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Sonntag, 11. November 2018

Schlehen, Schätze aus der Wildnis

Nutzgärtner ernten nicht nur aus dem eigenen Garten. Wer sich für Obst und Gemüse aus dem Garten interessiert, wird auch an Wildobst Interesse haben. Damit sieht es in Deutschland zwar nicht so reichlich aus, Mitteleuropa ist Dank der letzten Eiszeiten relativ artenarm und seit der Neuzeit ist das Land sehr stark vernutzt. Es ist ausgeräumt und verbaut. Mittlerweile wachsen die meisten Arten in Strassenrandhecken. Einige Wildobstarten leiden zudem schwer unter importierten Katastrophenschädlingen wie der Kirschessigfliege, Brombeeren, Holunder und Wildkirschen zum Beispiel. Aber es gibt ein paar Schätze, die mit Hilfe von zeitgemässen Verarbeitungsmethoden durchaus gute Leckereien ergeben können.

Die Schlehe


Reife Schlehen am Strauch
Einen dieser Schätze habe ich vor kurzem wieder einmal geerntet, was wie bei jeder Wildobstart Zeit benötigt. Im Eimer sehen sie aus wie kleine blaue Weinbeeren: Die Schlehe, Prunus spinosa, Schwarzdorn. Jeder kennt sie, sie ist häufig und eine wirklich einheimische Art. Schon im Frühling erkennt man sie von Weitem, ihr Blütenbesatz ist so reich dass die Sträucher reinweiss erscheinen. Insekten lieben die nektarliefernden Blüten ebenfalls. Dieses Jahr haben viele Sträucher Massenbehang. Die Beeren sind wegen der Trockenheit aber klein, die Pflückleistung liegt bei dichtem Beerenbesatz bei bis zu 2kg pro Stunde. Beisst man hinein, fragt man sich, wie man so eine gerbstoffhaltige, herbe Beere mit grossem Kern überhaupt nutzen kann. Zerquetscht man sie, erhält man eine schmierige Maische, die sich nicht abpressen lässt. Was soll man daraus schon machen?

Verarbeitung der Schlehen früher


Blütenpracht von Schlehensträuchern
Überkommene Hausrezepte raten zu übergiessen der Früchte mit heissem Wasser, dann ziehen lassen, abgiessen, das Ganze mehrfach wiederholen. Oder entsaften mit dem Dampfentsafter. Das wird auch vieltausendfach im Internet so verbreitet. Beides ergibt aber unbefriedigende Ergebnisse ohne gute Qualität. Das Ergebnis ist toterhitzt, wasserverdünnt, geschmacklich mässig, ausser man mischt noch Zucker hinein und verdünnt noch weiter.

Herrlicher Schlehensaft 


Reiche Ernte in Sicht
Wir gehen völlig anders vor, um einen exklusiven reinen Presssaft ohne Zusätze zu bekommen. In guten Jahren erreicht dieser Saft ohne weitere Zuckerung locker über 100° OE, dieses Jahr wieder 105° OE (21,6 Brix), 110° sind mein Rekord. Vergoren würde das um die 15% Alkohol ergeben. Schlehen sind für ein Wildobst nämlich aussergewöhnlich zuckerreich und kennt man die Tricks, um den Gerbstoffgehalt etwas zu senken, erreicht der Saft ohne Übertreibung die Qualitäten guter Rotweine. Wie Wein zeichnet er sich dadurch aus, dass er kein alleinbestimmendes Geschmackselement enthält, sondern aus einem Strauss verschiedener Aromen zusammengesetzt ist, die gut miteinander harmonieren und die Zunge auf Entdeckungsreise schickt. Die stärkste dieser Komponenten ist nicht wie erwartet ein Zwetschgenaroma, sondern Kirsche und Mandel. Daneben stehen Brombeere, Zwetschge, Lakritze, Kakao, Zimt.

Nur: Mit den Methoden der Vergangenheit bekommt man das nicht. Mit einer Presse kann man die pektinreichen Früchte auch nicht entsaften. Und wenn, ist der Saft sehr gerbstoffhaltig. Es heisst oft, nach dem ersten Frost würden die Gerbstoffe verschwinden. Das stimmt nur zum Teil. Der Frost baut keine Gerbstoffe ab, Tannine sind froststabil. Aber beim Auftauen platzen Zellen, die Früchte saften unter der Fruchthaut. Dadurch können sich Anthocyane aus der Fruchthaut und Tannine aus dem Fruchtfleisch verbinden und polymerisieren sich zu langkettigen Molekülen, die nicht mehr adstringierend schmecken. Der Vorgang findet erst nach dem Auftauen statt. Der Gerbstoffgehalt wird dann in der Tat schwächer, ist aber meist immer noch unangenehm stark. Direktsaft aus Schlehen nach Frost kommt immer noch auf bis zu 5g / Liter Gerbstoffgehalt, kräftige gerbstoffhaltige Rotweine haben maximal 2,5g / Liter. Der Bereich zwischen 1g und 1,5g wäre optimal.

