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Montag, 7. Februar 2022

Schon wieder Quitten

Quitte, Kinderzeichnung

Winter ists, da spricht der Nutzgärtner gerne über Rezepte, übers haltbar machen und aufbewahren, über Bäume pflanzen, über verarbeiten. 

Dann mal los: Zum unserem Verarbeitungsobst Nr. 1 sind über viele Jahre hinweg die Quitten aufgestiegen. Erstens, weil sie in den vergangenen Jahren mit extremen Wetterunbilden am zuverlässigsten mit hoher Qualität getragen haben und wichtigstens, weil sie als Obst für die Verarbeitung einfach unschlagbar sind. Auch diesen Winter gibts kaum einen Tag ohne Quittenprodukte aus der eigenen Ernte. Einiges davon mag mittlerweile altbekannt klingen, es lohnt sich aber die Erfahrungen damit trotzdem noch einmal anzusehen, denn die Praxis und einige Details stehen in keiner Rezeptsammlung.

Quittensaft

Quittensaftlager mit Glasflaschen
 
Zur Quittensaftherstellung existiert schon ein ausführlicher Beitrag. Die spätere Lagerung und Verwendung des Safts aus der Obstpresse bringt aber einige Spätfolgen und Eigenheiten mit sich. Eine davon fällt nicht in allen Jahren auf, sieht aber drastisch aus: Im Quittensaft bildet sich nach etwas Lagerung eine oder mehrere klare dünne Häute. Mit der Zeit sinken sie zu Boden. Von aussen sieht es aus wie Schimmel, der Beginn einer Essigmutterbildung oder Hefen. Probiert man sie, stellt man aber schnell fest, dass der Saft einwandfrei und die Haut geschmacksneutral ist. Sie lässt sich leicht zerreissen. Also keine Panik. Die Haut bildet sich in den Jahren stärker und häufiger, in denen die Quitten etwas weniger reif geworden sind. Und sie bildet sich auch dann nicht in allen Flaschen. Viele schreiben über Quittensaft, aber ganz offensichtlich macht in Wirklichkeit kaum jemand den Saft wirklich selbst sondern schreibt nur ab, sonst würde auch über diese Häute berichtet. Vermutlich spielen Pektine oder andere Oligosaccharide eine Rolle bei ihrer Bildung. Kommerzielle Säfte haben sie nicht, aber dort wird auch viel Technik angewendet die wir nicht haben, etwa Feinfiltration, Gerbstoffreduktion, Pektinasezugabe, Lagerung im Kühltank vor Abüllung.
Hautbildung auf abgefülltem gelagerten Quittensaft
Abgeschöpft

Diese Haut ist auch der Grund, wieso man seinen Quittensaft nicht in den Bag-in-Box Packungen abfüllen sollte, die Mostereien fast überall anbieten. Die Haut verstopft oft den Zapfhahn, bevor die Packung leer ist. Dieses Behältnis ist auch noch aus einem anderem Grund für Quitten ungeeignet. Denn Quittenaroma ist äusserst flüchtig, während BiB nur Folien sind, die nicht so gut gasdicht sind wie Glasverpackungen. Das führt zu noch schnellerem Aromaabbau wie ihn Quitten ohnehin schon immer zu früh erleiden. Der Saft schmeckt zwar noch gut, ähnelt dann aber immer mehr einem leichten Apfelsaft mit etwas Gerbstoffen, das quittenspezifische Aromenspektrum wird schnell schwächer. In Glas funktioniert die Lagerung besser und die Geschmackskurve geht langsamer nach unten. 

Deswegen bringt es auch nichts, mit abgefülltem Quittensaft nach Lagerung noch einmal Quittengelee zu machen. Das spezifische Aroma ist nicht mehr da. Nur einmal den ganz frischen Saft erhitzt, dann mit Zucker konserviert, im Glas abgefüllt - das bringt mehr Qualität fürs Gelee.

Quittenmost

Quittenmost - serviert

Wird sehr unterschätzt. Viele Nachteile von Apfelgärmost hat Quittengärmost nicht. Wir haben jahrelang auch ein Fässchen Apfelmost gemacht, aber richtig beliebt war er nicht. Quittenmost jedoch:

