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Sonntag, 22. Dezember 2019

LKW-Gärten

Vorsicht, es folgt wieder einer der seltenen Rants, der aber durchaus etwas mit Gärten zu tun hat.
Die Geschwindigkeit, mit der Landschaft, Gärten, wertvolles Ackerland verschwindet ist beängstigend. Der Nutzgärtner findet nicht einmal Kleinflächen, während gigantische Industrie- und Wohngebiete auf Grossflächen in nie gekanntem Ausmass gebaut werden. Warum setzt man auf quantitatives Wachstum, das zerstört und Substanz frisst?

Ist-Zustand Maisenhälden. Krasser Brutalismus
zerstörte Landschaft, gigantische Überformungen
Unsere Gemeinde Möckmühl ist dafür leider keine Ausnahme, sondern ein besonders krasses Beispiel, über das schon hier spezielles und grundsätzliches zu lesen war. Vor zwei Wochen hat nun der Bürgermeister im Gemeindeblatt an prominenter Stelle mit Foto den neuesten Schlag bekannt gegeben: Es wäre ihm gelungen, sage und schreibe neue 134000 Quadratmeter an einen "Logistikdienstleister" zu verhökern, diesmal die Firma "ECE Industrie und Logistics GmbH & Co KG". Dieser Wahnsinn in einer weithin sichtbaren Höhenlage soll schon in wenigen Monaten durchgepeitscht und betoniert werden. Was dort passiert und wie er über den Tisch gezogen wurde, weiss der Kleinstadtbürgermeister nicht. Die Firma ist ihrerseits eine Art Zwischenhändler, selber ein in sechs Ländern tätiger Immobiliengigant mit englischer Startseite, sie vermietet an andere Logistiker. Der Konzern ist gross und undurchsichtig, existiert als maximal risikominimierende Rechtskonstruktion. Die Gemeinde hat also nicht einmal mehr etwas zu melden, wer dort dann mit was Business macht, was an Gewerbesteuer zu erwarten ist, das bestimmt dieser Privatkonzern.

Landstrassenränder = LKW Parkplätze
In diesem wahnwitzig grossen Industriegebiet wird damit Dank Bürgermeister Stammer und offenbar auch der Gemeinderatsmehrheit die bereits riesige Horde der LKW-Aufmarschplätze potenziert. Die Bauleitplanung hat die Gemeinde. Theoretisch ist sie ebenfalls an das Grundgesetz gebunden, das in Artikel 20a eine Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen vorschreibt. Es gibt dort in "Maisenhälden" ausschliesslich solche Firmen, Riesige Lager, LKW-Vermieter, LKW-Firmen. Die Arbeitsplätze dort werden zu einem hohen Prozentsatz von Billigkräften aus dem ferneren Osteuropa besetzt, was nicht nur das Industriegebiet, sondern auch die ganze Gemeinde immer stärker prägt. Qualifizierte und besser bezahlte Stellen sind im Verhältnis dazu sehr wenig darunter. Die Arbeiter sind selber eine unter Druck gehaltene Verfügungsmasse und auch über Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Diese Betriebe bekommen aus guten Gründen in den meisten Gemeinden auch für viel mehr Geld keinen Quadratmeter mehr verkauft. Vor kurzem wurde beispielsweise sogar Amazon mit einem geplanten Verteilzentrum in Schwäbisch Gmünd hinausgeworfen und dafür genau die Gründe angeführt, die auch hier gelten: Sie sind extrem flächenfressend, der irrwitzige LKW-Verkehr verursacht allerlei Kollateralschäden, die Arbeitsplätze gehören zu den miesesten überhaupt, die laufenden Gewerbesteuereinnahmen der Lager und "Logistikdienstleiter" sind lächerlich niedrig - Möckmühl ist deshalb auch "steuerschwache Gemeinde". Die Gemeinde kann das nicht einmal kalkulieren, weil sie die Hoheit, wer dort überhaupt einzieht abgegeben hat. Nicht einmal die Angestellten bringen Kaufkraft in die Gemeinde, im Gegenteil, sie fliesst ab. Die sowieso schon geringen Löhne wandern sofort ins Ausland, aber Infrastruktur benötigen diese Menschen trotzdem hier. Man muss schon komplett lernresistent sein, um all diese schlechten Tatsachen wieder und wieder in seiner Gemeinde auszuweiten. Welche Interessen sind da eigentlich am Werk?

