Dienstag, 22. März 2022

Das Tomatenjahr beginnt - bitte ohne Braunfäule

Braunfäule Phytophthora infestans, erster Blattbefall

Alle Jahre wieder: Jungpflanzenanzucht von Tomaten ist ab Mitte März wieder angesagt, nach den Paprika, vor den Gurken, Melonen, Kürbissen. Nach der Braunfäulekatastrophe letztes Jahr werden vermutlich einige Nutzgärtner dieses Jahr einen stärkeren Drang zu anderen Anbautechniken und einem robusteren Sortenspektrum verspüren. 

Die Tomatenseuche

Eigentlich ist die Braunfäulekatastrophe schon 40 Jahre älter. Bis Anfang der 1980er Jahre gab es damit wenig Probleme im Tomatenanbau. Der verursachende Braunfäulepilz Phytophthora infestans ist zwar seit 1845 nach Europa eingeschleppt worden, verursachte die bekannte Hungersnot in Irland weil auch Kartoffeln befallen werden, aber die damals und danach noch einmal eingeschleppten Stämme waren nur zu nichtsexueller Vermehrung fähig und es konnten bald resistente Sorten gezüchtet werden. Danach passierte, wovor Biologen dringend gewarnt hatten: Eine zur sexuellen Vermehrung fähige Variante wurde aus Amerika um 1980 nach Europa eingeschleppt. Sie kann sich ständig genetisch verändern und rekombinieren. Seither ist Feuer unterm Tomatendach und hat einigen Nutzgärtnern Freilandtomaten regelrecht ausgetrieben. Faulende Früchte, sterbende Pflanzen im Sommer, das macht keinen Spass. Bis vor zehn Jahren waren alle Sorten stark anfällig, ganz langsam gelang es, ein paar wenige robustere Sorten zu züchten - erst einmal nicht in Europa.

...dann an Stengeln

Freilandtomaten sind auch in privaten Gärten eine Seltenheit, denn der Pilz benötigt Luftfeuchte, Wasser, um sich zu vermehren. Die meisten Leute bauen sie deshalb unter Folie an, unter Dachüberständen im Topf, im Gewächshaus. Das ist speziell bei Tomaten ausgesprochen schade, denn nur im Freiland entwickeln sich auch kräftige Aromen. Foliendächer filtern UV-B Strahlung der Sonne, die für die Aromabildung wichtig ist. Hinzu kommt manchmal erheblicher Aufwand für die Dachkonstruktionen und der traurige optische Eindruck einer Hüttenlandschaft im Garten. Man kann zwar von seinen Foliendachtomaten schwärmen und besser als Supermarktware sind sie meist auch, aber man sollte dann auch einmal den direkten Vergleich mit einer voll besonnten Freilandpflanze gleicher Sorte machen, das öffnet die Augen und die Geschmacksknospen. Zudem sind die Zeiten grosser Tomatenbeete vorbei, man quetscht sie nun unter ein begrenztes Tomatendach. Das Tomatenjahr im Freiland ist ansonsten kurz geworden, ab Mitte Juli droht Totalausfall durch Braunfäule, meist ist es Mitte August so weit, wenn die Nächte kühler und taufeuchter werden.

Noch eine Seuche: Alternaria

Alternaria an Tomatenblättern

Die Jahre vor 2021 gab es aufgrund sehr trockener Jahre drei Jahre lang weniger Braunfäule, dafür mehr Alternariabefall. Diese Krankheit kann man am Anfang nicht immer von Braunfäule auseinanderhalten. Alternaria kommt früher im Jahr, schon bevor sich Braunfäule breitmacht, die braunen Blattnekrosen sind oft gezont und haben im Gegensatz zu Braunfäule immer einen gelben Hof. Alternaria ist zum Glück selten ein kompletter Spielverderber. Braunfäule verbreitet sich hingegen rasend schnell, zerstört auch die Stengel und Früchte, die ganze Pflanze ist hin.