Frisch gezapft
  • enthält sehr angenehme Gerbstoffe. Nicht zu viel, nicht mehr wie ein guter Rotwein. Aber das macht den Most herrlich geniessbar, gibt eine Komponente dazu die sonst nur Wein hat. Er wird dadurch auch besser verträglich und passt zu viel mehr Gerichten. Die Gerbstoffe regen an, erhöhen den Trinkspass. Man trinkt auch automatisch in kleineren Schlucken - wie Wein.
  • ist bei stärkerem Aroma alkoholärmer. Mostapfelsorten gibt es immer weniger, ausserdem sind alle Sorten die letzten Jahre aufgrund des veränderten Klimas zuckerreicher geworden, meiner Ansicht nach für Most zu zuckerreich. Der Apfelmost hatte dann durchgegoren 8-11% Alkohol. Davon kann man kaum ein Glas trinken oder man muss ihn verdünnen. Das macht ihn geschmacklich aber nicht besser, sondern verdünnt auch Aroma und Säuren. Quitte liegt trotz viel Aroma dagegen meist deutlich darunter, etwa auf dem Alkoholniveau von Exportbier. Davon kann man auch ein Bierglas den Abend über süffeln, ohne trunken umzufallen.
  • hat eine leichte fruchtige Süsse, die nicht von Restzucker kommt, sondern im Quittenaroma versteckt ist.
  • ist früher trinkbar. Er wirkt nach der Gärung früher rund und sauber, Apfelmost sollte man hingegen erst nach Weihnachten anzapfen. Der entwickelt offenbar mehr Gärnebenprodukte.
Quittenmost schwefeln

Die Herstellung entspricht der von Apfelmost. Empfehlenswert ist aber, gut auf die Gärtemperatur zu achten. Im warmen Zimmer vergoren verschwindet das Quittenaroma sehr schnell. Sinnvoll ist, im kühleren Keller zu vergären und dafür eine vorher vermehrte Kaltgärhefe zuzusetzen. Sobald der Zucker vergoren ist, den Most früh von der Hefe abziehen und mit aufgelöstem 1g Kaliumpyrosulfit pro 10 Liter leicht schwefeln, diesen Oxydationsschutz benötigt Quittenmost dringender wie Apfelmost. Er klärt sich aufgrund der Gerbstoffe oft nicht so deutlich wie Apfelmost und bleibt trübe, was aber nicht geschmacklich stört, höchstens optisch.

Quittenspeck

Quittenspeck Stücke

Auch Quittenbrot genannt, eine herrliche Süssigkeit, die aus Quittenmus besteht, das mit Zucker vermischt und dann getrocknet wird, haltbar bis zur nächsten Ernte. Aber Vorsicht vor zu viel Geiz und Faulheit. Die einfachste Methode zur Herstellung: Quitten in Stücke schneiden, weich kochen, warm durch die Passiermühle drehen. Zucker dazu - je nach Geschmack und natürlichem Zuckergehalt der Quitten zwischen 10 und 40% des Musgewichts, auf ein Blech mit Backpapier streichen, trocknen bei 50°C im Ofen oder besser in einem Lebensmitteltrockner, dauert 1-2 Tage. In Stücke schneiden, ist monatelang haltbar.

Das bringt aber Probleme mit sich, die hohe Qualität verhindern: 

  1. Es wird in Wasser gekocht, das dann entfernt wird, ansonsten würde das Mus zu flüssig. Damit kocht man Aroma und wasserlösliche Inhaltsstoffe aus den Quitten heraus und entfernt alles anschliessend. Einige Leute nehmen das Kochwasser für Quittengelee. Schön. Aber: Höhere Menge, weniger Aroma.
  2. Quitten haben vor allem ums Kernhaus herum oft stärkere Steinzellenbildung. Die wandern mit ins Mus und machen den Quittenspeck griessig-sandig
  3. Ohne reduktiv wirkende Inhaltsstoffe ("Antioxidantien") folgt im Verlauf der Lagerung eine schnellere Bräunung und Aromaverlust der empfindlichen Quittenaromatik. Kommerzielle Produkte enthalten deshalb zusätzlich Säure und Natriumbenzoat.

Damit ist klar: Für Quittenspeck der edlen Sorte sollte man das Kernhaus mitsamt einem Anteil Fruchtfleisch drumherum ausschneiden und man sollte nicht in Wasser, sondern in Dampf kochen. Schälen der Früchte wäre dagegen negativ, direkt unter der Schale sind am meisten wertgebende Inhaltsstoffe. Besser nur die Schale waschen. Ganz steinzellenfrei wird der Quittenspeck nie, aber weniger ist besser. Und auch die Lagerfähigkeit sollte man nicht ignorieren. Zitronensaft ist mehr Geschmackssache (1 Zitrone pro Kilo Quitten), aber ein Zusatz von Ascorbinsäure (Vitamin C) verbessert die Stabilität des Produkts. Man kann auch die unbedenkliche, in Ebereschenbeeren natürlich vorkommende Sorbinsäure nehmen, wie sie auch in Gelierzucker fast immer enthalten ist. Einige Leute verwenden sowieso Gelierzucker für Quittenspeck - und haben damit unwissentlich auch Sorbinsäure mit an Bord.