Der Gerbstoffabbau findet auch bei Überreife statt, aber die wird in Mitteleuropa selten erreicht. In warmen Jahren ohne frühe Fröste kann es aber im Herbst durchaus sein, dann man angetrocknete Früchte vom Strauch essen kann, die kaum mehr Gerbstoffe haben. Darauf ist aber kein Verlass. Wir sind da in einer Zwickmühle: Späte Ernte sorgt für weniger Gerbstoffe aber auch weniger Saft, weil die Früchte mit der Zeit antrocknen. Oder wir bekommen gar keine mehr, weil Vögel abgeräumt haben.

Wie wirds denn nun gemacht?


Schlehen frisch aus der Tiefkühltruhe
Hier das System, das ich mit der Zeit entwickelt habe: Schlehen frühestens Ende Oktober pflücken, gegebenenfalls waschen und trocknen, dann in Plastiktüten füllen. Die kommen für zwei Tagen in die Tiefkühltruhe. Wieder rausholen, im geschlossenen Eimer auf Zimmertemperatur auftauen und warm werden lassen. Geschlossener Eimer deshalb, damit uns nicht das Kondenswasser alles verwässert, das sich sofort an den eisigen Früchten niederschlägt. Danach sind sie weich und leicht mit der Hand zerdrückbar geworden. Um diese Konsistenz zu bekommen werden sie eingefroren und nicht bloss wegen einer erhofften weiteren Gerbstoffreduktion. Schliesslich wird eine Prise Pektinase drübergestäubt und sofort eingemaischt. Das mache ich mit der Hand, aber es gibt sicher noch effizientere Methoden. Die Beeren werden einfach mit beiden Händen komplett zerquetscht, die Kerne bleiben in der Maische. Ein paar Stunden stehen lassen, abpressen, fertig ist der noch ziemlich gerbstoffhaltige Saft. Wie in der Weinbereitung ebenfalls üblich werden nun die Gerbstoffe reduziert, Mittel der Wahl ist Flüssiggelatine. Absetzen lassen, abziehen, probieren.
Maischeherstellung von Hand

Pektinase


Sieht wild aus, wird aber lecker. Schlehenmaische, verflüssigt.
Was ist Pektinase? Um pektinhaltige Maischen wie die aus Zwetschgen, Johannisbeeren oder hier Schlehen zu verflüssigen, verwendet man seit geraumer Zeit das Enzym Pektinase. Es ist in der Lage, Pektine zu spalten. Besonders in der Obstwasserherstellung werden Maischen damit versetzt. Ein bekannter Handelsname einer Pektinase ist "Antigel", das im Zubehörhandel für Hobbywinzer zu haben ist. Andere Pektinasevariationen laufen unter dem Handelsnamen Shiazym oder Pectinex. Pektine fungieren auch als die Kittsubstanz der Zellen, die dem pflanzlichen Gewebe die Festigkeit geben. Sie bestehen aus Vielfachzucker, überwiegend aus verknüpften Polygalakturonsäuren. Je nach Veresterungsgrad unterscheidet man zwischen hoch- und niederverestertem Pektin. Geliermittelprodukte für Marmelade enthalten normalerweise hochveresterte Pektine.

Durch die enzymatische Spaltung der Pektine durch die Enzyme in der Maische entsteht daraus Methanol in kleinen Mengen, das später beim offen sterilisieren (aufkochen) schon ab 65°C verdampft. Würde man Schlehenschnaps destillieren, müsste man allerdings fachkundig und konsequent arbeiten, damit Methanol vollständig abgetrennt wird. Für Brennversuche mit einer illegalen Amateurdestille im Hobbykeller eignen sich pektinasebehandelte Schlehen nicht.

Pudrig-pulvrige Pektinase
Bei Zimmertemperatur (je wärmer, desto schneller) dauert es nach intensivem Mischen der Pektinase mit der Maische nur wenige Stunden und die klebrige Maische gibt den Saft schnell frei. Das kann man auch sehen, er bildet kleine violettrote Seen an der Oberfläche. Auch die Aroma-, Säure- und Zuckerfreisetzung aus den Zellen ist besser.

Wer "Antigel" nimmt, sollte ruhig mehr dosieren wie auf der Packung vorgeschlagen. Die Gerbstoffe der Schlehen (Polyphenole) hemmen die Wirkung der Pektinase, das muss man ausgleichen. Überdosierung schadet nicht.

