Donnerstag, 10. März 2022

Die Selbstversorgerphantasie

Selbstversorger- aber nur Gemüse, kaum Nährmittel

"Selbstversorger" ist seit einiger Zeit ein absoluter Modebegriff. Das ist eigentlich recht witzig, denn der Begriff ist schlichtweg eine Lüge. Niemand in Mitteleuropa schafft es, Selbstversorger zu sein. Es sind so wenig Leute wie nie auch nur annähernd Selbstversorger und auch ganz Deutschland kann sich nicht einmal annähernd selbst von dem versorgen, was hier wächst.

Selten gehen Wünsche und Realität von Nutzgärtnern so weit auseinander wie bei diesem Begriff. Gross wird in allerlei Videos, Webseiten, in sozialen Netzen durch endlos Experten und Grünfingern von Selbstversorger-Methoden berichtet. Manche Leute stellen komplexe Rechnungen auf und fragen sich, wie gross der Garten sein muss, wieviel man anbauen muss um die Selbstversorger-Ehrenmedallie zu verdienen. Aber Selbstversorger ist gar niemand, auch nicht Leute die auf viel bebaubarem Land sitzen. Wer es nicht beruflich macht, kann nicht einmal Grundzutaten für tagtäglich gegessene einfachste Lebensmittel selbst herstellen. Praktisch alle Kalorien, alle Sattmacher, alle Nährmittel, Zucker wachsen kaum in unseren Nutzgärten. Wo sind sie, die Getreidesorten für unser Brot, Gebäck und unsere Nudeln? Wo im Garten stehen die Pflanzen und/oder Tiere für Fett und Öl? Wo wachsen unsere Hülsenfrüchte für genug Proteine, die Linsen, die Soja- und Kernbohnen, die Kichererbsen? Selbst der Kartoffelbedarf lässt sich aus den allermeisten Gärten nicht decken. Eier, ja, mit Hühnerhaltung, aber woher nehmen wir das Hühnerfutter? Das gilt auch für andere Tiere. Kuh, Schwein? Schafe sind leicht populärer geworden - bei den wenigen glücklichen Leuten, die grosse Liegenschaften geerbt, angeheiratet oder mit Millionen gekauft haben. Jedoch auch da: Butter, Käse, Milch haben, nur mit Schafen - viel Spass.

Selbstversorgung mit Tomaten gelungen

Letztlich bedeutet der Begriff "Selbstversorgung" immer nur, dass man mit viel Einsatz in einigen Monaten etwas Gemüse und Obst aus eigenem Anbau hat und ein paar wenige platzprivilegierte Tierhalter noch einige wenige tierische Produkte erwirtschaften, wobei sie relevante Anteile des Tierfutters dazukaufen. Was uns tatsächlich satt macht, kaufen wir fast immer, es wird nicht vom netten Biobauern nebenan, sondern von spezialisierten Grossbetrieben angebaut, meistens im Ausland oder mit importierten Futtermitteln. Und von Textilienfasern und nachwachsender Energie fangen wir besser gar nicht erst an zu reden.

Wir kaufen es nicht nur von anderen Produzenten im Land, wir importieren es von ausserhalb, über Kontinente hinweg. Denn in grossem Maßstab läuft es nicht anders. Deutschland ist grösster Lebensmittelimporteur der Welt, schon seit Jahrzehnten, bis heute. Gemessen nicht nur im Wert, sondern auch in der Menge. Allein von 2000 bis 2010 haben sich Agrarimporte von knapp 10 Millionen Tonnen auf über 15 Millionen Tonnen erhöht, das nicht nur absolut, sondern auch ein hoher Pro-Kopf-Wert. Schon seit weit über hundert Jahren kann im (damals noch viel grösseren und landwirtschaftlich reicheren) Land nicht einmal mehr annähernd das produziert werden, was verbraucht wird. Selbstversorger? Hat sich was. Und was hier produziert wird, verlässt sich auch auf importierte Produkte, zum Beispiel Tierfutter. Deutsche Milch und deutsches Schweinefleisch? 90% des Futters für die hier gezüchteten Tiere wird importiert - der grösste Teil aus anderen Erdteilen. Es gibt nur ein paar wenige Spezialprodukte, bei denen das Produktionssaldo positiv ist. Selbst bei so urdeutsch wirkenden simplen Obstsorten wie Äpfeln ist Deutschland das grösste Importland der Welt - importiert werden Äpfel im Wert von über einer halben Milliarde Euro, exportiert weit weniger. Beim Apfelsaft ist die Situation noch weit drastischer.

Kartoffeln, reichen eine Woche

Woher solls auch kommen? Das Bundesland Baden-Württemberg hat beispielsweise 816000 Hektar Ackerfläche. Bei mittlerweile (ununterbrochen entgegen allen Vorhersagen stetig steigenden) 11 Millionen Einwohnern macht das nicht einmal 750 Quadratmeter Acker pro Kopf aus. Weltweit sind es 1800 bis 2000 Quadratmeter. Nachbar Frankreich liegt bei 2700, Rumänien bei über 5000, hat ausserdem sehr hochwertige Böden. Auf diesem 750 Quadratmeter-Acker müssten Nährmittel, Öle, Zucker, Hülsenfrüchte, alle Futtermittel, Faserpflanzen, Energiepflanzen produziert werden, in einem Klima das nur maximal fünf frostfreie Monate im Jahr hat und mittlerweile ertragsmindernd unregelmässig gewordene Niederschläge zwischen monatelanger Trockenheit und Überschwemmung. Völlig absurd. Tatsächlich würden noch nicht einmal streng vegane und einseitige Ernährung, Lumpen statt Kleider aus Faserpflanzen, Holzherd (Holz woher?) statt Biogas aus Mais, intensiver Anbau ausreichen von dieser Fläche würdig zu leben. Im Bioanbau mit seinen obendrein niedrigeren Erträgen würde bitterer Hunger recht früh kommen. Nimmt man Mangel, Kälte und extrem einseitige Ernährung die bald zu Krankheiten führen in Kauf, könnte bei Intensivanbau (Düngemittel woher?) vielleicht das sofortige hungern vermieden werden. Jeden Tag im Jahr ein roher, kalter Getreidebrei in Wasser würde bei 800g Weizenertrag (353kcal/100g) pro qm im konventionellen Anbau pro Quadratmeter wenigstens den Magen füllen, dafür wären 360qm nötig, auf dem Rest der Fläche müssten Proteine, Gemüse für Vitamine stehen und die Energie für Landmaschinen, Dünger- und Pflanzenschutzmittel müsste aus der Luft herbeischweben. Und Vorsicht, alles ist perfekt zu lagern, kein Gramm zu verschwenden, nichts verschimmeln, nichts von Käfern fressen lassen. Keine Missernte erleben. Fazit: Die Decke ist nicht nur ein bisschen, sie ist um ein Vielfaches und drastisch zu kurz.

Ein Kofferraum voll Selbstversorgung

Die Aussichten für die Zukunft sind nicht besser. Agrarland wird rasend schnell absichtlich und gründlichst vernichtet. Im Grün regierten Baden-Württemberg geht der Flächenfrass beispielsweise hemmungslos weiter wie bei Dauerbesoffenen, die nicht von der Flasche weg können. Es ändert sich nur jeweils die Flaschenfarbe, momentan ist sie Grün. Die besten Böden unserer Gemeinde wurden mit rücksichtsloser Brutalität gegen das Land zu Grosslagern, anderen Lager und LKW-Aufmarschplätzen zubetoniert. Welche Partei an der Macht ist, spielt absolut keine Rolle, unter der grünen Regierung läuft alles ungehemmt weiter wie bisher mit Rekordjahren wie 2017, die Selbstlügen dazu sind nur noch grösser geworden. Auch die dies immer weiter anheizende Bevölkerungszunahme durch die politisch hocherwünschte Zuwanderung ohne jedes Limit scheint keine Grenzen zu kennen. Es wird gequetscht, gepresst, gebaut und gestapelt und das Land damit kaputt gemacht. Bei den Agrarerträgen sind die Grenzen aber längst erreicht, da hat sich nicht mehr allzuviel getan, die meisten Kulturen liegen an ihren biologisch bedingten Grenzen, die auch durch Züchtung nicht mehr wesentlich ausgeweitet werden können. Die Hektarerträge von Reis in Asien, Mais in Deutschland, Weizen, Gerste änderten sich im letzten Jahrzehnt nicht mehr wirklich.