Quittengelee

Etikett Quittengelee - mit Spezialzutaten

Hat einen Aufschwung genommen. Ist unsere Hauptgeleefruchtsorte. Ein Top-Brotbelag und auch für Joghurt und Dessert beliebt. Rezepte dafür sind einfach und es gibt sie wie Sand am Meer. Frischen rohen Quitten-Press-Saft mit Geliermittel und 25-35% Zucker kochen, abfüllen in Twist-Off-Gläser. Aufgefallen ist mir, dass wirklich ausgereifte Quitten oft gar nicht mal so viel Säure haben, das Gelee deswegen auch manchmal nicht gut geliert. Säurezugabe ist dann sinnvoll, typischerweise nimmt man dafür Zitronensaft - aber auch Agrest ergibt ein sehr schönes Gelee.

Zierquittensaft - gelb wie Orangensaft

Eingebürgert hat sich bei uns jedoch die Zugabe von Zierquittensaft. Choenomeles ist zwar nicht direkt verwandt mit Quitten, aber die Aromen harmonieren sehr gut, ihr Saft ist hocharomatisch und sauer, das ersetzt andere Säurezugaben. Es peppt bei 10-20% Zierquittensaftzusatz das Quittengelee insgesamt auf und bringt eine blumige, eigene Note hinein. Die in Rezepten gerne vorgeschlagenen Zugaben wie Zimt oder Nelken wiederholen dagegen nur sowieso schon oft angewendete altbekannte Gewürze.

 

Quittengelee im Marmeladenlager


Flasche Quittensaft mit viel Haut

Quittensaft mit abgesunkener Haut und Bodensatz

Samstag, 9. Oktober 2021

Sugar, Sugar

"Sugar, Sugar" ist eine Hymne der Bubblegum-Musik betitelt. Gesungen in "The Archie Comedy Hour" von CBS-TV, https://www.youtube.com/watch?v=h9nE2spOw_o - der erfolgreichste Hit des Jahres 1969:

 

Das ist Lied ist so künstlich wie raffinierter Kristallzucker, die Band gab es gar nicht, es war eine Studioproduktion aus der Retorte mit einzeln engagierten Musikern. 

Um Zucker geht es sehr oft. Am Zucker hängts, am Zucker drängts. Auch beim Obst dreht sich immer sehr viel, zuweilen auch alles um den Zucker - jedes Jahr von Neuem. Die Süsse des Obsts ist entscheidend, saure Äpfel und Birnen sind kein Hit. Von einigen Obstsorten messe ich regelmässig den Zuckergehalt, das sagt viel aus über den Reifezustand, wie das Sommerwetter gelaufen ist und er hilft manchmal, unklare Sortenzuweisungen zu klären. Warme Jahre mit langem Herbst und genug Feuchtigkeit, aber keine Pilzkrankheiten sind das Optimum beim Kernobst, sie bringen viel Zucker in die Früchte. Sugar, sugar. Auch dieses Jahr habe ich einige Sorten gemessen.

Wie messen?

Refraktometer für Zuckerbestimmung von Früchten

Anfangs nutzte ich ein Aerometer, das ist eine Spindel aus Glas, die man bei 20°C im Saft schwimmen lässt. Je nach dem wie tief sie eintaucht, kann man damit das Mostgewicht des Safts messen und daraus den Zuckergehalt ableiten. Je mehr Zucker gelöst ist, desto schwerer der Saft. Diese alte und aufwendige Methode nutzt keiner mehr, seit Refraktometer sehr billig geworden sind.

Ein Refraktometer ist ein optisches Gerät, das Zuckergehalte aufgrund der Lichtbrechung messen kann. Ein Tropfen Saft reicht, der kommt aufs Objektiv und dann hält man das Gerät ins Licht. 

Skalen Brix, Öchsle, KMW/Babo
im Refraktometer

Zucker im Saft verändert die Lichtbrechung, was sich auf einer Skala abtragen lässt. Dort ist dann der Zuckergehalt abzulesen, die gebräuchlichsten Einheiten sind Öchsle, Brix, KMW (Klosterneuburger Mostwaage), Beaume. Grad Öchsle sind in Deutschland für Most sehr verbreitet und immer mehr auch Grad Brix. Da in englischsprachigen Ländern Brix verwendet wird, setzt sich diese Einheit durch, wie alles von dort, ob sinnvoll oder nicht. Öchsle sagt aus, wieviel Gramm der Liter Most wegen des Zuckergehalts mehr wiegt wie der Liter Wasser. Brix macht Aussagen über die Flüssigkeitsdichte von Saccharose in Wasser. Zehn Grad Bix beschreiben eine Dichte wie sie zehn Gramm Saccharose in 100g Saccharose-Wasser-Lösung machen, also einer zehnprozentigen Saccharose-Lösung. Der Zuckergehalt ist mit diesen Einheiten nur ungefähr bestimmbar, weil auch andere Inhaltsstoffe die Messung beeinflussen, auch die Temperatur, die genauen Arten des Zuckers - Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide? Egal wie die Skala aussieht, relative Aussagen lassen sich damit recht gut machen.