Gut geeigentes neues Stadtwappen für Möckmühl
Der Irrwitz der schweren LKW-Aufmarschplätze und Giganto-Lager ist exakt die Art des wirtschaftens, die sich die Welt eigentlich schon lange nicht mehr leisten kann und darf. Sie sorgt für grosses rein quantitatives, ressourcenfressendes Wachstum und den stärksten qualitativen Absturz. Während die Möckmühler Schulkinder jede Woche eine halbes Jahr lang Klimaschutzdemonstrationen veranstaltet haben, hat der Bürgermeister den nächsten riesigen LKW-Aufmarschplatz an Land gezogen und die Eltern dieser Kinder, wenn sie im Gemeinderat sind, haben das mehrheitlich gebilligt. Vormittags demonstriert der Nachwuchs, Abends stimmen die Übertölpelten für die Fortsetzung einer der grössten Zerstörungsaktionen in der Gemeinde. Sie hinterlassen ihren Kindern zerstörte Böden, zerstörte Landschaften, LKW-Ruinen und Asphalt einer Vollgas-Entwicklung in die Sackgasse.

Lageskizze und Grössenvergleiche
Die Flächen sind so riesig geworden, dass allein in diesem einen Industriegebiet jede Familie der Stadt Möckmühl dort ein 500 Quadratmeter grosses Grundstück haben könnte, um einmal die Verhältnisse und Ausmasse zu verdeutlichen. Die Lager- und Verkehrsfläche pro Kopf möchte ich gar nicht ausrechnen, aber von dem, was auf dem gründlich zerstörten, aber ehemals erstklassigen Boden mit erstklassiger Ackerzahl (=Bodenqualität) wächst, könnte eine halbe Grossstadt mit Brotgetreide versorgt werden. Wie konnten wir nur all die Jahre ohne diese ins unermessliche wachsenden Logistiker überleben? Ohne die donnernden schweren Diesel - LKWs mit ihren immer müde aussehenden Fahrern aus Litauen oder Rumänien, die uns beispielsweise mit immer mehr Schrott aus China, Fleisch aus mit südamerikanischen Sojabohnenfutter gepäppelten Tieren, Gemüse aus Plantagen in Marokko versorgen? Was für ein Riesenwohlstand uns doch vorher entgangen ist und wie sich unsere Lebenqualität durch diese "Wirtschaft" erhöht hat.

Auf dieser Fläche sind die nächsten LKW-Hallen geplant
Der Bürgermeister argumentiert, dass die Stadt die Einnahmen aus dem Grundstücksverkauf für andere Projekte, vor allem für die Erschliessung neuer Baugebiete benötige. Das ist direkte Folge des grandiosen Fehlers, nur gewerbesteuerschwache LKW-Schuppen anzusiedeln und diesen Fehler wiederholen die Verantwortlichen Personen wie Brummfliegen, die wieder und wieder gegen ein geschlossenes Fenster prallen. Wieso plant eine Stadt eigentlich überhaupt Baugebiete mit negativem Saldo, als Zuschuss-Verlustgeschäfte? Wieso wird mit der Zerstörung einer Fläche die Zerstörung anderer Flächen finanziert? Was ist das für eine Art zu wirtschaften, wenn man nur mit solchen bedingungslosen Kapitulationen im Industriegebiet zu Geld kommt? Was, wenn keine Flächen mehr da sind, die man gegen Geld verheizen kann? Das ist Leben von der Substanz, die damit unwiderbringlich zerstört wird. Das neue Projekt findet auf einem kräftig abfallenden Gelände in weithin sichtbarer Aussichtslage statt, das zu planieren wird schon für sich gigantisch, das Gesicht der Gegend wird damit ebenso weithin sichtbar komplett verändert, LKW-Industriell umgeprägt. Vermutlich werden die bis zu 35 Meter Höhendifferenz auch noch als Erddeponie missbraucht, wie es bei einem danebenstehenden Grundstück bereits passiert ist.

