Brettacher im März - nach 6 Monaten Lagerung! |
Ein Beitrag über einen Apfel im Frühlung? Ja, beim Brettacher hat das seine volle Berechtigung. Gut acht Kilometer von hier ist sie entstanden, die Apfelsorte Brettacher, eine ungeplante Zufallskreuzung aus Champagner Renette und vermutlich Jakob Lebel, einem früher sehr beliebten Backapfel. Brettacher ist meine Nr. 1, meine Lieblings-Universalsorte für alle Verwertungsarten, der Sieger des Herzens, der Sieger nach Punkten, der Sieger im Anbau. Über den Brettacher gibt es viel zu schreiben, seine "Sortenwerdung" ab 1908 und die Verbreitung ab den 1930er Jahren ist gut dokumentiert. In den 1950er Jahren war er sogar eine sehr beliebte Marktsorte. Darüber später vielleicht mehr.
Beschreibung der Äpfel
Meine Kinder essen ihn gerne. Saft und Spritzigkeit gewinnen |
Zunächst eine Beschreibung dieses Apfels nach vielen Jahren Erfahrungen mit eigenen Brettacher-Bäumen:
Der Apfel ist optisch ausgesprochen hübsch. Er ist gross, breit, glattschalig und regelmässig gebaut. Grundfarbe grün, im Lager zitronengelb werdend. Ab September bekommen besonnte Früchte leuchtend rote Backen. Grünbleibende oder nur wenig gefärbte Früchte waren wenig besonnt und sind qualitativ etwas schlechter. Geerntet wird er meistens Anfang Oktober. Auf dem Lager fettet er glücklicherweise etwas, durch diesen natürlichen Verdunstungsschutz auf der Schale wird er erst im April schrumpeliger. Dank dieser Eigenschaft kommt er auch mit weniger feuchter Lagerluft besser klar als andere Sorten. Die kommerzielle Züchtung hasst fettende Äpfel, angeblich mag sie der Konsument nicht, zudem spielt ihre natürliche Haltbarkeit keine Rolle, weil auch Herbstäpfel mit Grosslager, 1-Methylcyclopropen-Behandlung, sauerstoffarmer künstlicher Atmosphäre, technischer Kühlung endlos gelagert werden.
Angeschnitten - prall und saftig |
Beisst man in das weisse Fruchtfleisch der vollreifen Äpfel hinein, fällt sofort der hohe Saftgehalt auf, er ist knackig, spritzig, fruchtig und schafft als eine der wenigen Sorten das Kunststück, trotzdem nicht gleichzeitig hart und grobzellig zu wirken. Die unangenehme Härte moderner Sorten hat er nicht. Das hat die Unsitte befördert, den Apfel erst mit einem Messer in Stücke zu teilen, weil man in die harten Bollen kaum mehr direkt hineinbeissen kann, früher hat man sich diese Mühe nur für kleine Kinder und Greise gemacht. Beim Brettacher kann man sich solche Umwege sparen. Nachteil: Man sollte ihn vorsichtig pflücken, um Druckstellen zu vermeiden. Mit dem Apfelpflücker nicht einfach, denn die grossen Äpfel knallen auf die bereits im Pflücker liegenden Früchte und verursachen Druckstellen, besser nur einzeln von den Ästen holen.
Halbierter Brettacher |
Er glänzt durch eine schnittige, weinige und überaus erfrischende Art, die heutige Apfelsorten nicht haben. Seine Würze ist Apfelaroma, Weinwürze ohne die Blumigkeit von Golden Delicious oder Cox Orange. Rieslingtrinker lieben auch Brettacher. Hier scheiden sich die Geister: Für den Einen ist er ein säuerlicher Mostapfel, für den Anderen eine Sinfonie mit strahlendem Säurespiel. Brettacher hat frisch ein Zucker-Säureverhältnis von 10:1 bis höchstens
12:1. Die Säure ist aber nicht scharf wie beim Glockenapfel oder Ontario, sondern weinig. "Moderne" Sorten
liegen da völlig anders, 18:1 ist keine Ausnahme, das bedeutet mehr Zucker, viel weniger Säure. Das Zucker-Säureverhältnis beschreibt das Verhältnis des Zuckergehalts und des Säuregehalts in Prozent. Ein Apfel mit 12% Zucker und 1% Gesamtsäuregehalt hat ein ZSV von 12:1.