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Messung am 9.10.2021 in Grad Öchsle, Umrechnung in Brix siehe hier.

Brettacher, Schnitz entnommen zur
Zuckerbestimmung

Äpfel

  • 64° OE Roter von Simonffi. Essreif, Rosenaroma, herrlicher Herbstapfel.
  • 58° OE Rebella. Schon etwas abgebaut, mehrfachresistenter Herbstapfel.
  • 65-70° OE. Zabergäu Renette. Reift etwas folgernd. Lagerfähige Renette, pflückreif aber muss noch liegen.
  • 49° OE Glockenapfel. Ausgesprochen sauer. Wirkt unreif trotz gelber Fruchtschale. Brr.
  • 56° OE Bionda Patricia. Sehr saftig, essreif.
  • 72° OE Gala. Vollsüss, vollsaftig. Heftig. Viel Aroma, essreif.
  • 66° OE Schöner von Boskoop. Fast essbar. Eine rotschalige Mutante. Sortentypisch. Starker Behang.
  • 71° OE Parkers Pepping. Hat noch viel Säure, muss lagern. Fruchtfleisch sämig.
  • 96° OE Pilot. Verstehe ich nicht. Mehrfache Messungen, der Wert stimmt. Direkt am Kernhaus hatte das Fruchtfleisch auch 92° OE. Sorte stimmt, alles typisch. Wieso hat der so viel Zucker?
  • 55° OE Idared. Der Schneewittchenapfel, aussen rot, innen schneeweiss. Essreif, jetzt gut, kann aber noch hängen.
  • 65° OE Jonagold. Immer noch Hauptmarktsorte, süss, essreif, Golden Delicious-Würze. Verursacht bei mir Allergie, wunden Mund - wie der Golden, eine Elternsorte.
  • 66° OE Pomgold. Säulenbaum, schwacher Behang dieses Jahr, reif. Bei starkem Behang viel weniger Zucker.
  • 66° OE Orleans Renette. Fruchtfleisch vom Boskoop-Typ, aber mehr Aroma, schon essbar.
  • 90° OE Red Obelisk Zierapfel. Bröseliges Fruchtfleisch, wenig Saft, bitter.
  • 76° OE Goldparmäne. Reif, edel, letzter Baum, die Sorte stirbt an Rindenbrand.
  • 54° OE Kiku, ein Fuji-Klon. Geklaut von der benachbarten Plantage. Süsslich-leer, Kernhaus glasig. Verursacht Allergische Reaktion im Mund.
  • 61° OE Brettacher. Muss noch lagern, die spritzige Langlagersorte, meine Hauptsorte.

Birnen

  • 57° OE Boscs Flaschenbirne. Essreif, gross, etwas langweilig. Zimtfarbene Berostung.
  • 75° OE Madame Verte. Noch viele unreife Aromen. Lagerbirne.
  • 43° OE Conference. Früher Blattverlust, nicht gesund.
  • 56° OE Josefine von Mechelen. Lagersorte, aber durchaus schon essbar, Optik aber sehr unreif.
  • 80° OE Gräfin von Paris. Sehr süss, aber noch fest.

Quitten

  • 60° OE Unbekannte Apfelquitte. Vielleicht ein Sämlingsbaum. Quitten reissen leicht auf.
  • 56° OE Riesenquitte von Lescovac. Hat noch deutlich Gerbstoffe, Überbehang.
  • 68° OE Zitronenquitte. Lecker, roh essbar.
  • 69° OE Cydopom. Nicht ganz reif, noch viel Säure aber nicht mehr viel Gerbstoffe.
  • 59° OE Cydora. Sollte noch hängen, nicht ganz reif.

Alle vorhandenen Sorten sind es nicht. Einige Äpfel von Jungbäumen mit wenig Ernte wie z.B. der rote Bellefleur, Zuccalmaglio fehlen, sehr späte Birnen auch, Sommersorten wie der Gravensteiner, Piros, Schöner von Bath, Klarapfel, Georg Caves sowieso und auch einige Quitten.

Fazit

Äpfel Sorte Pilot

Die Überraschungen sind die ungewöhnlich hohen Zuckergehalte des Apfels "Pilot", eine DDR-Züchtung aus Pillnitz von 1962. Die Sorte hat sehr zähes und hartes Fruchtfleisch, lässt sich aber sehr lange lagern und schmeckt ab etwa März, da wird er weicher und gefälliger. Überraschend auch die Zitronenquitte (Limon Ayvasi), die sogar roh ganz gut kommt und auch viel Zucker hat. Die Früchte waren allerdings alle etwas deformiert, vielleicht eine Frostfolge, so wie Frostzungen bei Äpfeln. Auch Cydopom schaffte gute Werte, der schwache Behang begünstigte das.