Symptomatisch für die grenzenlose Kurzsichtigkeit, mit der Menschen, Natur und Verstand abwickelt werden stehen auch kleinere Projekte in der Gemeinde. Eine der letzten innerörtlichen Obstwiesen wurde mit einem Ärztezentrum bebaut - in einer wichtigen Frischluftschneise, ausgerechnet direkt neben einem grossen leerstehenden Krankenhaus, das weiterhin ungenutzt gammelt. Wo blieb da die Immobilienhandelsfachkunde der Verantwortlichen? Zerstörung "rechnet sich", neben dem Leerstand die letzte Wiese des Stadtteils zu vernichten ist billiger anstatt Bestehendes für das an sich löbliche Projekt eines Ärztezentrums zu renovieren, also wird es gemacht. Schon der Gedanke ist Widersinn, gesunde Menschen mit einer immer kränkeren Umwelt schaffen zu wollen. Die Frischluftschneise ist ebenfalls kein Spass, Stadtklimatologisch hat Möckmühl sowieso schon lange sich verschärfende Probleme, die Temperaturen am Kesselgrund lagen in den Hitzejahren noch einmal 2° höher wie an den Rändern. Nicht nur im Sommer gibt es zunehmend Probleme, im Winter wirken sich die vielen Kaminholzheizungen dort fatal auf die Luftqualität aus. Die starke Luftschichtung merkt sogar jeder, der mit seinem SUV aus der Stadt braust und dabei gelegentlich auf die Temperaturanzeige neben dem Tacho blickt.

Mitten im zerstörten Wald, die geschotterten Flächen vor den
Windkraftanlagen werden als LKW-Parkplätze missbraucht,
weil die LKW-Flut permanent überschwappt
Bei mir setzt sich immer mehr die Einsicht durch, am falschen Ort zu wohnen, in der falschen Zeit zu leben. Als Niemand habe ich so wie andere Bürger auch Null Einfluss auf die fortschreitende Zerstörung, nach öffentlicher Meinungsäusserung und Nennung von Ross und Reiter werden mich wohl Einige nicht mehr grüssen (ungeachtet der Tatsache, dass ich nur die Sachebene beschreibe und nicht die Person des Bürgermeisters), obwohl die Zerstörer ja jedesmal immer die Sieger bleiben und alles durchsetzen können. Beton und LKWs sind die all-time Dauergewinner. Leute mit anderer Ansicht haben keine Rückzugsmöglichkeit mehr. Nutzgartengeeignete Bereiche sind im teuren und immer vollgequetschteren Süddeutschland sehr schwer zu finden und den Kindern will ich die gewachsenen sozialen Beziehungen auch nicht nehmen. Ich sollte vermutlich besser eine LKW-Firma gründen und versprechen, eine Blumenwiese zuzubetonieren, dann würde ich sofort von manchen Bürgermeistern hofiert und mit Grundstücken auf allerbestem Boden in schöner Aussichtslage beglückt.

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Montag, 4. Juni 2018

Der neue Frühling ist der alte Sommer



Rekordhitze im Mai, die erste Juniwoche fast täglich 30°C, der Frühling ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Wärmeliebende Gartenpflanzen im Freiland galoppieren geradezu davon. Früher waren selbst Gewächshauspflanzen um diese Zeit noch nicht so weit. Ein kurzer Gang durch den Garten:

Tomaten im Freiland mit Früchten, die fast schon Endgrösse haben - in der ersten Juniwoche!


Physalis, selbst gezogen, Sorte "Heitmann". Soll eine kleiner bleibende Sorte mit kleinen Beeren, aber sehr früher Reife sein.


