Montag, 25. November 2019

Mispeln, mespilus germanicus - letzte Ernte im Jahr

Reife Mispeln Sorte "Metzer"
Vor ein paar Tagen habe ich wie jedes Jahr das letzte Obst der Obstwiese geerntet, die Mispeln. Nun ist es vorbei, noch später im Jahr gibt es nichts mehr zu holen. Aus ists.

Laubkleid und Blüte im Mai
Für viele sind sie eine völlig unbekannte Obstart und auch der Baum kann nicht zugeordnet werden, weil er "exotisch" aussieht. Andere verwechseln sie mit der nicht verwandten Obstart Nespoli, Loquat, japanische Wollmispel, Eriobotrya japonica. Die sieht ganz anders aus, gelborange und saftig, kommt aus Ostasien und wächst nicht in Deutschland auf Obstwiesen, weil sie nicht genügend frosthart ist. Ab und zu taucht sie aber im Supermarkt auf, importiert aus Spanien oder Italien. Deutsche Mispeln laufen eher unter Wildobst und sind nicht im Laden zu kaufen. Die dauernde Verschwurbelung der beiden Obstarten haben wir dem schwedischen Botaniker Thunberg zu verdanken, der die Loquat 1780 kennenlernte und sie zu den Mispeln stellte. Der Fehler wurde schon ein paar Jahre später korrigiert, aber da war der Schaden schon passiert, in Europa hatte sich gelbe Loquat verbal bereits mit Mispeln verbunden.

Mispelernte
Auch der lateinische Namen "mespilus germanicus" der hier wachsenden Mispel ist unglücklich gewählt, die Mispel existiert zwar schon sehr lange in Deutschland, aber heimisch ist sie ganz sicher nicht. Dafür ist sie zu wenig frosthart, unter -20°C beginnen Schäden, was heute kein grosses Thema mehr ist, aber früher Richtung Osten durchaus anbaubegrenzend war, ähnlich wie bei der Quitte. Ihre grosse Zeit hatte sie in Deutschland im Mittelalter. Römer und Griechen kannten sie bereits in der Antike, sie wurde aber noch früher in Kultur genommen, vermutlich in Südosteuropa oder Westasien um 1000 v. Chr.

Älterer Mispelbaum, Ludwigsburg
Heute ist sie ziemlich verschwunden und hat Exotenstatus. Gepflanzt habe ich schon viele Bäume, aktuell habe ich drei Sorten: Die Metzer Mispel, Nottingham und Macrocarpa. Nottingham bekommt sehr grosse Früchte, wenn sie älter wird und gedeiht auch in kühlen Lagen, braucht aber mehr Wasser und besseren Boden. Die Metzer Mispel hat mittelgrosse Früchte und trägt zuverlässig am Besten, von ihr ernte ich jährlich einige Kilo. Sorten gibts es noch viele, zum Beispiel die Kurpfalzmispel, Westerveld, Royal, die kernlose aber kleine Apyrena, Holländische Großfrüchtige, Delica de Vannes, Breadse Reus, Monstrueuse d'Evreinoff, Ungarische... doch Vorsicht! Sie lassen sich nicht immer unterscheiden, Verwechslungen durch die Vermehrer und Baumschulen sind an der Tagesordnung. Das beste Merkmal ist die Fruchtform. Sortenechtheit scheint wie bei einigen anderen Obstsorten eher die Ausnahme wie die Regel zu sein. Nötig wären eigene Mispelabteilungen in Reiserschnittgärten, in denen erwiesen korrekt bezeichnete Sorten vermehrt und virusfrei gemacht werden.

Obstart für den Kimawandel


Knospen und Blätter
Sie hat mehrere herausragende Eigenschaften, für mich sehr wichtig ist ihre Fähigkeit, sich auf trockenheissen Standorten mit schlechtem Boden wohlzufühlen. Zusammen mit der Quitte war sie die Obstart, die die letzten beiden Wüstenjahre gut überstanden hat und dabei noch fruchtete, während die Äpfel daneben wegen Wassermangel ab August am Baum verschrumpelten und faulten. Auch der flachgründige Boden am Hang macht ihr nichts aus, sie ist Herz- bis Flachwurzler und will gar nicht in die Tiefe wie beispielsweise Birnen. Sonnenbrand bekam sie nicht, sie scheint unverwüstlich.

Blüte, eben geöffnet
Andere gute Eigenschaften sind ihre schönen, grossen Blätter, die späten grosse weissen Blüten, der lange hängende Fruchtschmuck, eine kräftige Herbstfärbung. Wie die Quitte ist sie problemlos dekorativ genug, um auch einen Vorgarten zu verschönern. Für den kleinen Garten existieren schwächer wachsende Sorten wie "Ungarische". Auf der Wiese ist ihr Habitus eher breit, sie entwickelt gerne gebogene Äste, will man sie stärker in Form halten, ist etwas Schnitt- und Bindeaufwand nötig. An Wegrändern würde ich sie nicht pflanzen, die Äste hängen immer zu tief. Ansonsten benötigen gut entwickelte Bäume ähnlichen Lichtraum wie gut entwickelte Quitten. Es gibt Bäume, die mittels Schnitt sehr schön geführt sind und Blätterdächer wie bei Dachplatanen ergeben.

Grosse, weisse, späte Blüten
Als Nutzgärtner spielen für mich natürlich die Früchte eine grosse Rolle. Leicht verwertbar sind sie leider nicht, das ist auch der Grund für ihre geschwundene Popularität. Frisch vom Baum schmecken sie ungeniessbar gerbstoffbitter. Sie benötigen erst eine enzymatische Umwandlung, die durch Frost oder lange Lagerung initiiert wird. Das Fruchtinnere wird dadurch weich und süss, die Farbe wandelt sich von innen her von einem Weiss mit Grünschimmer zu Braun. Das sieht aus wie verdorben, ist es aber nicht, Aroma und Geschmack erreichen dann erst den Höhepunkt. Aber auch da gibt es Tricks, weiter unten mehr dazu.
Pollen, Narbe der Blüten

Wie schmeckt sie?