Andere Sorten lagen fast alle etwas besser wie im langjährigen Mittel Dank ausnahmsweise genug Niederschlägen und warmen aber nicht heissen Temperaturen. Die Lubera-Züchtung Bionda Patricia enttäuschte etwas, für einen Lagerapfel etwas leichte Früchte mit nicht viel Zucker. Sorten mit wenig Behang hatten noch zusätzlich Zucker, wenn der Baum wenig Früchte versorgen muss werden sie süsser.

Zuckergehalte sagen nichts über Reife, Lagerfähigkeit, Aroma aus. Der Süsseindruck wird nicht nur von Zucker, sondern vor allem vom Säuregehalt bestimmt. Da Säuren aber mit der Lagerdauer abgebaut werden, werden zuckerreiche Äpfel schliesslich süss bis sehr süss. Und haben viel Energie eingelagert, von der sie zehren können. Die Äpfel leben ja nach der Ernte weiter und veratmen den Zucker. Oder wir veratmen ihn, wenn wir ihn essen.

Auch nächstes Jahr wird es wieder heissen "sugar, sugar" - aber für den Nutzgärtner nicht für die Suche nach Bonbons aus Rübenzucker, sondern zur Skala des Refraktometers. Und küssen darf man die prallen, rotbackigen Äpfel auch. 

Nachtrag

Von einigen noch am Baum hängenden Früchten habe ich zehn Tage später nochmal den Zuckergehalt gemessen: Parkers Pepping lag jetzt bei 84° OE und entwickelte mehr Aroma; Zabergäu Renette 77° OE, Cydora liegt jetzt deutlich über 62°. Im ruhigen Herbstwetter wurde weiter kräftig Zucker eingelagert.

Montag, 25. November 2019

Mispeln, mespilus germanicus - letzte Ernte im Jahr

Reife Mispeln Sorte "Metzer"
Vor ein paar Tagen habe ich wie jedes Jahr das letzte Obst der Obstwiese geerntet, die Mispeln. Nun ist es vorbei, noch später im Jahr gibt es nichts mehr zu holen. Aus ists.

Laubkleid und Blüte im Mai
Für viele sind sie eine völlig unbekannte Obstart und auch der Baum kann nicht zugeordnet werden, weil er "exotisch" aussieht. Andere verwechseln sie mit der nicht verwandten Obstart Nespoli, Loquat, japanische Wollmispel, Eriobotrya japonica. Die sieht ganz anders aus, gelborange und saftig, kommt aus Ostasien und wächst nicht in Deutschland auf Obstwiesen, weil sie nicht genügend frosthart ist. Ab und zu taucht sie aber im Supermarkt auf, importiert aus Spanien oder Italien. Deutsche Mispeln laufen eher unter Wildobst und sind nicht im Laden zu kaufen. Die dauernde Verschwurbelung der beiden Obstarten haben wir dem schwedischen Botaniker Thunberg zu verdanken, der die Loquat 1780 kennenlernte und sie zu den Mispeln stellte. Der Fehler wurde schon ein paar Jahre später korrigiert, aber da war der Schaden schon passiert, in Europa hatte sich gelbe Loquat verbal bereits mit Mispeln verbunden.

Mispelernte
Auch der lateinische Namen "mespilus germanicus" der hier wachsenden Mispel ist unglücklich gewählt, die Mispel existiert zwar schon sehr lange in Deutschland, aber heimisch ist sie ganz sicher nicht. Dafür ist sie zu wenig frosthart, unter -20°C beginnen Schäden, was heute kein grosses Thema mehr ist, aber früher Richtung Osten durchaus anbaubegrenzend war, ähnlich wie bei der Quitte. Ihre grosse Zeit hatte sie in Deutschland im Mittelalter. Römer und Griechen kannten sie bereits in der Antike, sie wurde aber noch früher in Kultur genommen, vermutlich in Südosteuropa oder Westasien um 1000 v. Chr.