Hausmittel, Stärkungsbrühen haben sich in Versuchen gegen Braunfäule als nutzlos erwiesen. Pflanzenschutzmittel, Fungizide existieren leidlich, sollen aber hier nicht Thema sein. Nutzgärtner greifen sowieso nur höchst ungern oder gar nicht zu solchen Mittel. Am liebsten mogeln wir uns an den Krankheiten vorbei, durch gute Anbaubedingungen, Hilfsmittel wie die genannten Foliendächer und resistente Sorten, sofern vorhanden und qualitativ brauchbar.

Züchtung resistenter Sorten

Endphase Braunfäule

Solche Sorten existieren mittlerweile, aber der Weg dorthin war sehr lang, die Züchtung begann in den USA schon 1940 und es gibt noch Vieles zu verbessern. Einen sehr grossen Schritt erreichte Dr. Randy Gardner (der heisst wirklich so) von der North Carolina State University, er stellte im Jahr 2010 mehrere klassisch gezüchtete Tomatensorten mit erstmals multigenetisch verankerter Resistenz vor. Er nutzte dafür sehr kleinfrüchtige, Wildtomaten nahestehende Resistenzträger. Ergebnissorten aus dieser Züchtung waren unter anderem Defiant, Iron Lady, Jasper, Mountain Magic, Mountain Merit und noch ein paar mehr. Leider alles F1-Hybriden. Das löste Hoffnungen und Aktivitäten anderer Leute aus, so dass heute noch ein paar mehr Sorten verfügbar geworden sind. Kräftig beworben wird "Primabella", "Rondobella", verfügbar sind "Buffalosun", "Consuelo", "Honey Moon", "Crimson Crush". Weitere Sorten nennen sich zwar Resistent, haben aber nur einfache Resistenzen, die nicht lange halten. Beispiele: Philovita (Züchtung von De Ruiter Seeds, eine Marke von Bayer-Monsanto), Fantasio. Von denen halte ich nicht viel, die Samen sind so teuer wie wirklich resistente Sorten, Braunfäulebefall findet nur leicht verzögert statt.

"Defiant" habe ich im Anbau, seit die ersten Samen nach Europa gekommen sind und seither noch viele resistente Sorten mehr. Diese Sorten sorgten vor allem letztes Jahr dafür, dass ich Tomaten bis in den Herbst ernten konnte, während Nachbarn und Bekannte in ungünstigen Jahren pünktlich zur Haupterntezeit ab Ende Juli alles abräumen mussten - Totalschaden. Auch meine klassischen Sorten gingen über den Jordan, auch danebenstehende resistente Neuzüchtungen bekamen mit der Zeit ein paar Symptome, das blieb aber fast immer begrenzt, sie lebten, fruchteten ungerührt weiter. Und mehr noch: Seither gelingt es sogar wieder, Tomaten extensiv im Freiland anzubauen, ohne Dach. Speziell "Defiant" ist teilweise determinant und wird nicht besonders hoch. Man kann diese Sorten ohne grosse Pflege in einem Aussengarten setzen, einmal am Spiralstab festmachen und dann mit wenig Aufsicht wachsen lassen. Das ist ideal, wenn man viel Tomatensugo und getrocknete Tomaten für den Winter haltbar machen will. Einmal die Woche hingehen und schwungweise ernten, kochen, passieren, abfüllen.

Nun mal einige meiner eigenen Sortenerfahrungen mit diesen neuen Sorten hier im Freilandanbau:

Defiant

Tomate Definant abgeerntet, Ende August
im Braunfäulejahr 2021 - kaum Befall.