Seine Lager- und Anbaueigenschaften im heutigen Klima machen ihn für Nutzgärtner oder Leute mit Platz für Äpfel zu einer Sorte mit enormem Wert. Dieses Jahr ist mir das wieder stark aufgefallen, deshalb sollte man gerade im Frühling an den Brettacher erinnern. Wir leben beim Obst ab Januar bis in den Mai hinein im Grunde von Brettachern. Jedes andere Obst müssen wir in dieser Zeit kaufen. Nur sehr wenige Birnensorten sind über den Januar hinaus im Naturlager lagerfähig und unter den Äpfeln gibt es fast keinen, der noch im April so schön saftig, knackig und frisch schmeckt, weiterhin für Mus, Kuchen, Apfelküchle und alles andere verwendbar bleibt. Sein Fruchtfleisch kann man nach Lagerung mit der Zunge abreiben, trotzdem wirkt er nicht mehlig oder matschig. Der Brettacher ist eine Freude und in dieser Zeit eine Notwendigkeit. Und: Bei einigen Sorten habe ich Allergiesymptome, beim Brettacher nicht.
Voraussetzungen für Langlagerung zu Hause
Apfelkiste mit Brettachern Ende März nach Folienhaubenlagerung |
Wie bleibt er so lange frisch und hält die Qualität? Zwei Dinge sind wichtig: Die richtige Lagerung, die heute auch ohne tiefen Naturkeller gut gelingen kann. Das ist zum Beispiel eine Folienhaubenlagerung, so wie sie in diesem Beitrag detailliert beschrieben ist: https://gartenzone.blogspot.com/2018/11/apfel-und-birnen-lange-lagern-ohne.html. Dann der richtige Erntezeitpunkt, der beim Brettacher glücklicherweise nicht so punktgenau wie bei anderen Sorten stimmen muss. Man darf dabei nicht so sehr auf den Geschmack achten, Brettacher erreicht sowieso erst nach etwas Lagerung seine Höhe. Es ist die Schalenfarbe, die es anzeigt, in unserem Klima kann das ab Ende September bis in die zweite Oktoberwoche so weit sein. Er hängt ungeerntet länger und sieht noch frisch aus, wäre aber nicht mehr lange lagerfähig. Ein erntereifer Brettacher hat rote Backen, die er erst recht spät bekommt, wenn die Nächte kühler werden. Er ist noch sattgrün, aber manche Früchte sind bereits in Aufhellung von grasgrün in helleres grasgrün begriffen. Wenn eine ganz leichte Farbveränderung anrollt, ist er spätestens so weit. Sein Zuckergehalt liegt dann bei mindestens 50 OE, im Schnitt bei meinen Äpfeln 55, maximal bis 65° OE (12,5 / 13,75 / 16,25 Brix). Die 65° wurden beispielsweise 2020 erreicht, erst dachte ich an einen Messfehler, aber es stimmte exakt mit Gegenproben und unterschiedlichen Bäumen überein. Kommen immer wieder Jahre mit unter 50°, dann ist das Klima zu schlecht für ihn. Auch als Saft macht er dann nicht viel her, höchstens als Säureträger. Früher war das sein Pferdefuss, die benötigten guten Wärmesummen. Er wurde aus gutem Klima gewachsen probiert und hatte dann den "den will ich auch haben" Faktor, dann zu oft in kühleren Landesteilen gepflanzt, wo er als Baumrübe enttäuscht. Heute im veränderten Klima hat sich seine Anbaufähigkeit aber stark erweitert und seine immer schon vorhandenen Stärken machen ihn erst recht zu einem Gewinner.