Erste Fruchtansätze am Hokkaido-Kürbis. Die Pflanze ist schon 3m lang.


Selbst die Wassermelonen ranken schon meterweit und haben kleine Fruchtansätze produziert. Sonst passiert das erst Anfang Juli.

Beim Obst ist es nicht anders. Der grosse Kirschbaum, "Grolls Schwarze" ist bald pflückreif. Sonst schafft er das erst zwei Wochen später.


Die Tafeltrauben ebenso. Blüte beendet, Beeren wachsen.


Die hochempfindlichen Charentais- und Cantaloupe-Melonen sind bereits im Mai geradezu explodiert und haben nun grosse Fruchtansätze. Selbst gezogen, ungeschütztes Freiland. Die Fruchtbildung ist nach vier bis fünf Wochen abgeschlossen, Anfang Juli dürften sie reif sein. In vielen Jahren hat da gerade erst die Fruchtbildung begonnen.


Das Laub einer Melone. Aussergewöhnlich weit gewachsen und dieses Jahr noch keine Brennfleckenkrankheit, Alternaria.


Die dicken Bohnen haben es bei der Hitze schwer. Verzwergte Pflanzen, kaum Schotenansatz.


Die ersten Kartoffeln. Mit Vliesauflage gezogen wird in der Region schon seit zwei Wochen geerntet. Aber sie leiden unter der Trockenheit.


Eine der Arguta-Kiwis. Blüte abgeschlossen, Früchte wachsen.


Paprika sind empfindlich auf tiefe Nachttemperaturen. Dieses Jahr auch im Freiland bereits Fruchtansatz, Pflanzen gut gewachsen. Das verspricht, ein paprikareicher Sommer zu werden.


Zucchini, meine bewählte alte Lieblingssorte "Coucourzelle". Wir essen die Jungfrüchte schon seit ein paar Tagen, die Ersten im Mai. Die Pflanzen sind bereits riesig.

 

 Zuckermais. Gross und Pollenstände bereits sichtbar, sie schieben sich aus dem Herz nach oben.

 

Freilandaubergine. Mit Blüten und Fruchtansatz. Die im Gewächshaus sind schon doppelt so gross und die erste Frucht kann bald geerntet werden.

Montag, 23. April 2018

Harte Winterverluste im Nutzgarten trotz Klimawandel

Es ist Mitte April und schon heiss mit bis zu 30°C, gleissende Sonne brennt von blauem Himmel. 150 Jahre alte Temperaturrekorde fallen wieder einmal, die letzten Jahre wurden ständige diverse Rekorde gebrochen. Die Einsaaten im Freiland müssen hektisch gegossen werden, Jungpflanzen leiden unter Hitzestress weil sie erst einen kleinen Wurzelraum haben und die harte UV-Strahlung nicht gewöhnt sind. Keine Spur von Frost, während letztes Jahr am 20. April die gesamte Obsternte erfroren ist mit Temperaturen von bis zu -6°C am Boden. Das Obstjahr war schon im Frühling zu Ende.
Radicchio - Exitus
Statt auf das spriessende Grün zu sehen will ich mal die Winterverluste betrachten. Der Winter war durchgängig warm, kein Tag mit zweistelligen Minustemperaturen. Bis auf drei Tage im März, da knallte es in der Nacht bis auf -16° C runter. Und diese Kombination von feuchtmildem Wetter und kurzen aber harten Spätfrösten hat wieder einmal kräftig aufgeräumt im Garten wie eigentlich fast jedes Jahr.