Älterer Mispelbaum, Ludwigsburg
Heute ist sie ziemlich verschwunden und hat Exotenstatus. Gepflanzt habe ich schon viele Bäume, aktuell habe ich drei Sorten: Die Metzer Mispel, Nottingham und Macrocarpa. Nottingham bekommt sehr grosse Früchte, wenn sie älter wird und gedeiht auch in kühlen Lagen, braucht aber mehr Wasser und besseren Boden. Die Metzer Mispel hat mittelgrosse Früchte und trägt zuverlässig am Besten, von ihr ernte ich jährlich einige Kilo. Sorten gibts es noch viele, zum Beispiel die Kurpfalzmispel, Westerveld, Royal, die kernlose aber kleine Apyrena, Holländische Großfrüchtige, Delica de Vannes, Breadse Reus, Monstrueuse d'Evreinoff, Ungarische... doch Vorsicht! Sie lassen sich nicht immer unterscheiden, Verwechslungen durch die Vermehrer und Baumschulen sind an der Tagesordnung. Das beste Merkmal ist die Fruchtform. Sortenechtheit scheint wie bei einigen anderen Obstsorten eher die Ausnahme wie die Regel zu sein. Nötig wären eigene Mispelabteilungen in Reiserschnittgärten, in denen erwiesen korrekt bezeichnete Sorten vermehrt und virusfrei gemacht werden.

Obstart für den Kimawandel


Knospen und Blätter
Sie hat mehrere herausragende Eigenschaften, für mich sehr wichtig ist ihre Fähigkeit, sich auf trockenheissen Standorten mit schlechtem Boden wohlzufühlen. Zusammen mit der Quitte war sie die Obstart, die die letzten beiden Wüstenjahre gut überstanden hat und dabei noch fruchtete, während die Äpfel daneben wegen Wassermangel ab August am Baum verschrumpelten und faulten. Auch der flachgründige Boden am Hang macht ihr nichts aus, sie ist Herz- bis Flachwurzler und will gar nicht in die Tiefe wie beispielsweise Birnen. Sonnenbrand bekam sie nicht, sie scheint unverwüstlich.

Blüte, eben geöffnet
Andere gute Eigenschaften sind ihre schönen, grossen Blätter, die späten grosse weissen Blüten, der lange hängende Fruchtschmuck, eine kräftige Herbstfärbung. Wie die Quitte ist sie problemlos dekorativ genug, um auch einen Vorgarten zu verschönern. Für den kleinen Garten existieren schwächer wachsende Sorten wie "Ungarische". Auf der Wiese ist ihr Habitus eher breit, sie entwickelt gerne gebogene Äste, will man sie stärker in Form halten, ist etwas Schnitt- und Bindeaufwand nötig. An Wegrändern würde ich sie nicht pflanzen, die Äste hängen immer zu tief. Ansonsten benötigen gut entwickelte Bäume ähnlichen Lichtraum wie gut entwickelte Quitten. Es gibt Bäume, die mittels Schnitt sehr schön geführt sind und Blätterdächer wie bei Dachplatanen ergeben.

Grosse, weisse, späte Blüten
Als Nutzgärtner spielen für mich natürlich die Früchte eine grosse Rolle. Leicht verwertbar sind sie leider nicht, das ist auch der Grund für ihre geschwundene Popularität. Frisch vom Baum schmecken sie ungeniessbar gerbstoffbitter. Sie benötigen erst eine enzymatische Umwandlung, die durch Frost oder lange Lagerung initiiert wird. Das Fruchtinnere wird dadurch weich und süss, die Farbe wandelt sich von innen her von einem Weiss mit Grünschimmer zu Braun. Das sieht aus wie verdorben, ist es aber nicht, Aroma und Geschmack erreichen dann erst den Höhepunkt. Aber auch da gibt es Tricks, weiter unten mehr dazu.
Pollen, Narbe der Blüten

Wie schmeckt sie?


Fast reife Mispel halbiert
Im besten Zustand hat das weiche Mispelinnere kräftige Apfelaromen von Bratapfel und grünem Apfel. Das bestimmt sie. Nebenaromen sind ein zitroniger Ton, Reste der Gerbstoffe für dezente Herbstheit, süsse Eberesche sowie Obertöne von Feige. Der Zuckergehalt erreicht mit um die 80° OE (16,5 Brix) gute Werte, was natürlich schwanken kann. Grosse Unterschiede zwischen den Sorten konnte ich bisher nicht feststellen, ich kenne allerdings nur eine Untermenge der bekannten Sorten. Es soll eine noch süssere Variante ohne Gerbstoffe geben, die sich davon abhebt. Leute, die sie haben, merken aber keinen echten Unterschied, möglicherweise auch eine Sortenverwechselung oder Fehler in der Literatur, die sich fortpflanzen, so wie die falsche Einordnung der Loquat für ein paar Jahre nach 1780.

Was macht man mit der Frucht?