Der Selbstversorger ist also ein Traumwesen, im Grossen wie im Kleinen. Eine unehrliche Täuschung, die sich täglich zwischen wachsenden Industriegebieten, wachsenden Bürgerpalästen, wachsenden Freiflächen-Solaranlagen und immer mehr extremen Wetterlagen weiter und weiter von der Realität entfernt. Es wäre ehrlicher, nur von Hobbygärtner, Nutzgärtner, Genussgärtner zu reden, der ein paar ausgewählte Genüsse teilweise selber anbaut, aber nie davon länger satt wird.

Selbstversorger mit LKWs, hier war einmal bester Ackerboden

 

Dienstag, 1. März 2022

Scharlachdorn, das leckere Wildobst

Angebissenes Früchtchen

Jetzt ist Pflanzzeit für ein nahezu unbekanntes, aber wertvolles Wildobst. Er sieht auch jetzt im Winter eindrucksvoll aus und meine erste Begegnung mit ihm vor ein paar Jahren löste eine intensive Suche nach der genauen Art aus. Begegnet bin ich ihm in der Hecken- und Gehölzzone am städtischen Hallenbad, wo viele interessante Pflanzen gewachsen sind. In den 1970er Jahren gab es hier in Möckmühl einen Gartenbauer in städtischem Auftrag oder jemand des städtischen Bauhofs, der richtig was drauf hatte. Bepflanzungen aus dieser Zeit stechen richtiggehend heraus. Es wurden viele insektenfreundliche Blühgehölzarten gepflanzt, sehr standortangepasst, robuste Arten, fast immer auch fruchttragend, Wildobst für Vögel, pflegeleicht. Oft einfallsreich und mit Liebe zur Vielfalt, nicht nur die gerade modischen Standartarten der damaligen Zeit. Irgendwann in den 1990er Jahren gab es dann offenbar einen Verantwortlichenwechsel und was ab dann gepflanzt wurde, wurde sichtlich wertlos, lieblos, langweilig. Seit einigen Jahren fand dann ein totaler Zusammenbruch statt. Den alten Blühpflanzenbeständen begegnet das heutige Personal regelrecht hasserfüllt, es wird seither rücksichtslos ausgeholzt, abgesägt und durch absolute Katastrophen ersetzt, wenn man gezwungen ist etwas Neues zu pflanzen. Wildbirnen - Kettensäge, stattdessen Zwergkastanien. Blühhecken - abgesägt, stattdessen Hainbuche. Weissdorne - Kettensäge, stattdessen schmale Sumpfeichen. Kornelkirsche - abgegraben, stattdessen gar nichts. Es ist kaum mehr etwas übrig aus der befähigten Gartenbauergeneration.

Früchte in Vollreife, teilweise schon abgefallen 29.8.

Bis vor einigen Jahren war auch um das städtische Hallenbad herum noch viel dieser tollen ursprünglichen Bepflanzung vorhanden. Darunter auch mehrere auffallende weissdornartige Gewächse, etwa 3-3,5m hoch und mit eindrucksvollen langen Dornen. Da habe ich sie kennengelernt. Im Spätsommer hatten sie rote Früchte, die ich probiert habe und davon sehr überrascht war. In Deutschland wachsende Weissdornarten sind normalerweise nur für Vögel interessant, die Früchte sind zwar geniessbar, aber als Wildobst für den Menschen wenig attraktiv. Sie sind mehlig und haben kaum Aroma. Aber der hier war richtig gut, hat sich deutlich und positiv von anderen Weissdornen abgehoben.

Früchte gesammelt 29.8.
  • Fast schon saftige Früchte jedenfalls viel weniger trocken wie die anderer Weissdorne
  • Für einen Weissdorn Früchte mit guter Grösse, etwa 1,5cm Durchmesser im Schnitt. Weich, innen Kerne, die man mitessen konnte oder ausspucken, leichter trennbar als bei anderen Weissdornen.
  • Das Beste war der Geschmack, das Aroma: Im Gegensatz zu den bekannten Weissdornen war dieser kräftig, mit deutlichen Aromakomponenten (in der Reihenfolge) nach Hagebutte, Orange, Apfel, süss mit angenehmer Säure und keinen unrunden Gerbstoffnoten. Farbe des Fruchtfleischs: Gelborange, oft kräftig gefärbt.

Aber was war es? Von weitem wirkte die Pflanze wie ein Zierapfel. Weissdornarten der Gattung Crataegus gibt es wie Sand am Meer, dazu noch Hybriden, Kreuzungen, ich war mir nicht mal sicher ob es überhaupt ein Baum dieser Familie ist. Schliesslich der Treffer: Es handelte sich um "Scharlachdorn" (Crataegus pedicellata oder Crataegus coccinea oder Crataegus intricata), eine Weissdornart aus Nordostamerika.

Scharlachdorn - der Baum

Habitus des Baums im Winter

Die Art wächst manchmal etwas sparrig und wird nur ein paar Meter hoch. Er ist schnittverträglich, man kann ihn auch als Hecke mit 1-2m Höhe ziehen. Optisch wirkt er wegen der Dornen gefährlich, ist aber nicht so eng und undurchdringlich wie dieser Eindruck nahelegt. Wie die meisten amerikanischen Laubholzarten bekommt er eine schöne Herbst-Blattfärbung. Er blüht sehr reichlich und schön mit typischen Rosacea-Blüten (für Bienen sehr attraktiv, Nektar und Pollen) ab Mitte April, die Früchte sind ab Ende August, September reif.

Fruchtsorten und Auslesen auf Fruchtqualität scheint es nicht zu geben, gefunden ich ich keine. Leider, denn er wäre es wert. Als Wildobst ist er nicht bekannter wie andere Weissdornarten. Optisch ähnliche Früchte haben auch der Arnold-Weißdorn (Crataegus arnoldian), der Punktierte Weissdorn (Crataegus punctata) und der Pennsylvanische Weissdorn (Crataegus pennsylvanica. Von diesen ebenfalls amerikanischen Arten gibt es auch Auslesen, Zbigniew, Ljudmyl, Shamil, benannt in der Ukraine.

Blüten Scharlachdorn, eben aufgegangen am 15. April


Eigener Anbau

Eindrucksvolle Dornen

Lange lebten sie nicht mehr, die Scharlachdorne. Bis auf eine letzte, traurig verkümmerte Pflanze hat die Stadt sie wie üblich alle einfach abgesägt oder die Blühheckenreste mit ihnen abgebaggert, teils zugebaut oder zubetoniert - die übliche Ignoranz, Ablehnung, Inkompetenz, Bebauungsdruck, an dessen Ende immer dauerhaft tote Flächen stehen.