    Kopfsalat Winterbutterkopf nach hartem Spätfrost
  • die Aprikosenblütenknospen begannen schon leicht zu schwellen. Sie sind dann komplett erfroren. Die Knospen sind nur noch braune Brösel. Ernte schon vorbei.
  • Totalschaden an den Artischocken. Wieder mal. Ohne sie unter Laubhaufen und Folien zu vergraben, kann man Anbau vergessen.
  • die eigentlich gut frostharten Kopfsalat-Wintersorten sind zu 80% erfroren. Sie sind nur als kleine Jungpflanzen frosthart. Durch das warme Wetter wuchsen sie und wurden grösser, das hat sie in der kurzen Kälteperiode umgebracht.
  • der Winterblumenkohl erlebte schwere Blattschäden. Die Pflanzen überlebten, aber die Köpfe sind verzwergt, weil kaum mehr Blätter da waren, die assimilieren konnten.
  • Totalschaden an allen Radicchiopflanzen.
  • 50% Ausfall an neu gepflanzten Erdbeerjungpflanzen. Eigentlich sind die recht Frostfest, aber hier wurden offenbar die Grenzen erreicht.
  • Kaki: Totalschaden. Der Baum ist abgefroren. Er war umwickelt mit Matten, das hat nichts geholfen.
Das Fazit immer gleich: Klimawandel bedeutet in Wirklichkeit mehr Extreme und viel mehr Schäden. Was hat überlebt?
  • Alle Feigen. Dank mühevollem, aufwendigem Schutz, der nur bei kleinen Pflanzen funktioniert. Sie büssten einige Knospen ein, aber die Triebe überlebten.
  • Pfirsichknospen, Pawpawknospen, alle anderen Obstssorten. Erneut fällt mir auf, wieviel robuster und problemloser Pfirsiche im Gegensatz zu Aprikosen sind. Und sogar Mandelknospen haben die Spätkälte überstanden!
  • Erst im Herbst gesetzte Jungpflanzen von Tafeltrauben, Züchtungen aus der Ukraine. Die Triebe sind kaum zurückgefroren. Das entspricht den Erfahrungen früherer Jahre. Die sind sehr frostfest und das auch noch bis in den Frühling hinein.

Montag, 23. Oktober 2017

Süsskartoffeln Dank Klimawandel

Süsskartoffeln jetzt auch als Pommes im Supermarkt
Zur wachsenden Gruppe der Pflanzen, die im Nutzgarten immer anbauwürdiger werden haben sich Süsskartoffeln oder Bataten (Ipomoea batatas) gesellt. Sie stammen ursprünglich aus Mittelamerika, wie so viele wertvolle Nahrungspflanzen. Man kennt sie mittlerweile auch in Deutschland und importiert sie. Seit ein paar Jahren tauchen sie regelmässig in Discountern auf, Herkunft erst USA, jetzt am häufigsten Portugal, Spanien. Am deutschen Markt durchgesetzt haben sich rote Süsskartoffeln mit orangefarbenem Fruchtfleisch. Es gibt aber auch weisse, gelbe,
Süsskartoffelfertigprodukte
rosa oder violette Sorten. Lange Zeit wurde behauptet, Süsskartoffelpflanzen wären nur etwas für die Tropen und Subtropen. Nichts für Mitteleuropa. Nun gibt es in unserer Region mit Holger Wagner aber jemand, der sie bei Heilbronn sogar kommerziell anbaut, immerhin auf zwei Hektar. In den Tropen ist es umgekehrt, da ist sie weit verbreitet und Kartoffeln (Solanum tuberosum) der Exot. Süsskartoffeln sind mengenmässig die Nr. 3, was die Weltproduktion an Wurzelnahrungspflanzen angeht.

Natürlich konnte ich auch davon nicht die Finger lassen und habe den Anbau ausprobiert. Das Ergebnis in Kürze: Es lohnt sich.