Der Nutzgärter will nicht nur Schönheit, sondern auch Nutzung. Bei Mispeln ist das nicht ganz so einfach wie bei Äpfeln, die man vom Baum holt und sofort reinbeisst. Das kann man bei Mispeln theoretisch zwar auch, aber dann zieht einem die Gerbstoffkeule den Mund unangenehm zusammen.
  • TK-gelagerte und auftauende Mispeln
    Am leckersten und einfachsten sind grosse Früchte, die kurz vor dem abfallen im November oder Oktober gepflückt werden und dann unverpackt einfach in ein Gefrierfach des Tiefkühlschranks geworfen werden. Nach zwei Tagen sind sie durchgefroren. Stück für Stück (auch erst nach Monaten) kann man sie wieder entnehmen, über Nacht auftauen lassen. Aufgetaut sind sie perfekt: Weich, süss, die Gerbstoffe abgebaut und das Fruchtfleisch bleibt zunächst hell, was die Kinder freut die braunes Inneres schnell als Verderb interpretieren. Man isst sie mit oder ohne die dünne Schale, zupft nur die Kelchblätter etwas weg, spuckt die fünf Kerne und die Schale nach weglutschen des cremigen Fruchtfleischs wieder aus. Auch sofortige weitere Verarbeitung geht jetzt, zum Beispiel durch eine Passiermühle drehen und das Fruchtpürree anders weiterverwenden - Kuchen, Eis, Desserts. Besonders lecker finde ich es als Dessert, mit etwas Apfelsaft lockerer gemacht, ein Schuss Obstwasser, Zucker, mit Sahne.
  • Im 19. Jahrhundert war die Mispel auch als Zutat für Apfelmost und später Apfelsaft gesucht. Die Früchte wanderten einfach ohne enzymatische Umsetzung mit in die Mostpresse bis zu einem Anteil von maximal 10%. Die Gerbstoffe klären den Saft, das Aroma wird reicher. Das kann man auch heute machen, wenn man Apfelsaft presst oder pressen lässt.
  • Mispeln sind für reinsortige Obstwässer tauglich. Edelbrände aus Mispeln zählen zu den teuren Vertretern dieser Getränke. Wer brennen will, muss eine Maische herstellen und die dann zu einem Brenner bringen. Dafür braucht man aber gute Ernten, brauchbare Mengen liegen bei hundert Litern Maische. Die Brennblasengrösse typischer Lohnbrenner liegt bei 120 Litern.
  • Gelagert und essreif. Schmeckt viel besser wie es aussieht.
    Noch hart vom Baum geerntet kann man sie auch einfach im Keller lagern. Irgendwann setzt die enzymatische Umsetzung ein und sie werden weich und essbar. Das kann ein paar Wochen oder wenige Monate dauern je nach Umgebungstemperatur (warm gelagert geht es schneller) und Erntezeitpunkt, bis dahin muss man öfter kontrollieren ob etwas vor der Zeit schimmelt. Sind sie weich und braun, müssen sie bald verbraucht werden, die nächste Stufe ist bereits der Verderb.
  • Auch harte, gerbstoffhaltige Früchte sind verwendbar. Man jagt sie durch eine Obstmühle oder die grobe Raspelscheibe einer Küchenmaschine, presst sie mit einer Presse oder einem billigen  Nylon-Handpressbeutel
    Mispeln, in der Obstmühle zu Maische verarbeitet
    aus und behandelt den noch sehr gerbstoffhaltigen Saft mit Flüssiggelatine. Die Gerbstoffe werden ausgefällt und sinken mit der Gelatine zum Boden ab. Nach einem Tag ruhiger Standzeit giesst man die klare obere Phase des Safts ab und verwendet sie für ein leckeres Fruchtgelee oder trinkt den Saft. Für Gelee ist der Saft mit Zitrone anzusäuern, sonst geliert er mit den Pektinen handelüblichen Gelierzuckers nicht. Saft aus dem Dampfkochtopf ist minderwertig. Aus braun gewordenen Früchten lässt sich kein Saft pressen, dafür müssen sie erst zerquetscht werden und die Maische mit geeigneten Pektinasen verflüssigt werden. Die Technik all dieser Methoden ähnelt der Verarbeitung anderer gerbstoffhaltiger Früchte, im Artikel über Schlehen bereits ausführlich beschrieben. Das Prinzip ist immer dasselbe.
Mispel "Nottingham" in einem Vorgarten, 600m Höhe

Montag, 27. November 2017

Pfirsiche ohne Kräuselkrankheit

Reifer Pfirsich am Baum - Neckarperle
Letzte Woche habe ich Pfirsichbäume behandelt. Ja, richtig gelesen: Im November. Nein, ich bin nicht des Wahnsinns fette Beute.