Für mich war Scharlachdorn so interessant, dass ich die Art in die Hecke am Rand der Obstwiese gepflanzt habe. Dort zeigte sich zunächst recht langsames Wachstum, das sich dann plötzlich beschleunigte. Ohne die "Pflege" der Gemeinde wuchs er schön, mit einem leicht geschwungenen Haupttrieb, durchaus ein ansehnliches kleines Bäumchen. Hitze, Winterfrost und Trockenheit überstand er von Anfang an. Er fing bald an zu fruchten, wobei die Früchte zunächst etwas kleiner bleiben, bei älteren Pflanzen werden sie grösser. Da zwar baldiger Fruchtbehang, aber kein anderer Scharlachdorn in der Nähe war, ist er offensichtlich selbstfruchtbar oder heimischer Weissdorn befruchtet ihn, letzteres unwahrscheinlich aber möglich. Und Vorsicht, trotz der Dornen werden weiche Jungtriebe vom Wild gefressen, Jungpflanzen müssen also geschützt werden. Die Früchte sind wie alle kleinen roten Früchte für Vögel attraktiv. Krankheiten gleich welcher Art waren nicht sichtbar. Weissdorne sind meistens gesunde, unempfindliche Pflanzen, aber feuerbrandanfällig, was ich am Scharlachdorn aber nicht beobachtet habe. Kalkboden ist von Vorteil.

Knospe am 21.12. mit schönem, lackartigem Schutzharz überzogen
Reife Früchte, schwach doldenartig

Die Früchte sind wie gesagt überraschend lecker, am Besten frisch gegessen und die Kerne bei Bedarf ausgespuckt. Die Reife findet folgernd statt, vollreife Früchte fallen von selbst vom Baum  und können dann noch gut verwertet werden. Man kann auch schütteln oder direkt pflücken. Die Verarbeitung ist einfach, da die Früchte weich sind. Für das Fruchtmus dreht man sie zerquetscht durch eine Passiermühle und für Saft (zur Geleebereitung) lässt man die Maische mit etwas Pektinase stehen, wie in früheren Beiträgen https://gartenzone.blogspot.com/2021/12/der-saftladen.html beschrieben. Optisch sehen ältere Bäume Dank der leuchtenden Früchte reich behangen aus, aber die "Erntetonnage" ist nicht so riesig. Besser also gleich zwei Bäume setzen, wenn man es auf die Verwertung der Früchte abgesehen hat.

Seine begrenzte Grösse und anderen Vorteile machen ihn auch für Haus- und Vorgarten geeignet. Scharlachdorn - einer der wertvollsten Weissdorne.

Austrieb, aufbrechende Knospen am 19.2.

Jungbaum nach ein paar Jahren im Winter

Blätter und unreife Früchte Scharlachdorn 30.5.

Freitag, 18. Februar 2022

Die lieben Nachbarn

Herausgepflügter Grenzstein
Im engen und sehr stark vernutzten Deutschland ist es für Nutzgärtner heute fast unmöglich, taugliche Hausgärten oder wenigstens nicht zu weit entfernte Aussengärten zu bekommen. Wer nichts Brauchbares erbt, kein grosses Glück hat und nicht auf Goldsäcken sitzt, hat Pech gehabt und kann einen Garten nur in Form von "Farmville"-Spielen auf dem Smartphone beackern oder mit Balkontomaten spielen. Fette Garagen und Stellplätze, überall hingequetschte aufgeblähte und dröge Bürgerpaläste sind viel leichter zu finden wie bepflanzbare Fläche.

Und auch mit einem vorhandenen Garten gibt es unvermeidliche Begleiterscheinungen in Form von Nachbarn, zwischen die man zwangsläufig eingezwängt ist, ihren Koniferen oder anderen Schattenwurfkonstruktionen, den rauchenden Dauergrills, die mückenbrütenden künstlichen Gartenteichsümpfe, im Hitzestau zugepflasterten Bodens und allerlei Hüttenbauwerken. Wir haben immerhin noch das Glück, dass unsere Nachbarn einige Begleiterscheinungen unseres Nutzgartens und Nutztiere akzeptieren, was sonst oft kritisch gesehen wird - die Hühner etwa oder ein Bienenvolk auf dem Grundstück. Das ist alles nicht selbstverständlich und auch wenn es rechtlich erlaubt ist: Der Unfrieden nagt trotzdem, wenn es dann doch wühlt, egal ob berechtigt oder nicht.

In unserem Aussengarten im benachbarten Dorf Möckmühl-Korb geht es jedoch anders zur Sache. Da werden wir permanent genau beglotzt, weil wir nicht daneben wohnen, nicht zum Dorf gehören und wurden auch schon rücksichtslos offen angegriffen. Am Rande des Dorfs gibt es Nachbarn, die neben unserem alten Gartengrundstück richtig Ärger machten. Auch sonst läuft da einiges komisch, hätte ich das gewusst hätte ich auf das Gartengrundstück dort verzichtet - Bekannte warnten mich schon, Korb sei das "Dorf der Bekloppten", was ich als ironische Übertreibung wertete. Und dabei kannte ich sogar schon einige Leute dort, auf die das gut passt. Aufgefallen sind mir dort immer nur überdurchschnittlich viele verkniffenen Gesichter und dass unglaublich genau beobachtet wird, wer was macht, mehr noch wie die dorftypische gegenseitige Kontrolle, aber das wertet man auch erst als Subjektivität, Zufall.

Es sollte schlimmer kommen als nur komische Eindrücke. Wir haben dort wie im Hausgarten auch ein Pferdemistbeet, das mit Vlies abgedeckt wird, dort kommen Kürbisse drauf, ganz klassisch. Der riecht weder frisch noch abgelagert. Selbst wenn es kurzzeitig so wäre (was es nicht war), in einem Dorf mit verbreiteter Vieh- und Tierhaltung aller Art wäre das völlig normal. Aber das in der Nähe permanent herumsitzende und glotzende (was mir völlig egal ist) Rentnernachbarpaar brachte dazu einen überraschenden, heftigen, lauten, giftigen Frontalangriff aus heiterem Himmel, die Pferdeäpfel würden stinken, keine Pferdeäpfel im Garten gefälligst, sie werden sich beschweren bei der Gemeinde, unmöglich. Und so weiter. Hä?

Von da an kam noch viel mehr, über das zu beklagen sich hier nicht lohnt zu berichten. Ignorieren? Sicher. Auch hier: Der Unfrieden nagt trotzdem. Und die gestörten Quengler neigen dazu, ihren eigenen Unfrieden mit erfundenen Geschichten weiter auszubauen, Andere einzubeziehen, so dass sich ungute Stimmung ausbreitet. So passierte es auch. Und wehe! man macht selber tatsächlich einmal irgendeinen einen Fehler, antwortet falsch. Unter strenger Beobachtung wird das zum Super-GAU. Rückkehr aus dem Kriegszustand bis zum Tod ausgeschlossen. Komisch war auch, wie die Leute sich selber benommen haben. Mir sollte das Mistbeet verboten werden, direkt vor meiner Nase pumpte ein Korber Landwirt den Bach trotz ausdrücklichem Wasserentnahmeverbot mit der Motorpumpe leer. Umwelt und Natur sind im ganzen Dorf nur lästiges Zerstörungsfeld.