Süsskartoffeln anbauen

Blattwerk Süsskartoffel
Im Detail gibt es natürlich noch ein bisschen mehr zu sagen. Zunächst mal zur Pflanze: Die hat botanisch mit Kartoffeln nicht einmal entfernt etwas zu tun, sondern ist eine Windenart und kein Nachtschattengewächs. Blätter und Wuchsart erinnern auch optisch stark daran. Ich bekam Jungpflanzen der vielfach für unser Klima empfohlenen Sorte "Beauregard" (verwendet auch Holger Wagner, neuerdings auch "Murasaki"), die ich Ende Mai an eine trockene, warme Stelle im Garten gepflanzt habe. Erst hat sich eine Zeitlang nichts getan, dann begann ein kräftiges Wachstum von kriechenden Ranken, das bis zum ersten Herbstfrost anhielt. In der Kernzone war es flächendeckend und unterdrückte auch das Unkraut. Alles blieb kerngesund, keine Spur von Krankheit oder Problemen.
Sechs Meter langer Trieb
Am Ende waren die Triebe sagenhafte sechs Meter lang, das habe ich abgemessen. An Blattachseln bildeten sich Adventivwurzeln ähnlich wie bei Kürbisarten, so dass man die langen Triebe nur in der zweiten Hälfte woanders hin legen kann, wenn sie mal in die falsche Richtung gewachsen sind.

Im Spätsommer erhob sich am Pflanzort der wenig gepflegten Pflanzen eine Art Hügel. Die Knollen bzw. Wurzelverdickungen waren entstanden und drückten die Erde hoch. Stellenweise lugten die roten Rhizome auch hervor. Noch im Oktober hatte ich in der letzten warmen Woche den Eindruck, dass sie deutlich wachsen. In kühlerem Klima dürfte es kritisch werden, wenn die Vegetationszeit etwas kürzer ist. Als ich am 18.10. erntete, kamen über 3,5kg pro Pflanze aus der Erde. Davon drei richtig fette Wurzeln, die dickste mit 1,2kg. Der Anteil unbrauchbarer, verwachsener Rhizome war gering. Besonders interessant war, dass sich an den ersten Adventivwurzeln bereits wieder der Beginn roter Wurzeln gebildet hat, einige sogar in einer Grösse, die man verwenden kann.

Knollenansatz einer Pflanze, horstig in der Erde.
Diese Menge war angesichts des geringen Pflegeaufwandes beeindruckend, das habe ich mit Kartoffeln nie erreicht. Bei Sortenversuchen in Deutschland werden bei Süsskartoffeln bisher etwa die Hälfte der Hektarerträge von Kartoffeln erzielt. Eigentlich mehr, aber Süsskartoffeln haben auch einen nicht mitgezählten deutlichen Anteil an nicht vermarktungsfähigen Wurzeln, die dünn oder verwachsen sind. Das war bei mir allerdings kaum der Fall.

Ernte einer einzigen Pflanze. Bis zu 30cm lange Knollen,
die über 1kg schwer werden.
Da ich die Triebe zwischen Paprika- und Auberginenpflanzen wachsen liess, konnte ich damit den Raum im Garten gut ausnutzen. Die Pflanzen waren nicht einmal voll besonnt, standen aber sehr warm und trocken. In der Küche lassen sich die Knollen gut verwenden, der süssliche Geschmack ist nicht penetrant. Süsskartoffelrezepte gibt es wie Sand am Meer. Mittlerweile kann man schon Tiefkühlpommes aus Süsskartoffeln und diverse Fertigprodukte daraus kaufen. Die Einführung auf allen Ebenen gelang aussergewöhnlich schnell.

