischen Mehltauplatz steht. Später bekommen sie dann schnell echten Mehltau, da ist das aber kein echtes Problem mehr.

Die Beeren sind leider nicht gesund. Sie wirken früh fleckig. Diese Kratzer oder Sprenkel sind die Anfänge von echtem Mehltau. Die Flecken verheissen keine lange Erntezeit, sondern frühen Verderb. Zu allem Überfluss verrieseln die Trauben auch noch kräftig, so dass die Trauben sehr locker werden.

Beere Solotoi Don im Frühherbst mit Mehltauschaden


Ertrag und Pflege

Das Ertragsniveau ist mässig. Solotoi Don setzt zwar sehr stark an, muss dann aber kräftig ausgedünnt werden. Die kleinen Blätter assimilieren offenbar nicht so recht, so dass die Erträge eher mässig sind, will man den Stock nicht überlasten. Wenn das passiert, bleiben die Beeren klein und die Reife verzögert sich in den Oktober hinein, es kann auch sein dass man gar nichts mehr erntet.

 

Trauben und Beeren

Die Blüten verrieseln leicht, was zu sehr locker aufgebauten Trauben mit teilweise grossen Beeren führt. Gross werden sie aber nur, wenn man gut ausgedünnt hat und innerhalb der Traube eher am oberen Ende. Die Beeren enthalten im Schnitt zwei Kerne, die leider stören. Am schönsten ist ihr Fruchtfleisch: Homogen und fleischig, fast samtig. Solotoi Don kann man auch lutschen. Die Harmonie wird nur durch die Kerne gestört.

 

Inhaltsstoffe, Aroma und Verwendung

Ab Mitte September werden die Beeren essbar. Sie sind schon früh süss, nicht wegen Reife sondern wegen fehlender Säure. Leider auch so ziemlich aromafrei. Noch nicht einmal etwas Säurespiel erfreut die Zunge, geschmacklich herrscht gepflegte Langweile, allerdings sind auch keine Aromen da, die jemand verprellen können. Der Süsseindruck entspricht lange nicht dem Zuckergehalt, sondern wirkt nur deshalb höher, weil die Säure fehlt, das Refraktometer beweist das. Damit wirken die Beeren gleichzeitig abgebaut, ein Zuckerwasser. Wäre die schöne gleichmässig fleischige Fruchtfleischkonsistenz nicht, müsste man sich wirklich fragen, wieso solche Sorten überhaupt auf den Markt kommen.

Festes, kleines Laub mit roten Blattstielen

Leider ist das der Stil, dem mit ein paar glücklichen Ausnahmen viele der neueren osteuropäischen Sorten folgen. Die kleinteilige Tafeltraubenproduktion für die lokalen Märkten verlangt das wohl. Diese Sorten stammen oft aus denselben Elternlinien, bringen allesamt bei entsprechender Pflege grosse Schautrauben (für hiesige Märkte zu gross), auch auf die Beerengrösse wird grosser Wert gelegt, egal welche Nachteile damit einhergehen. Inhaltlich bleibt es bei möglichst süsser, plumper Langeweile - es sind Blender und Sattmacher ohne innere Werte. Weniger störende Kerne haben dagegen keinen hohen Stellenwert. Blaue Sorten dürfen dort keine Gerbstoffe in der Schale haben. US-Züchter sind da ganz andere Wege gegangen, die auch sehr gut bei kommerziellen Anbauern in Südeuropa ankommen und den Markt abräumen. Beispielhaft ist der Erfolg von Sugrasixteen/Sable von Sunworld mit ihren tropischen und intensiven Aromen, der Kernlosigkeit, der Haltbarkeit, der idealen Trauben- und Beerengrösse.


Hintergrundinformationen zum Standort

Sie wächst auf schwierigem, trockenen Boden nahe an einer Garagenwand. Ein Teil ist unter dem Dachüberstand, ein Teil nicht. Weinbauklima mit Spätfrösten und heissen Sommern, geringe Niederschläge.