Doch nicht nur unterbeschäftigte und nervtötende Nachbarbewohner oder aufgeblasene Holzköpfe können einem das Leben schwer machen. Draussen in der Landschaft auf meinen Obstwiesen haben auch die landwirtschaftlichen "Profis" schon für endlos Erlebnisse gesorgt:

  • Einer, Landwirt, hatte einen grossen Mäher, mit dem er die Nachbarwiese meiner Obstwiese mähte. Um sich fünf Meter Umweg zu sparen, fuhr er statt über den Weg einfach quer über mein Grundstück durch meine Baumreihen hindurch. Mit dem bereits laufenden Mäher säbelte er damit meinen schönsten Kirschbaum bodennah samt Verbisschutz ab. Reaktion von ihm: Abhauen und Schweigen.
  • Eine Zwetschgenhecke ausschliesslich auf Fläche meiner anderen Obstwiese wachsend wurde mir vom Weg her mit einem Forstschredder abgefräst. Reaktion vom bekannten Verursacher: Schweigen.
  • Ein Landwirt pflegte sein angrenzendes Zuckerrübenfeld wirklich vorbildlich und hackte besonders gross gewordenes Unkraut aus. Das warf er einfach auf meine Obstwiese, über eine Trockenmauer hinab auf meine Tafeltraubenrebenreihe. Reaktion von ihm: Schweigen.
  • Einer mähte mit schweren Gerät einen angrenzenden Grasweg. Offenbar besoffen oder am Handy spielend, denn er machte auf schnurgerader Strecke eine Kurve und fräste in meinen Heckenhang und über eine von mir angelegte Treppe aus Feldsteinen hinein, die damit zerstört wurde. Reaktion von ihm: Abhauen, schweigen.
  • In der Nähe sein reicht: Irgendwelche Erbinnen lassen ihre geerbte Obstwiese vergammeln, Meine liegt daneben. Verpachten oder nutzen lassen oder gar verkaufen wollen die Damen natürlich nicht, lieber alles trotz Mäh- und Pflegepflicht verrotten lassen. Irgendwann fällt dort ein seit Jahren toter Baum um und beschädigt den Zaun eines benachbarten Pferdehofs. Als ich bei mir Baumschnitt mache, sieht das die Pferdehofdame, kommt vorbei und macht mich ohne Punkt und Komma zur Sau, was das solle, der Baum der ihre Koppel beschädigt. Ich komme gar nicht zu Wort. Als ich es komme, sage ich ihr gesittet, dass ich mit dem Nachbargrundstück nichts zu tun habe, sie wende sich bitte an die Besitzer. Reaktion von ihr: Schweigen mit offenem Mund. Sie dreht sich um und geht einfach. Sind keine Dritten in der Nähe, werden viele Leute enthemmt und drehen leicht durch.
  • Letzte Woche: Unser entfernt liegender Acker, Erbstück, verpachtet gegen Centbeträge, weit unter landesüblicher Pacht. Ein Ende der Fläche ist nicht als Acker genutzt, sondern als eine 200qm kleine Obstwiese. Vier Bäume, teilweise alt und nicht mehr gesund. Ich pflanze neue Apfelbäume, schütze sie mit Pfahl und Draht. Landwirt mäht sie einfach um. "Ist halt passiert". Letzter und ältester Baum wird morsch, ich will ihn absägen. Baum stürzt Ende Februar im Sturm um. Landwirt fährt mit Traktor sofort in derselben Woche hin, klaut den Stamm, das Geäst lässt er liegen. Ich bekomme nicht mal mehr das Brennholz. Reaktion von ihm: Schweigen. Diese Landwirte sind im Boom-Landkreis meistens mehrfache Millionäre, Geld vom Baulandverkauf macht sie dazu, während sie sich gegen die eigenen Verpächter wie die allerletzten kriminellen Bescheisser benehmen und in ihrer Arroganz auch noch glauben, das würde keiner merken. Bezahlt werden sie auch mit Agrarsubventionen, auch für Pachtland, wer mal nachsehen will für was seine Landwirtsnachbarn Geld bekommen kann dies in einer Datenbank tun, einfach die Gemeinde eingeben in der die Leute sind: https://agrar-fischerei-zahlungen.de/Suche . Übrigens hat man sich hierzulande strikt geweigert, diese Zahlungen gemäss EU-Vorschrift offen zu legen, das musste erst gerichtlich erzwungen werden. Proteste vom klimatisierten 300000 - Euro Traktor herunter wirken auch etwas seltsam.

Und Nein, Landwirte sind selbstverständlich nicht alle so, es gibt wie in fast jedem Beruf (ausser Juristen, würden Viele sagen) auch viele ausgesprochen ehrbare, hochintelligente, sachkundige, offene Menschen, mit denen von vornherein selten Probleme entstehen. Ich kenne Einige, wenn auch eher seltener vom Typ "Landwirt aus Passion und Willen" und mehr "Landwirt weil Land geerbt". Von denen ist aber hier nicht die Rede. Leider gibts auch mehr als genug der "anderen Sorte" oder reine Opportunisten: Lächeln, wo es was bringt; zuschlagen wo es was bringt. Und man kann sich niemand als Nachbarn aussuchen.

Was tun?

Was ist zu tun, wie geht man mit solchen Dingen um? Aus langer Obstwiesen- und Nutzgartenerfahrung kann ich dazu sagen:

  • Es gibt keinen Ort im engen Deutschland, der sicher vor übergriffigen oder irren Nachbarn ist. Ein Garten ist immobil, man kann nicht mit ihm umziehen wenn einem die Nachbarn nicht passen und wenn man selber umzieht, ist das Risiko woanders genauso hoch. Fazit: Keine Flucht, keine Suche nach besseren Orten machen, sondern das Risiko irrer und toxischer Nachbarn muss zunächst einmal als unvermeidliches Faktum gesehen werden. Freuen, wenn es nicht so kommt, sich klar machen dass es so kommen kann.
  • Mit Landwirten zu sprechen, die Mist bauen ist meistens ergebnislos oder, schlimmer noch, ruft Trotz und noch mehr Ärger hervor. Man wird als Hobbyist mit Obst-Hanggrundstück ohnehin nicht anerkannt, sondern lächerlich gemacht und grinsend mit völlig erlogenen Märchenerzählungen für dumm verkauft. Rechtliche Schritte bei Übergriffen kann man sich sparen. Man müsste Gerät und Person in flagranti beweisbar erwischen. Typischerweise kommt Herr Landwirt zuerst mit "das hat ein Anderer getan, vielleicht jemand der es mir anhängen will". Das ist auch ihre Standardausrede, wenn sie Grenzsteine notorisch herausackern. In eine enge Gerätehalle fahren sie millimetergenau, auf dem Acker liegen alle Grenzsteine herausgepflügt am Rand und man schneidet mit dem Tiefpflug besonders in die Nachbarobstwiese, so dass den Bäumen halbseitig die Wurzeln abgeschnitten werden. Auch das habe ich mehrmals erlebt, zum Glück nicht bei meinen eigenen Bäumen.
  • Selber mit offenen Karten spielen. Wer sich bei mir beschwert, erhält von mir meine Visitenkarte. Wer ich bin, kriegt man sowieso raus, die Visitenkarte zu überreichen strahlt Selbstbewusstsein aus und zeigt, dass man dazu steht, was man macht. Es gab schon Leute, die sich mit dieser Visitenkarte in der Hand im Überschwang des Ärgers tatsächlich bei Dritten beschwert haben, womit sie sich gründlich selbst lächerlich gemacht haben, was dann auch für Ruhe sorgte.
  • Kleine Geschenke, Versöhnlicheit, mehr als Standardhöflichkeit zeigen sind nett, bringen aber absolut nichts oder verführen zu weiteren Übergriffen nach dem Motto "Baum niederwalzen und lächelnd Geschenke dafür bekommen". Die meisten Ärgerproduzenten tun das, weil sie es können, weil man existiert, weil sie gekränkt sind, weil sie einen sowieso für dumm verkaufen und lassen davon nicht ab, wenn man auf gutes Wetter und normale Nachbarschaft macht.
  • Ungerührtes, gradliniges, korrektes Verhalten ohne oder mit ungekünsteltem Lächeln im Gesicht ist meist die beste Strategie. Bei landwirtschaftlichen Nachbarn sollte man seinen passiven Schutz stärken. Ein Jungbaum am Rand, der nicht von einem dünnen Holzpfahl gestützt wird sondern von einem alten Stahl-Wasserrohr wird eher nicht vom Mäher angesägt. Sichtbarmachung und Schutz des Grundstücks anstreben, zum Beispiel indem man Holzstapel direkt an die Grenze setzt und sich damit trotz Zaunverbot im Aussenbereich schützt. Das zeigt auch, dass hier kein vergessenes Wildgrundstück zur freien Verwendung liegt.
    Dummes Geschwätz von Nachbarn sollte man sich nicht anhören, damit beschmutzt man sich nur, lässt sich Zeit und Nerven stehlen. Solche verbales Müllabladungen sollte man kurz und heftig unterbrechen, anstatt Zuhörer oder gar Therapeut zu spielen.