Die grössten Nachteile

Seitentrieb an Blattachsel
Als Schwierigkeiten habe ich empfunden:
  • Die Vermehrung ist viel zu kompliziert und zeitaufwendig. Gekaufte Jungpflanzen sind teuer. Man kann nicht einfach eine Knolle in den Boden stecken. Genauergesagt kann man schon, aber Süsskartoffeln werden stark von vielen Viren befallen, die direkt vegetativ entstehenden Pflanzen haben viele verwucherte und verdrehte Wurzeln, die Erträge sinken weiter ab. Man muss stattdessen im Januar im Haus eine lagerfähig gemacht Knolle (härten mit Wärme und Feuchtigkeit, siehe unten) austreiben lassen und warten, bis sich Triebe mit Adventivwurzeln bilden. Triebstücke mit Wurzeln schneidet man ab und setzt diese Sprosstecklinge im Mai in den Garten. Viel Aufwand, gerechtfertigt für Versuche aber auf Dauer für einen effizient geführten Nutzgarten nicht erfreulich.
    Samen bilden viele Sorten wenig bis gar nicht. Ein Kanadier zeigt die Vermehrung hier.
  • Die Kartoffel ist der Sieger im Lager und hält sich ohne grossen Aufwand sehr lange. Einfach die Kartoffelkiste in einen dunklen Keller stellen. Süsskartoffeln halten sich dagegen nur ein paar Wochen, faulen oder werden holzig. Gelagert werden sollte warm und trocken. Portugiesische Ware ist im tiefsten Winter lieferbar, die Haltbarkeit wird mit einer besonderen Behandlung verlängert, dazu unten mehr. In den Tropen lässt man sie im Boden, bis man sie braucht, hat aber dann mit allerlei Frassfeinden zu tun. Auch hierzulande sind die Knollen futsch, wenn Mäuse merken was da wächst.
  • Dicker Dinger frisch aus dem Boden
    Vielfalt sucht man in Deutschland vergeblich. Weltweit gibt es zwar massenhaft Sorten, aber für den äussersten nördlichen Anbaurand sind die Meisten ungeeignet. Nur wenige Sorten werden für Mitteleuropa empfohlen, in Versuchen des Gartenbauzentrums Bayern Süd-Ost in Dammkultur mit Mulchfolie auf Isar-Schwemmland haben sich "Beauregard" und "Orleans" als Sieger entpuppt. Probleme waren starker Drahtwurmbefall und Mäuse. Die Züchtung konzentriert sich natürlich nicht auf kältere Klimate, dort wird das Anbauvolumen immer begrenzt bleiben. Die israelische Firma Hishtil propagiert den Anbau in Europa stark und beliefert den Markt mit Jungpflanzen.
  • Bei einer so langen Kulturdauer bis in den Oktober hinein sind keine Nachkulturen mehr möglich. Meine Frühkartoffeln sind Anfang Juli erntereif, dann folgen andere Gemüsesorten auf dieser Fläche. Ich kann mindestens zweimal ernten, bei Süsskartoffeln bleibt das Beet die ganze Saision über belegt.

Die grössten Vorteile

Als wichtigste Pluspunkte empfinde ich:
Adventivwurzeln, die sich bereits wieder verdicken
  • Null Krankheiten, kaum Probleme. Das kann man nicht hoch genug einschätzen, nachdem auch dieses Jahr wieder drei Sorten meiner Kartoffeln braunfäulebefallene Knollen hatten, die dann faulten. Dann die Sorte "Cherie", die bereits im Juni kompletten Laubverlust durch Alternaria erlitt und damit auch die Ernte lächerlich klein ausfiel. Die beiden Jahre vorher hatte ich Hitzeschäden am Laub bei manchen Sorten, Trockenschäden, Schäden wegen heftigem Kartoffelkäferbefall und ziemliche Probleme mit Kartoffelschorf. Die Süsskartoffeln wuchsen einfach nur los und hatten noch im Oktober gesundes Laub. Das übrigens ebenfalls essbar sein soll.
  • Wenn die Erträge so gut bleiben wie dieses Jahr, liegen sie im Nutzgarten bei unserem warmen, trockenen aber luftfeuchten Klima wesentlich höher wie bei Kartoffeln. Das mag im kommerziellen Anbau mit viel Pflanzenschutz und geeigneten Böden anders aussehen, aber in meinem Hobbyanbau auf schwierigem Boden sind die Kartoffelerträge generell niedrig, der Anbauaufwand jedoch erschreckend hoch. Weder Boden noch Klima behagen ihnen. Die ökologische Anbaubreite von Kartoffeln ist tatsächlich geringer wie es den Anschein hat. In zwei von drei Jahren hätte man zum Beispiel Kartoffeln bewässern müssen, damit sie brauchbare Erträge liefern. Ihre Erträge steigen nicht mehr, sondern sinken sogar ab, weil lange Trockenperioden zur Normalität geworden sind. Süsskartoffeln sind keine Wunderpflanzen für die Wüste, aber bringen bei mehr Hitze und mehr Trockenheit noch länger Erträge wie Kartoffeln.
  • Um die Pflanzstelle herum wachsen Süsskartoffeln dicht, weiter entfernt davon kann man die Triebe so führen, wie man will. Sie eigenen sich ideal für einen Garten, den man in der Fläche statt in der Zeit voll ausnutzen will. Am Weg entlang, in lichtere Kulturen hinein, hängend aus dem Hochbeet heraus - das ist alles kein Problem bei Süsskartoffeln.