Er ernährt uns auch beim Saft und etwas Gärmost. Der Saft ist erstklassig, ausserdem lässt sich der Apfel leicht pressen. Der Saft ist schnittig, ohne sauer zu wirken, solche Säfte lassen sich auch leicht mit Wasser verdünnen und schmecken dann immer noch. Ebenso Gärmost, wo bei mir hohe Alkoholgehalte unerwünscht sind, dafür ein angenehmes Säurerückgrat existieren muss. Das Durchschnittsjahr mit 55°OE bringt immer noch 6,9% Alkohol, verdünnt ergibt dies stilistisch eine Art selbstproduziertes Weissweinschorle.
Eigenschaften des Baums
Blühender Brettacher-Hochstamm |
Der Baum wächst stark und kommt mit heissen, trockenen Sommern überdurchschnittlich gut zurecht. Kühlere Standorte verursachen bei ihm nicht nur saure Äpfel, sondern auch Befall mit mit dem Pustelpilz Neonectria ditissima, im Volksmund auch "Obstbaumkrebs" genannt wegen der Wucherungen, die er optisch hervorruft. In Wirklichkeit sind die aber nichts krebsartiges, sondern Folge der Pilzkrankheit. Begünstigt wird sie durch schwere Böden, aber beim Brettacher sind kühle Standorte der stärkere Faktor. Eine seiner besten Baumeigenschaften ist seine Robustheit gegen Rindenbrand, er auf meinen warmtrockenen Obstwiesen insgesamt 60% aller Sorten hinweggefegt hat. Als triploide Sorte ist Brettacher ein schlechter Befruchter für andere Sorten. Sein Hauptnachteil für Selbstversorger ist sein Problem mit schwachwachsenden Unterlagen, das viele alte Sorten haben. Die meisten Leute haben heute keinen Platz mehr für grosse Bäume, also wird auf schwachwachsenden Unterlagen gepflanzt, so wie in der Plantage, um damit kleine Bäume zu bekommen, die auch im beengten Hausgarten Platz haben. Sorten wie Brettacher entwickeln dabei aber übergrosse Äpfel, die häufig durch physiologische Ungleichgewichte innen früh stippig werden und damit nicht lagerfähig. Das passiert manchmal auch bei starkem Überbehang, wenn das Vorjahr beispielsweise Frost wegen Ertragsausfall hatte. Auch ältere Bäume alternieren jedoch nicht stark. Sie benötigen auch wenig Pflege. Seine Blüte ist prächtig, mittelspät bis spät und damit auch etwas spätfrostsicherer wie der Durchschnitt.
Brettacher im Herbst am Baum, gut besonnt, gut verteilt, Idealbehang |
Grössere Baumformen sind überaus robust, gesund und erntesicher bei guten Erträgen. In unserer Gegend lag der Anteil von Brettachern bei Obstwiesenbepflanzungen über ein halbes Jahrhundert lang bei mindestens 50%. Auch die grausamen 1970er Jahre und danach hat er überstanden. Damals wollte man Sorten aus dem Supermarkt wie den Golden Delicious oder Gloster auch auf der eigenen Wiese haben. Aber man hat denen trotzdem nie ganz getraut, ohne Brettacher ging es nie: Oben auf der Wiese vier Brettacher als sichere Miete, unten das neue Zeug. Heute stehen die Brettacher noch und tragen, der Rest ist längst tot. Viele Brettacher in der Umgebung sind noch aus Reisern entstanden, die man beim Ur-Brettacher an der Strasse zwischen Brettach und Langenbeutigen geholt hat, bis er aufgrund einer völlig enthemmten und katastrophalen Flurbereinigung umgesägt wurde. Diese Zeit war auch in anderer Hinsicht eine brutale Zäsur, in der massenhaft andere gute Dinge bei Obst, im Land, der Natur unwiderbringlich zerstört wurden.
Pflanzen wir neue Bäume. Brettacher ist eine Sorte, die zwar nicht in Gartenmärkten, aber glücklicherweise oft in Baumschulen zu finden ist. Er wird zwar auch auf Unterlagen wie M9 angeboten, aber kaufen sollte man ihn aus den oben erwähnten Gründen mindestens auf mittelstarken Unterlagen wie MM111. Diese Bäume sind bereits standfest und auch im Hausgarten noch in tragbaren Grössenordnungen zu halten. Am Besten aber auf Bittenfelder Sämling für eine Obstwiese.
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