Darüber steht schon einiges weiter oben. Es ist die Sorte, zu der ich immer wieder zurückgekommen bin. Wuchs problemlos, wird im Freiland 100 bis 150cm hoch, im Gewächshaus auch höher. Ideal für extensiven Anbau. Fruchtet und reift früh und reichlich und dann bis zum Frost, so ganz echt determinant ist sie glücklicherweise dann doch nicht. Dankbare Sorte mit guten Erträgen. Pflanze wird bei guten Infektionsbedingungen nur punktuell von Braunfäule befallen, wächst weiter, fruchtet weiter. Tomaten etwas uneinheitlich in der Grösse, die Meisten haben typische 70-100g mit viel Fruchtfleisch, im Stil wie eine kleine Fleischtomate. Ihr Aroma ist wirklich gut, voller Tomatengeschmack, volle Farbe, schöne Konsistenz. Nicht platzempfindlich. Für alle Verwendungen, besonders Sugo. Nachteile hat sie auch: Eine stark erhöhte Anfälligkeit für Blütenendfäule, vor allem bei heissem Wetter. Calcium verbessert diese Mangelerscheinung. Ich habe das einfach in Kauf genommen, schwarze Stellen abgeschnitten und die Frucht weiter zu Sosse verkocht.

Honey Moon

Riesiger Nabel

Fleischtomate. Wuchs bis 180cm. Reife etwas spät, Erträge unterer Durchschnitt. Tomaten >200g, gleichmässig, hat einen leicht himbeerartigen Farbton, aber nicht richtig Pinkrosa. Auf Fotos sieht man das oft nicht richtig. Haut ist ziemlich hart. Die Früchte haben einen charakteristischen grossen Nabel, sie lösen etwas schwer vom Stengel, auch wenn sie reif sind. Man sollte sie wirklich ganz ausreifen lassen, dann erreichen sie erst ihre Güte. Aroma ist gut, tomatig, mit Säure und Schmelz. Platzt nicht. Blütenendfäule kommt vor, wie auch bei den meisten anderen Sorten von Gardner. Ich vermute, der Resistenzträger brachte das in die Zuchtlinien.

Tomate Honey Moon Schnittbild
Tomate Honey Moon Strauch

 


Cocktail Crush

Tomate Cocktail Crush

Die meisten braunfäulefeste Sorten sind eher klein, es gibt überdurchschnittliche viele "Naschtomaten" oder Kirschtomaten, Cocktailtomaten. "Cocktail Crush" ist auch sowas, Früchte um 50g. Grosse Pflanze, wächst in die Höhe, Erträge durchschnittlich, mittelfrühe Sorte. Braunfäulefest, auch keine Alternaria gesehen. Aroma durchschnittlich. Nach zwei Jahren habe ich sie aussortiert, denn sie hat einen gravierenden Nachteil: Sie platzt bei mir zuverlässig am Stock nach Regen. Was soll ich mit einer Tomate, die nach Regen platzt, wo doch der Hauptvorteil einer braunfäuleresistenten Sorte der Freilandanbau ohne Folie ist?

Mountain Merit

Ähnelt in Allem der Sorte "Defiant", konnte sie teilweise nicht gut unterscheiden. Früchte tendentiell etwas grösser, Pflanze auch, Erträge gleichhoch, Blütenendfäule nicht besser. Früchte etwas weicher. Ersatz für "Defiant", falls man die nicht bekommt. Vorsicht: Eine andere braunfäulefese Sorte heisst "Mountain Magic", nicht verwechseln. "Mountain Magic" hat kleinere Früchte, nur max. 60 Gramm schwer. Auch sehr gut, aber aber eben nur eine Cocktailtomate.

Iron Lady

Noch ein naher "Defiant" Verwandter.  Diese Dreiergruppe zeigt wenig Unterschiede. Sie wirken alle wie kleine Fleischtomaten, recht gut im Aroma, hinreichend gut braunfäulefest. In dieser Gruppe kann man nichts falsch machen, wenn man mit Blütenendfäule klar kommt.

Consuelo 

Eine Kirschtomate. Wuchs über 180cm, geht in die Länge. Aroma durchschnittlich, platzt nicht, keine Blütenendfäule, die bei Kirschtomaten sowieso selten vorkommt. Erträge etwas schwach. Wenn schon Kirschtomate, dann wenigstens viele der kleinen Früchte. Erwies sich als nicht ganz so braunfäulefest wie die anderen Sorten, unter starkem Befallsdruck wird sie schliesslich deutlicher krank. Damit fraglich, denn an braunfäulefesten Kirschtomaten herrscht sowieso kein Mangel. Als "robust" kann man sie aber definitiv ezeichnen.