Abpressen


Abpressen mit dem Nylon-Handpressbeutel
Pektinasebehandelte Maische lässt sich viel leichter und besser auspressen. Bei Schlehen läuft das immer noch etwas zäh. Ich nehme dafür einen Handpressbeutel aus Nylon, ebenfalls ein Produkt aus dem Hobbywinzerhandel. War man eifrig und hat grössere Mengen gesammelt, gehen auch andere Pressmethoden wie Hydropresse oder Spindelpressen.

Die trocken gewordene Maische kann man ebenfalls noch einmal verwerten. Damit kann man noch einen Aufguss in der Art herstellen, wie es von all den Schlehensaftrezepten vorgeschlagen wird: Mit heissem Wasser übergiessen, stehen lassen, abgiessen. Hochwertigen Saft gibt das nicht mehr, aber gut zu trinken ist er noch nach der unten beschriebenen Gerbstoffreduktion.

Ausgepresste Maische

Gerbstoff reduzieren, Rohsaft erhalten


Bodensatz mit Gelatine/Gerbstoffe
In besonderen Jahren und bei später Ernte ist der rohe Presssaft bereits hinreichend harmonisch, weil er nicht mehr zu viele Gerbstoffe enthält. Man kann ihn direkt trinken, sterilisieren oder zu Gelee verarbeiten. Roh fängt er sofort zu gären an, also sofort verwenden. Meistens ist der Gerbstoffgehalt aber noch viel zu hoch. Um ihn zu reduzieren kennt man aus der Weinbereitung viele Möglichkeiten. Altbekannt und klassisch ist die Gelatineschönung. Mit Flüssiggelatine funktioniert das am Besten, auch sie kann man im Hobbywinzerhande leicht besorgen.

Bei Zimmertemperatur wird etwas Flüssigelatine eingerührt. Die Dosierung muss vom Gerbstoffgehalt abhängen. Hobbywinzerrezepte helfen hier nicht, Schlehensaft benötigt viel höhere Dosierungen. Diesmal musste ich bei mittlerem Gerbstoffgehalt pro Liter Saft etwa 2 Centiliter (ein Schnapsglas voll) zugeben. Sofort flocken Gelatine und Gerbstoffe aus. Hat man zu viel zugegeben, wird der Saft milchig, ganz ohne Gerbstoffe schmeckt er auch weniger gut. Also vorsichtig vorgehen, zugeben, rühren, einen Löffel probieren, eventuell noch einmal etwas zugeben. Was ausflockt, setzt sich in ein paar Stunden unten ab. Man zieht den Saft oben ab (z.B. über einen Schlauch), lässt den Bodensatz zurück. War der Gerbstoffgehalt hoch, gibt es viel Bodensatz, die Ausbeute ist dann leider gering. Fertig.

Flüssige Gelatine und Pektinase
Zwischen Gelatine und Gerbstoffen findet keine chemische Reaktion statt. Nur die Moleküle beider Stoffe ziehen sich gegenseitig an, lagern sich aneinander an, werden dadurch schwerer und sinken zu Boden ab. Andere professionelle Mittel zur Gerbstoffreduktion sind Eiweiss, Kasein, Silikat, Protein aus Erbsen, Chitosan - beim Wein gut erprobt, bei Schlehen bleibt noch viel auszuprobieren. Möglicherweise sind einige dieser Stoffe günstiger, um Bodensatz von Saft zu trennen, haltbarer, haben andere Vorteile.

Wir haben immer noch Rohsaft vor uns - nie erhitzt, direkt aus der Frucht. Jetzt kann man ihn heisssteril abfüllen (aufkochen) oder Gelee daraus machen. Eventuell ist noch eine leichte Zitronensäurezugabe nötig, damit es gut geliert. Man kann auch Fruchtleder daraus machen, Fruchtwein, ihn wegen seiner Farbe und Aroma irgendwo zumischen, Punsch...

Abgefüllt. Sehr kräftige schwarzrote Farbe, nichts scheint durch.

Käufliche Produkte


Zu kaufen gibt es ebenfalls eine Menge aus Schlehen, um populärer zu werden sind sie aber viel zu teuer. Es gibt Gin mit Schlehen, Trockenbeeren, Liköre, Schlehenwasser das zur Spitze der Obstwässer gehören kann, Marmelade zu Kilopreisen um die 30 EUR, Schlehenwein, Schlehenessig und Balsamessig, Pulver, einen Schlehenelixier mit viel Zucker und 35% Fruchtanteil zum Literpreis von über 40 EUR sowie Saft - in kleiner Flasche zum Preis eines sehr hochwertigen Weins.

Wer die Tricks heutiger Verarbeitungsmethoden kennt, kann das Wildobst selbst nutzen und damit eigene exlusive und qualitativ hochwertige Ergebnisse bekommen. 



Ernte

Die Farbe...