Zu jedem Garten und jedem Grundstück gehören viele Nachbarn und bei einem gewissen Prozentsatz wünscht man sich, sie oder man selbst wären lieber woanders. Das müssen wir akzeptieren in einer Weltgegend, die erstickend dicht besiedelt, bebaut, stark genutzt ist und restlos parzelliert bis in kleinste Einheiten. Einfache Lösungen und Auswege gibt es nicht.

Montag, 7. Februar 2022

Schon wieder Quitten

Quitte, Kinderzeichnung

Winter ists, da spricht der Nutzgärtner gerne über Rezepte, übers haltbar machen und aufbewahren, über Bäume pflanzen, über verarbeiten. 

Dann mal los: Zum unserem Verarbeitungsobst Nr. 1 sind über viele Jahre hinweg die Quitten aufgestiegen. Erstens, weil sie in den vergangenen Jahren mit extremen Wetterunbilden am zuverlässigsten mit hoher Qualität getragen haben und wichtigstens, weil sie als Obst für die Verarbeitung einfach unschlagbar sind. Auch diesen Winter gibts kaum einen Tag ohne Quittenprodukte aus der eigenen Ernte. Einiges davon mag mittlerweile altbekannt klingen, es lohnt sich aber die Erfahrungen damit trotzdem noch einmal anzusehen, denn die Praxis und einige Details stehen in keiner Rezeptsammlung.

Quittensaft

Quittensaftlager mit Glasflaschen
 
Zur Quittensaftherstellung existiert schon ein ausführlicher Beitrag. Die spätere Lagerung und Verwendung des Safts aus der Obstpresse bringt aber einige Spätfolgen und Eigenheiten mit sich. Eine davon fällt nicht in allen Jahren auf, sieht aber drastisch aus: Im Quittensaft bildet sich nach etwas Lagerung eine oder mehrere klare dünne Häute. Mit der Zeit sinken sie zu Boden. Von aussen sieht es aus wie Schimmel, der Beginn einer Essigmutterbildung oder Hefen. Probiert man sie, stellt man aber schnell fest, dass der Saft einwandfrei und die Haut geschmacksneutral ist. Sie lässt sich leicht zerreissen. Also keine Panik. Die Haut bildet sich in den Jahren stärker und häufiger, in denen die Quitten etwas weniger reif geworden sind. Und sie bildet sich auch dann nicht in allen Flaschen. Viele schreiben über Quittensaft, aber ganz offensichtlich macht in Wirklichkeit kaum jemand den Saft wirklich selbst sondern schreibt nur ab, sonst würde auch über diese Häute berichtet. Vermutlich spielen Pektine oder andere Oligosaccharide eine Rolle bei ihrer Bildung. Kommerzielle Säfte haben sie nicht, aber dort wird auch viel Technik angewendet die wir nicht haben, etwa Feinfiltration, Gerbstoffreduktion, Pektinasezugabe, Lagerung im Kühltank vor Abüllung.
Hautbildung auf abgefülltem gelagerten Quittensaft
Abgeschöpft

Diese Haut ist auch der Grund, wieso man seinen Quittensaft nicht in den Bag-in-Box Packungen abfüllen sollte, die Mostereien fast überall anbieten. Die Haut verstopft oft den Zapfhahn, bevor die Packung leer ist. Dieses Behältnis ist auch noch aus einem anderem Grund für Quitten ungeeignet. Denn Quittenaroma ist äusserst flüchtig, während BiB nur Folien sind, die nicht so gut gasdicht sind wie Glasverpackungen. Das führt zu noch schnellerem Aromaabbau wie ihn Quitten ohnehin schon immer zu früh erleiden. Der Saft schmeckt zwar noch gut, ähnelt dann aber immer mehr einem leichten Apfelsaft mit etwas Gerbstoffen, das quittenspezifische Aromenspektrum wird schnell schwächer. In Glas funktioniert die Lagerung besser und die Geschmackskurve geht langsamer nach unten. 

Deswegen bringt es auch nichts, mit abgefülltem Quittensaft nach Lagerung noch einmal Quittengelee zu machen. Das spezifische Aroma ist nicht mehr da. Nur einmal den ganz frischen Saft erhitzt, dann mit Zucker konserviert, im Glas abgefüllt - das bringt mehr Qualität fürs Gelee.

Quittenmost

Quittenmost - serviert

Wird sehr unterschätzt. Viele Nachteile von Apfelgärmost hat Quittengärmost nicht. Wir haben jahrelang auch ein Fässchen Apfelmost gemacht, aber richtig beliebt war er nicht. Quittenmost jedoch:

Frisch gezapft
  • enthält sehr angenehme Gerbstoffe. Nicht zu viel, nicht mehr wie ein guter Rotwein. Aber das macht den Most herrlich geniessbar, gibt eine Komponente dazu die sonst nur Wein hat. Er wird dadurch auch besser verträglich und passt zu viel mehr Gerichten. Die Gerbstoffe regen an, erhöhen den Trinkspass. Man trinkt auch automatisch in kleineren Schlucken - wie Wein.
  • ist bei stärkerem Aroma alkoholärmer. Mostapfelsorten gibt es immer weniger, ausserdem sind alle Sorten die letzten Jahre aufgrund des veränderten Klimas zuckerreicher geworden, meiner Ansicht nach für Most zu zuckerreich. Der Apfelmost hatte dann durchgegoren 8-11% Alkohol. Davon kann man kaum ein Glas trinken oder man muss ihn verdünnen. Das macht ihn geschmacklich aber nicht besser, sondern verdünnt auch Aroma und Säuren. Quitte liegt trotz viel Aroma dagegen meist deutlich darunter, etwa auf dem Alkoholniveau von Exportbier. Davon kann man auch ein Bierglas den Abend über süffeln, ohne trunken umzufallen.
  • hat eine leichte fruchtige Süsse, die nicht von Restzucker kommt, sondern im Quittenaroma versteckt ist.
  • ist früher trinkbar. Er wirkt nach der Gärung früher rund und sauber, Apfelmost sollte man hingegen erst nach Weihnachten anzapfen. Der entwickelt offenbar mehr Gärnebenprodukte.
Quittenmost schwefeln

Die Herstellung entspricht der von Apfelmost. Empfehlenswert ist aber, gut auf die Gärtemperatur zu achten. Im warmen Zimmer vergoren verschwindet das Quittenaroma sehr schnell. Sinnvoll ist, im kühleren Keller zu vergären und dafür eine vorher vermehrte Kaltgärhefe zuzusetzen. Sobald der Zucker vergoren ist, den Most früh von der Hefe abziehen und mit aufgelöstem 1g Kaliumpyrosulfit pro 10 Liter leicht schwefeln, diesen Oxydationsschutz benötigt Quittenmost dringender wie Apfelmost. Er klärt sich aufgrund der Gerbstoffe oft nicht so deutlich wie Apfelmost und bleibt trübe, was aber nicht geschmacklich stört, höchstens optisch.

Quittenspeck

Quittenspeck Stücke

Auch Quittenbrot genannt, eine herrliche Süssigkeit, die aus Quittenmus besteht, das mit Zucker vermischt und dann getrocknet wird, haltbar bis zur nächsten Ernte. Aber Vorsicht vor zu viel Geiz und Faulheit. Die einfachste Methode zur Herstellung: Quitten in Stücke schneiden, weich kochen, warm durch die Passiermühle drehen. Zucker dazu - je nach Geschmack und natürlichem Zuckergehalt der Quitten zwischen 10 und 40% des Musgewichts, auf ein Blech mit Backpapier streichen, trocknen bei 50°C im Ofen oder besser in einem Lebensmitteltrockner, dauert 1-2 Tage. In Stücke schneiden, ist monatelang haltbar.