Weitere Sorten

Daneben schwirren noch einige Sorten herum, die oben schon genannt wurden, sie werden auch als recht braunfäulefest gepriesen, Sunviva etwa. In Feldversuchen hat sich das aber nicht bestätigt, diverse Nachteile hat sie auch noch, etwa sehr platzanfällig. Jahrelang geisterte ferner "De Berao" durch die endlosen Abschreiberartikel, die Sorte ist allerdings sogar stark anfällig und taugt geschmacklich wirklich nichts. Einige andere Sorten sind aber durchaus tauglich, meine Erfahrungen sind jedoch noch nicht langjährig genug, um da belastbare Aussagen zu machen. Wer probieren will: Primabella (gleicher Züchter wie Sunviva, Dr. Bernd Horneburg / Göttingen) und Rondobella, Resibella, Vivagrande; Rubylicious (Kirschtomate), Buffalosun (gelbe Fleischtomate, USA) und Gourmansun (gelbrote Ochsenherztomate), Paoline und weitere. So oder so: Endlich Sorten, die man im Freiland ausprobieren kann!

Woher bekommt man diese Sorten?

Einzelne Sorten haben den Weg ins Standardsortiment grosser Endkundensamenverkäufer gefunden. Bezugsquellen: Iron Lady gibt es bei Pötschke, Honey Moon hat Sperli im Programm, Rondobella und Andere gibts von Culinaris im Samenhaus. Kiepenkerl hat Primabella. Bobby Seeds hat mehrere Sorten. Mit diesen Stichworten und Sortennamen findet man genügend Händler oder auch Grosshänder wie beringmeier.de. Ich bin ziemlich sicher, dass solche Sorten in wenigen Jahren auch bei Nutzgärtnern einen festen Platz im Anbau haben. Bei mir haben sie das schon länger. Das ist so erfolgreich, dass Manche vermuten, ich würde nachts mit einem bösen Spritzmittel heimlich Tomatenpflanzen behandeln, anders könne man ja keine Freilandtomaten wachsen lassen. Ein Nachbar baut riesige Dachkonstruktionen, ein Anderer geht auf frühe Freilandernten, bevor er seine befallenen Stöcke leider abräumen muss. Mein Hinweis auf die neuen Sorten verhallte (noch?), Phytophthora infestans und Folien-, Balkenverkäufer freut es.

4 Kommentare:

  1. Hoffentlich ist es nächste Ernte besser;)

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  2. 2022 war sie tatsächlich besser, aber da es keine Niederschläge und nur sehr wenig Nachttau gegeben hat, sind auch hochanfällige Sorten krankheitsfrei gut geworden. Im Schnitt wird aber jedes zweite Jahr bei konventionellen Sorten mit Braunfäule Ende August oder früher beendet. Wenn man es nur immer vorher wüsste, wie das Wetter wird :-)

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  3. Oh, sehr gut, das wusste ich nicht, dass die Braunfäule eingeschleppt wurde und dass es mittlerweile fast resistente Sorten gibt. Tatsächlich wollte ich den Artikel erst gar nicht lesen, weil meine Erfahrungen mit Tomaten sehr durchwachsen sind, vorsichtig ausgedrückt...

    Man sollte wirklich alles lesen, es lohnt sich :-)

    Jetzt juckt es mich, es doch nochmal zu versuchen. Vermutlich bin ich für 2024 schon zu spät dran, zumindest mit selber ankeimen (das gelingt bei mir ohnehin nur selten, die meisten Keimlinge sterben an irgendwelchen Umfallerpilzen, wenn ich sie nicht draußen stehen habe, gibt es da einen Trick?)

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  4. Weniger feucht halten, nur von unten giessen, gut drainierte hochwertige Anzuchterde (notfalls vorher dämpfen), früh in den Wind nach draussen stellen, lieber etwas zu kühl wie ungelüftet.

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