Fast reife Mispel halbiert
Im besten Zustand hat das weiche Mispelinnere kräftige Apfelaromen von Bratapfel und grünem Apfel. Das bestimmt sie. Nebenaromen sind ein zitroniger Ton, Reste der Gerbstoffe für dezente Herbstheit, süsse Eberesche sowie Obertöne von Feige. Der Zuckergehalt erreicht mit um die 80° OE (16,5 Brix) gute Werte, was natürlich schwanken kann. Grosse Unterschiede zwischen den Sorten konnte ich bisher nicht feststellen, ich kenne allerdings nur eine Untermenge der bekannten Sorten. Es soll eine noch süssere Variante ohne Gerbstoffe geben, die sich davon abhebt. Leute, die sie haben, merken aber keinen echten Unterschied, möglicherweise auch eine Sortenverwechselung oder Fehler in der Literatur, die sich fortpflanzen, so wie die falsche Einordnung der Loquat für ein paar Jahre nach 1780.

Was macht man mit der Frucht?


Der Nutzgärter will nicht nur Schönheit, sondern auch Nutzung. Bei Mispeln ist das nicht ganz so einfach wie bei Äpfeln, die man vom Baum holt und sofort reinbeisst. Das kann man bei Mispeln theoretisch zwar auch, aber dann zieht einem die Gerbstoffkeule den Mund unangenehm zusammen.
  • TK-gelagerte und auftauende Mispeln
    Am leckersten und einfachsten sind grosse Früchte, die kurz vor dem abfallen im November oder Oktober gepflückt werden und dann unverpackt einfach in ein Gefrierfach des Tiefkühlschranks geworfen werden. Nach zwei Tagen sind sie durchgefroren. Stück für Stück (auch erst nach Monaten) kann man sie wieder entnehmen, über Nacht auftauen lassen. Aufgetaut sind sie perfekt: Weich, süss, die Gerbstoffe abgebaut und das Fruchtfleisch bleibt zunächst hell, was die Kinder freut die braunes Inneres schnell als Verderb interpretieren. Man isst sie mit oder ohne die dünne Schale, zupft nur die Kelchblätter etwas weg, spuckt die fünf Kerne und die Schale nach weglutschen des cremigen Fruchtfleischs wieder aus. Auch sofortige weitere Verarbeitung geht jetzt, zum Beispiel durch eine Passiermühle drehen und das Fruchtpürree anders weiterverwenden - Kuchen, Eis, Desserts. Besonders lecker finde ich es als Dessert, mit etwas Apfelsaft lockerer gemacht, ein Schuss Obstwasser, Zucker, mit Sahne.
  • Im 19. Jahrhundert war die Mispel auch als Zutat für Apfelmost und später Apfelsaft gesucht. Die Früchte wanderten einfach ohne enzymatische Umsetzung mit in die Mostpresse bis zu einem Anteil von maximal 10%. Die Gerbstoffe klären den Saft, das Aroma wird reicher. Das kann man auch heute machen, wenn man Apfelsaft presst oder pressen lässt.
  • Mispeln sind für reinsortige Obstwässer tauglich. Edelbrände aus Mispeln zählen zu den teuren Vertretern dieser Getränke. Wer brennen will, muss eine Maische herstellen und die dann zu einem Brenner bringen. Dafür braucht man aber gute Ernten, brauchbare Mengen liegen bei hundert Litern Maische. Die Brennblasengrösse typischer Lohnbrenner liegt bei 120 Litern.
  • Gelagert und essreif. Schmeckt viel besser wie es aussieht.
    Noch hart vom Baum geerntet kann man sie auch einfach im Keller lagern. Irgendwann setzt die enzymatische Umsetzung ein und sie werden weich und essbar. Das kann ein paar Wochen oder wenige Monate dauern je nach Umgebungstemperatur (warm gelagert geht es schneller) und Erntezeitpunkt, bis dahin muss man öfter kontrollieren ob etwas vor der Zeit schimmelt. Sind sie weich und braun, müssen sie bald verbraucht werden, die nächste Stufe ist bereits der Verderb.
  • Auch harte, gerbstoffhaltige Früchte sind verwendbar. Man jagt sie durch eine Obstmühle oder die grobe Raspelscheibe einer Küchenmaschine, presst sie mit einer Presse oder einem billigen  Nylon-Handpressbeutel
    Mispeln, in der Obstmühle zu Maische verarbeitet
    aus und behandelt den noch sehr gerbstoffhaltigen Saft mit Flüssiggelatine. Die Gerbstoffe werden ausgefällt und sinken mit der Gelatine zum Boden ab. Nach einem Tag ruhiger Standzeit giesst man die klare obere Phase des Safts ab und verwendet sie für ein leckeres Fruchtgelee oder trinkt den Saft. Für Gelee ist der Saft mit Zitrone anzusäuern, sonst geliert er mit den Pektinen handelüblichen Gelierzuckers nicht. Saft aus dem Dampfkochtopf ist minderwertig. Aus braun gewordenen Früchten lässt sich kein Saft pressen, dafür müssen sie erst zerquetscht werden und die Maische mit geeigneten Pektinasen verflüssigt werden. Die Technik all dieser Methoden ähnelt der Verarbeitung anderer gerbstoffhaltiger Früchte, im Artikel über Schlehen bereits ausführlich beschrieben. Das Prinzip ist immer dasselbe.
Mispel "Nottingham" in einem Vorgarten, 600m Höhe

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