Das bringt aber Probleme mit sich, die hohe Qualität verhindern: 

  1. Es wird in Wasser gekocht, das dann entfernt wird, ansonsten würde das Mus zu flüssig. Damit kocht man Aroma und wasserlösliche Inhaltsstoffe aus den Quitten heraus und entfernt alles anschliessend. Einige Leute nehmen das Kochwasser für Quittengelee. Schön. Aber: Höhere Menge, weniger Aroma.
  2. Quitten haben vor allem ums Kernhaus herum oft stärkere Steinzellenbildung. Die wandern mit ins Mus und machen den Quittenspeck griessig-sandig
  3. Ohne reduktiv wirkende Inhaltsstoffe ("Antioxidantien") folgt im Verlauf der Lagerung eine schnellere Bräunung und Aromaverlust der empfindlichen Quittenaromatik. Kommerzielle Produkte enthalten deshalb zusätzlich Säure und Natriumbenzoat.

Damit ist klar: Für Quittenspeck der edlen Sorte sollte man das Kernhaus mitsamt einem Anteil Fruchtfleisch drumherum ausschneiden und man sollte nicht in Wasser, sondern in Dampf kochen. Schälen der Früchte wäre dagegen negativ, direkt unter der Schale sind am meisten wertgebende Inhaltsstoffe. Besser nur die Schale waschen. Ganz steinzellenfrei wird der Quittenspeck nie, aber weniger ist besser. Und auch die Lagerfähigkeit sollte man nicht ignorieren. Zitronensaft ist mehr Geschmackssache (1 Zitrone pro Kilo Quitten), aber ein Zusatz von Ascorbinsäure (Vitamin C) verbessert die Stabilität des Produkts. Man kann auch die unbedenkliche, in Ebereschenbeeren natürlich vorkommende Sorbinsäure nehmen, wie sie auch in Gelierzucker fast immer enthalten ist. Einige Leute verwenden sowieso Gelierzucker für Quittenspeck - und haben damit unwissentlich auch Sorbinsäure mit an Bord.

Quittengelee

Etikett Quittengelee - mit Spezialzutaten

Hat einen Aufschwung genommen. Ist unsere Hauptgeleefruchtsorte. Ein Top-Brotbelag und auch für Joghurt und Dessert beliebt. Rezepte dafür sind einfach und es gibt sie wie Sand am Meer. Frischen rohen Quitten-Press-Saft mit Geliermittel und 25-35% Zucker kochen, abfüllen in Twist-Off-Gläser. Aufgefallen ist mir, dass wirklich ausgereifte Quitten oft gar nicht mal so viel Säure haben, das Gelee deswegen auch manchmal nicht gut geliert. Säurezugabe ist dann sinnvoll, typischerweise nimmt man dafür Zitronensaft - aber auch Agrest ergibt ein sehr schönes Gelee.

Zierquittensaft - gelb wie Orangensaft

Eingebürgert hat sich bei uns jedoch die Zugabe von Zierquittensaft. Choenomeles ist zwar nicht direkt verwandt mit Quitten, aber die Aromen harmonieren sehr gut, ihr Saft ist hocharomatisch und sauer, das ersetzt andere Säurezugaben. Es peppt bei 10-20% Zierquittensaftzusatz das Quittengelee insgesamt auf und bringt eine blumige, eigene Note hinein. Die in Rezepten gerne vorgeschlagenen Zugaben wie Zimt oder Nelken wiederholen dagegen nur sowieso schon oft angewendete altbekannte Gewürze.

 

Quittengelee im Marmeladenlager


Flasche Quittensaft mit viel Haut

Quittensaft mit abgesunkener Haut und Bodensatz

Sonntag, 16. Januar 2022

Das Polenta-Abenteuer Teil 2: Verarbeitung und Zubereiten

Nachdem in Teil 1 des Polentaabenteuers Sorten und Anbau zur Sprache kamen, folgt nun in Teil 2 die Verarbeitung der Ernte und einige Zubereitungserfahrungen.

Trocknen

Hüllblätter entfernt

Die geernteten Kolben haben in unseren Breiten noch zu hohen Wassergehalt und müssen sofort von den Hüllblättern (den Lieschen) befreit, auf Schimmel geprüft und getrocknet werden, sonst schimmeln sie böse weiter. Ich habe das an einem grossen Südfenster auf einer Holzunterlage gemacht und trotz tagelang voller Sonne schimmelte es an manchen Unterseiten weiter. Wenn man das probiert, sollte man die Kolben nur einlagig legen und immer wieder umdrehen. Oder aufhängen. Ansonsten wäre auch ein Trockner gut, da geht es schneller und vor allem die Anfangszeit mit hohem Schimmelrisiko wird fix erledigt.

Was schimmelt, fliegt raus, bestenfalls wird fragliches zu Hühnerfutter. Teilweiser Befall kann meist entfernt werden, um den Rest des Kolbens zu retten. Der Schimmel ist gut zu sehen.

Trocknung in der Sonne. besser nicht mehrlagig wie hier!
An der Pflanze verschimmelter Kolben. Auch kein Hühnerfutter mehr.

Kerne von Kolben trennen

Abrebeln der Kolbem

Die Kerne lassen sich von Hand von den Kolben abrebeln. Dazu wird der Kolben leicht gedreht. Ausprobieren, dann hat man den Dreh schnell raus. Es gibt auch einfache gusseiserne Handgeräte, die aussehen wie in süamerikanischen Favelas gefertigt. Man findet sie unter den Suchbegriffen Maisentkörner, Maisrebler, Maisentkorngerät, Maisentkerner. Genutzt wird so etwas auch gerne für Jäger und Geflügelhalter, um billigen Futtermais zum verfüttern vorzubereiten.

Die leeren Kolben sind als Brennstoff brauchbar oder kleingehäckselt und sterilisiert auch als Substrat für Pilzbruten.  

Teilweise entkörnter Polentamaiskolben

 

Mahlen

Das teilverarbeitete Ernteergebnis

Die Maiskörner liegen jetzt im Eimer. Es sieht toll aus, solche vollen Eimer zu sehen, der Lohn der Mühe. In diesem Zustand sind die Körner lange haltbar, aber um Vorratsschädlinge zu verhindern muss man sie in dichtschliessenden Gefässen aufbewahren. Nun konnte ich auch den Ertrag messen. Umgerechnet auf den Quadratmeter Anbau kam ich auf respektable 700g Maiskörner. Für einen nicht ertragsoptimierten Hobbyanbau bei grenzwertigem Sommerwetter nicht schlecht. Jeder Quadratmeter brachte also eine Polentabeilage für 8 Personen. Insgesamt waren es 15 Kilo. Das ist ziemlich genau eine tägliche Beilagen-Polentaportion für ein halbes Jahr - 50000 Kalorien. Immerhin!

Mahlen erwies sich zunächst als schwierig. Die Getreidemühle mit Steinmahlwerk macht es nicht recht mit und das Ergebnis war stotternde Vermahlung und eine recht weite Streuung aus Mehl, Griess und groben Teilen. Steinmahlwerke sind an sich auch bei Polentamais nicht schlecht, aber da wären wohl grössere Dimensionen nötig gewesen. Also besorgte ich mir eine alte gebrauchte Mühle mit Keramikmahlwerk, lustigerweise genau das Modell der allerersten Mühle, die ich mal besessen habe. Keramikmahlwerke schneiden mehr statt wollig zu reiben und zu vermahlen, ähnlich machen es Stahlmahlwerke. Das Mahlergebnis war auf Anhieb viel besser, mehr Griessanteil, weniger wollig. Vielleicht hätte auch eine Handmühle gereicht.

Mahlversuch 1 mit Steinmahlwerkmühle.
Nur gelbe Körner verwendet.