Vergleich gekauft - Eigenanbau

Innenstruktur der halbierten Knolle
Im Ofen geschmort habe ich sie mit Süsskartoffeln derselben Sorte aus Portugal (auch dort ist "Beauregard" Exportstandard) verglichen. Die aus Portugal waren eindeutig süsser, wurden auch schneller weicher. Die Eigenen hatten mehr andere Aromen und zeigten beim aufschneiden nur noch wenig mehr Strukturen aus Siebröhren und Milchröhren. Sie sind also auch bei mir so gut wie vollreif geworden, Aromabildung sehr gut, Zuckereinlagerung nicht ganz auf Portugal-Niveau. Die Süsse ist Geschmackssache: Man kann sie als penetrant und aromaüberdeckend empfinden oder als leckere Abwechslung. Wer es ein bisschen weniger süss mag, kann dieses Ergebnis mit Eigenanbau erreichen.

Geschmorte Stücke im Ofen. Dazu Kräuterquark.
Die Knollen sind übrigens roh essbar, das soll sogar gesund sein. Andere behaupten, sie würden Blausäure und Oxalsäure enthalten, aber relevante Mengen davon kann ich mir bei den heutigen Zuchtsorten schwer vorstellen. Die Konsistenz ist frisch geerntet ziemlich genau die einer gelben Rübe / Möhre, aber Aroma und Süsse fehlen und lassen sich beim besten Willen nicht herausschmecken, das entwickelt sich erst gekocht. Ich mag sie roh nicht - zu neutral, zu langweilig.

Die Sache mit der Haltbarkeit

Milchiger Pflanzensaft. Vorsicht, klebrig.
In unserem Klima mit dem langen Winter sind Methoden zu Haltbarmachung wichtig. Dafür gibt es bei Süsskartoffeln einen Trick, der auch für gehandelte Ware verwendet wird: Man härtet die Schale. Dazu wird sie für eine Woche bei hoher Luftfeuchtigkeit bei 30°C gelagert, dann kühl und trocken. Die Schale härtet sich, auch an Verletzungen. Angeblich sind sie dann monatelang haltbar, aber das muss ich erst noch im Versuch selber bewiesen bekommen. Richtig praktikabel ist die Methode nicht, konstant 30° bei 90% Luftfeuchtigkeit lässt sich für eine Kiste Süsskartoffeln nicht so leicht für eine Woche herstellen, Klimaräume sind selten in Wohnungen. Eine beheizte Kochkiste für kleinere Mengen habe ich aber und mit einer Schale Wasser drin müsste auch die Feuchtigkeit passen.

Zum Schluss noch ein Rat für die Ernte: Vorsicht, die Rhizome brechen erstaunlich leicht. Sie sondern dann einen weissen, klebrigen Milchsaft ab, den man an den Händen schwer wieder los wird. Dafür duftet er angenehm. Nach der Ernte die Wurzeln antrockenen, restliche Erde abstreifen, warm, dunkel und trocken lagern.

Beitrag zu Erfahrungen mit mehr Sorten 2018: https://gartenzone.blogspot.com/2018/10/susskartoffelernte-vier-sorten-und-zu.html
Noch mehr Sorten 2019: https://gartenzone.blogspot.com/2019/10/susskartoffeln-neue-sorten.html