Die kommerziellen Profis entfernen den Keimling mit eigenen Maisentkeimungsmaschinen, mahlen, sieben das Ergebnis mittels grosser Siebe in absteigender Maschengrösse oder Windsichtung aus. Grobe Teile und der Keimling sind hochwertige Futtermittel, das feine Mehl ist als Maisstärke für andere Verwendungen geschätzt. Der für Polenta verwendete Griessanteil liegt nur bei rund 50%. Ich habe nur das feinen Mehl mit einem feinmaschigen Küchensieb abgesiebt, damit die Polenta keinen zu gelatinösen Stärkebrei ergibt, die gröberen Teile blieben in den ersten Versuchen drin. Die Mengen: Aus 500g frisch gemahlener Polenta habe ich 100g feines Mehl abgesiebt, den Rest komplett verwendet. Vorsicht, wir haben jetzt im Gegensatz zur Supermarktware trotzdem das ganze Korn im Griess, also ein Vollkornprodukt! Darin enthalten ist auch der Keimling des Maiskorns mit seinem hohen Fettgehalt, insgesamt enthält Körnermais fast 5% Fett. Damit ist unser Mahlergebnis nicht lange haltbar, denn das Fett oxydiert an der Luft, wird ranzig, man sollte also nach dem mahlen gleich verkochen.

Mühle mit Keramikmahlwerk

Mahlergebnis Keramikmahlwerk, feine Teilchen abgesiebt

Abgesiebter feiner Maisgriess und -Mehl

Polenta zubereiten

In Deutschland kann man Polentagriess mittlerweile endlich auch in den Discountern kaufen, aber das Produkt wird immer in vorgegartem Zustand und dann erneut getrocknet angeboten, es ist immer eine Schnellpolenta. Optisch macht das keinen Unterschied, aber die Zubereitung wird wesentlich einfacher und schneller. Wasser / Milch / Tomatensaft kochen, Maisgriess einrühren, kurz aufkochen, ziehen lassen, fertig.

Griess, ungesiebt, vor dem Kochen

Unser eigener Polentagriess lässt sich natürlich mit Haushaltsmitteln nicht vorgaren. Ihn muss man nach klassischer Methode zubereiten. Die ist leider zeitaufwendig. Die Polenta wird mindestens eine Stunde in der mindestens dreifachen Menge Flüssigkeit gegart, dazu muss sie auch noch ständig umgerührt werden. Man kann auch eine Show draus machen, im offenen Kupferkessel auf Feuer. Tatsächlich muss man aber nur rühren, weil der dicke Brei sonst anbrennt. Mit einer guten Temperaturregelung ist diese Mühe überflüssig, auch wenn ein bisschen Röstaroma nicht schlecht ist. Es dauert zwar genauso lange, aber es brennt nichts an und muss nicht gerührt werden. Wer einen dicken Topf hat, einen Herd mit enger Temperaturregelung und mit Milch gart, kann 60-90 Minuten bei geringer Hitzezufuhr im Topf garen und muss nur gelegentlich, aber nicht dauernd rühren. Ansonsten wäre die Ofenmethode zu versuchen, die ich auch mit gutem Ergebnis ausprobiert habe. Die geht so:

Polenta im Ofen zubereitet aus 400g Rohgriess

Pro Person rechnet man mit 80g Polentagriess. Auf 100g Polentagriess werden 300 bis 400ml Wasser genommen, wieviel genau hängt vom Griess ab. Salz zugeben (ein Esslöffel auf 500g Polentagriess), Wasser kochen, Hitze ausschalten, Griess sofort einrühren. Ein paar Minuten stehen lassen und dann eine Stunde oder weniger bei Ober- und Unterhitze und 90°C garen. Keine Umluft, sonst trocknet die Oberfläche aus. Je grober der Griess geraten ist, desto länger die Garzeit, es kann auch länger als eine Stunde gehen. Das Ergebnis ist durch die Schalenanteile und die unterschiedlich grossen Griess-Stücke strukturierter als von gekaufter Ware, aber sehr viel aromatischer. Es schmeckt frischer, mehr nach Mais. Die ungewohnten Schalenanteile stören aber Manchen, sie bleiben immer fest. Noch besser wäre es, nicht nur den Feingriess, sondern auch Grobteile abzutrennen, unter denen sich die meisten Schalenstückchen befinden. Verkocht werden dann nur die mittleren Korngrössen. Raum für Experimente gibt es noch genügend.

Servierte Polenta mit roten Schalenanteilen

Es gibt massenhaft gute Gerichte mit Polenta. Toc' in braide ist so eine hochklassige Variation. Aber fast jede Weltgegend hat ihre Spezialitäten. Grits in den USA, Katschamak in weiten Teilen des Balkans, Mămăliga im ganzen Osten, Mealie-Pap in Namibia, Ugali in anderen Gegenden Afrikas, Puliszka oder Palukes in Rumänien, Rheintaler Ribel in Schweiz und Vorarlberg, die edle venezianische weisse Polenta...

Das Abenteuer hat sich jedenfalls gelohnt. Es erbrachte gute Erträge, keine unlösbaren Schwierigkeiten, ein gutes Ergebnis, viel Spass dabei gehabt.

Reste, leere Kolben

Freitag, 7. Januar 2022

Das Polenta-Abenteuer Teil 1: Polentamaisanbau

Frisch geerntete Polentamaiskolben Sorte "Malcantone"

In den meisten Nutzgärten werden Leckereien angebaut. Gutes Gemüse, leckeres Obst, Kräuter. Dinge, die auch satt machen sind dagegen selten im Anbau. Der häufigste Sattmacher dürfte Kartoffeln sein, aber die Fläche hat für tatsächliche Sattmachmengen fast niemand und der Aufwand für Kartoffelanbau ist in unserer Region derart hoch geworden und der Anbau so schwierig (zu wenig Wasser, Hitzeschäden ohne Ende, zu viele schlimmer gewordene Krankheiten, geringe Erträge) dass das nur noch für ein paar sehr frühe Frühkartoffeln Spass macht.

Getreide baut man im Garten eher nicht an. Wie soll man es auch verarbeiten, dreschen? Hirse, Reis, Buchweizen? Auch nicht im Haus zu verarbeiten. Lohnt sich sowieso nicht. Aber es gibt eine wichtige Ausnahme: Mais. Zuckermais ist ein etabliertes edles Gemüse, Popkornmais, manchmal auch Zahnmais für Hühnerfutter, alles geht. Und auch der Mais, der als Nährmittel für den Menschen geeignet ist geht, der Polentamais. Die Körner lassen sich ohne aufwendiges Mähen und dreschen von Hand ernten, von den Kolben trennen, lagern, mahlen und kochen. Das macht jedoch fast niemand. Samen, Sorten gibt es in Deutschland auch kaum zu kaufen, ertragsstarke sowieso nicht und wenn, dann unbegründet sehr teuer. Ich hatte grosses Glück, bekam das Saatgut ertauscht. Von einem freundlichen schweizer Tauschpartner Samen einer guten Sorte bekommen, wo Polentamais in einigen Gegenden im Anbau ist, Polenta seit langer Zeit in diversen regionalen Spezialitäten auftaucht. Polentamais ist ohnehin fast weltweit im Anbau. Der beste Polentamais soll "La Plata" Mais aus Argentinien sein mit einer recht kräftigen gelborangen Farbe.

Was ist Polentamais, was gibt es für Sorten?

Unreifer Kolben "Malcantone", wirkt noch milchig

Botanisch heisst dieser Maistyp Zea mays convar. indurata (=gehärtet). Es ist naheliegenderweise ein Körnermais, im Gegensatz zu Silo- oder Grünmaisarten, die auch zur Biogasproduktion in Deutschland angebaut werden. Polentamais ist ein Speisemais, wird eher hart (aber nicht so hart wie Popkornmais) und hat einen mässigen Stärkeanteil, dafür noch eine leichte Süsse und Aroma. Diese Eigenschaften sorgen für einen guten Griessanteil beim mahlen. Probiert man den häufig angebauten Futtermais aus einem landwirtschaftlichen Maisfeld, wird man daraus nur ein stärker mehliges, schmieriges Produkt mit wenig Aroma mahlen können.
Polentamaissorten, die man mit etwas Aufwand auch in Deutschland bekommt sind zum Beispiel Mergoscia, Abenaki, Rheintaler Riebel (ist auch ein Gericht, nicht nur eine Sorte), der rote Tessinermais. Die Sorte, die ich hatte war "Malcantone", ursprünglich ebenfalls aus dem schweizer Kanton Tessin, es ist der Namen einer Ortschaft. Die Körner fallen optisch sofort auf, etwa 60% der Kolben sind kräftig dunkelrot, der Rest knallig gelb. Um es gleich vorwegzunehmen: Malcantone hat sich bei mir absolut bewährt, in Anbau, Erträgen, Verarbeitung, Küchentauglichkeit.

Welche Bedingungen benötigt Polentamais?

Unser Maisfeld, davor Kürbisse, rechts Topinambur

Die Bedürfnisse von Polentamaissorten unterscheiden sich nicht grundlegend von denen anderer Maisarten. Zu beachten ist der hohe Nährstoffbedarf. Ein Punkt ist allerdings kritisch: Polentamais muss ganz ausreifen, das dauert. Wenn man ihn direkt aussät, reift er selbst in unserem Klima nicht immer ganz aus oder ein feuchter Herbst bringt ihm zum vorzeitigen schimmeln. Das ist der Grund, dass er in Deutschland nie populär geworden ist, Ernte und Qualität sind in den meisten Regionen Deutschlands zu unsicher. Bekannt war er aber sehr wohl sofort in Deutschland, nachdem er im 16. Jahrhundert nach Europa gebracht wurde. Während die Eurasischen Getreidearten wie Weizen bereits im Juli erntereif sind und danach noch Steckrüben in die Stoppeln gesät wurden, kann Polentamais frühestens Ende September geerntet werden. 

Gut bestockte Pflanze, oben bereits Vogelfrass

Ansonsten benötigt Polentamais gut versorgten Boden, grössere Pflanzabstände wie Futter- oder Zuckermais, sein Wasserbedürfnis entspricht dem anderer Maisarten. Das bedeutet, Mais benötigt insgesamt weit weniger Wasser wie Weizen. Das täuscht aber in der Praxis gewaltig, weil Mais eine sehr viel längere Vegetationszeit hat und ein deutlich späteres Wachstumsmaximum. Während Weizen, Gerste & Co noch Bodenfeuchte von Winter und Frühling haben und im Hochsommer bereits reif sind, will Mais das Wasser später, lange Trockenphasen im Sommer, vor allem zur Blütezeit und bis zur Kornfüllung senken die Erträge gewaltig. Ausgerechnet diese langen Trockenzeiten im Sommer wurden von einer Ausnahme zu Regel. Das hat 2018 vielfach zu Totalausfall geführt, auch bei uns, auch 2019 ging es schief, ebenso 2020, der Frühsommer war viel zu lange knochentrocken. Rollt der Mais die Blätter, muss also Wasser gegeben werden, eine pflegefreie Kultur im Garten ist er nicht. Umgekehrt kann er aber hohe Wassergehalte im Boden sehr gut nutzen und wächst deshalb auch dort, wo es für Getreide zu feucht ist. Als C4-Pflanze kann er ausserdem bei hoher Lichteinstrahlung und Temperatur in kürzerer Zeit mehr Biomasse aufbauen als C3-Pflanzen (das sind z.B. Weizen, Kartoffeln, Soja, Reis, alle Bäume) und ist damit an Standorte mit viel Sonne und Wärme angepasst. Dort holt er dann auch richtig was raus bei den Erträgen, sogar im Nutzgarten.

Landwirtschaftliches Maisfeld Spätsommer 2020 in der Region - vertrocknet, verzwergt.
Keine Kolben angesetzt.

 

Der Anbau

Vorgezogene Jungpflanzen Polentamais

Aus Angst vor zu kurzer Vegetationszeit und den in den letzten Jahren frustrierend harten Spätfrösten, die mir frühe (Zucker-)maisaussaaten auch schon zerstört haben bin ich zweigleisig vorgegangen: Für die Hälfte der 20qm-Fläche habe ich in Pflanzschalen im Gewächshaus Mais vorgekeimt und die etwa 5cm hohen Pflänzchen Anfang Mai ausgepflanzt. Die andere Hälfte habe ich zum selben Zeitpunkt wie die Pflanzung daneben direkt ausgesät. Das Keimergebnis war immer erstklassig. Abstand zwischen den Pflanzen 30-40cm (darf auch mehr sein), Abstand der Reihen ca. 60cm, Aussaattiefe 4-5cm.

Bis Ende Juni war Unkrautbekämpfung nötig, danach schliessen sich je nach Pflanzabstand die Reihen dicht und der Mais wird sehr hoch. Malcantone erreicht deutlich über 2m. Der Bestand wurde gut blickdicht, man könnte Mais auch als Sichtschutz pflanzen. Ist etwas Höhe erreicht, stört noch aufkommendes Unkraut nicht mehr, es wächst wegen Lichtmangel nicht mehr gut. Der Anbausommer war nach drei sehr trockenen Hitzjahren etwas sonnenarm und gottlob immer wieder feucht, was dem Mais bis auf erhöhte Schimmelneigung aber sehr gut gefallen hat. Ich musste auch nicht wässern. Die hohen Pflanzen erwiesen sich als hinreichend windstabil, so dass Gewitterböen fast nichts umgerissen haben - bei Zuckermais passiert das regelmässig. Vielleicht war das aber auch nur Glück.

Vogelfrass von oben her

Es war spannend, die Pflanzen zu beobachten. Man hat nach der Blüte gut gesehen, dass viele lange Kolben gebildet wurden, man auf guten Ertrag hoffen konnte. Glücklicherweise waren in der Nähe keine anderen Maisfelder, so dass ich darauf hoffen kann, wieder unverkreuztes Saatgut nehmen zu können. Dann die bange Frage: Wann ernten? Mitte September noch nicht, aber ab Ende September hatte man den Eindruck, die meisten Kolben wären reif. Habe dann eine erste Ladung Anfang Oktober geerntet, einfach die Kolben von den Pflanzen abgerissen. Der Mais war hart, etwas glasig, wirkte reif. Die zweite Ernte dann eine Woche später. Kein optischer Unterschied mehr, aber die Schimmelneigung hatte doch noch zugenommen. An mehreren Kolben hatten sich Vögel vergriffen. Sie reissen die Hüllblätter (beim Mais auch Lieschen genannt) ab und picken die Körner heraus. Der Schaden war aber mässig, da hatte ich bei Zuckermais und Popkornmais schon schlimmeres erlebt. "Malcantone" lässt zwar einige Körner an der Spitze herauslugen was die Vögel anzieht, macht es ihnen aber mit einem fest umhüllten und verschlossenen Kolbenbau schwer, alles sofort wegzuräubern.

Einige geerntete reife Kolben

Der Direktsaatmais blieb höchstens minimal niedriger wie der vorgezogene Mais. Der Ertrag war ähnlich, der Reifezustand nur leicht schlechter. Einen grösseren Unterschied machte die Besonnung. Die Randreihen hatten deutlich bessere Erträge und fettere Kolben. Mit mehr Pflanzabstand kann man offenbar auch schlechtere Verhältnisse ein bisschen kompensieren. Die Kolben habe ich eingepackt und mitgenommen.

Die weitere Verarbeitung der Kolben und dann der Körner folgt in Teil 2.

Abgeerntet