Doch der Reihe nach. Zu den Lieblingsobstarten auf unserer Obstwiese zählen Pfirsiche. Sie bieten für uns mehrere Vorteile:
  • Sie kommen auf halbwegs tauglichen Unterlagen (arteigen, z.B. "Rubira" oder noch besser die leider schwer zu bekommenden Bromptonpflaume) gut mit dem armen, trockenen Boden hier klar.
  • Es ist der einzige Obstbaum, dessen Blätter nicht von Frostspannern und Eulenraupen zerfressen werden.
  • Sie sind hitze- und windfester als die meisten anderen Obstgehölze.
  • Sie sind hier relativ ertragssicher, besser wie Aprikosen oder Reineclauden.
  • Die verschiedenen Sorten haben eine grosse Reifespreizung, so kann man von Anfang/Mitte Juli bis Ende September Pfirsiche essen.
  • Pfirsichblüten eines Wildlings
    der Schnitt ist einfach und schnell, zielt auf die Verjüngung des Baums ab. Zu viel schneiden kann man nicht, sie sind sehr schnittverträglich, treiben willig und stark wieder aus.
  • die rosa Blüten sind sehr hübsch. Pfirsichbäume sind auch als Zierpflanze wertvoll.
  • Jeder mag sie. Reife Pfirsiche vom Baum sind ein herrliches Obst. Ausgereift schlagen sie die niemals reif verkaufte spanische Supermarktware geschmacklich um Längen.
Nachteile gibts freilich auch:
  • der grösste Spielverderber ist die Kräuselkrankheit, wegen der Pfirsiche in Privatgärten verschwunden sind. Die Blätter kräuseln sich nach dem Austrieb, fallen dann ab. Der Baum leidet, zehrt aus und kümmert.
  • Gesundes Pfirsichblatt
    Die Früchte sind nicht ganz so universell verwendbar wie anderes Steinobst. Trocknung, Saft, Marmelade ist möglich aber nicht so gut wie bei anderen Steinobstarten, z.B. Aprikosen. Pfirsiche sind auch nicht haltbar und faulen sehr schnell. Pfirsichhälften selber einkochen ist nicht der Hit, geeignete Sorten und Verfahren haben wir nicht. Die in Dosen verkauften Pfirsichhälften sind von chinesischen "festkochenden" Sorten, hart geerntet, mit Hilfe von Natronlauge geschält und kräftig nachgezuckert.

 

Sorten und Probleme


Sorten habe ich bisher (in der Reihenfolge der Reifezeit) den frühen roten Ingelheimer, Fruteria, Neckarperle, Red Haven, Rome Star und mehrere Kernechte vom Vorgebirge. Früher hatte ich noch Benedicte und Revita. Sorten wie Red Haven schmecken wirklich gut, sind aber leider ziemlich anfällig gegen die Kräuselkrankheit. Der Anbau ist ohne Pflanzenschutz unmöglich. Weniger anfällige Sorten leiden je nach Lage auch, aber schwächer, leider sind es meist nicht gerade die Geschmackskönige. Immer wieder werden Sorten vorgestellt, die angeblich kaum anfällig sind. Bislang entpuppten die sich immer als trügerische Versprechungen und die übliche Baumschulprosa (um nicht zu sagen Verkaufslügen), aber vielleicht gelingt es einmal wirklich, resistente Sorten zu finden. Eine ausführliche Sortendiskussion kann man erst nach mehreren Jahren Erfahrung führen.

Kupfermittel - die alte Methode


Gegen Kräuselkrankheit vorzugehen ist im privaten Bereich fast unmöglich. Die Krankheit wird von einem Pilz verursacht, der sich Taphrina deformans nennt. Empfohlen wird jährlich wiederkehrende Behandlung mit einem Kupferpräparat, dafür muss der genaue Zeitpunkt des ersten Knospenschwellens im Spätwinter exakt abgepasst und dann der Baum behandelt werden. Kupferbrühe auf der Obstwiese zu verspritzen will ich jedoch vermeiden und ich kann ohnehin nicht ständig kontrollieren, wie weit die Knospen sind. Der Zeitpunkt kann je nach Wetterlage stark differieren. Kupfermittel sind mittlerweile für private Nutzgärtner verboten - im kommerziellen Bioanbau weiter erlaubt.

 

Die Biologie von Taphrina deformans


Junge Früchte an gesundem Baum
Doch es gibt eine wenig bekannte, einfachere und gesündere Methode, zudem ist sie viel preiswerter wie die bis zu ihrem Ende zu Wahnsinnspreisen verkauften ehemaligen Kupfermittel. Dazu muss man die Biologie des Pilzes genau kennen und ausnutzen. Von den befallenen Blättern her stösst Taphrina deformans bereits im Juni Sporen aus, die auf der Rinde des Baums und den Knospenschuppen landen, dort keimen und ein Sprossmyzel bilden. Das Myzel zerfällt im Spätwinter in viele Sprosszellen, die mit Wasser in die Knospen geschwemmt werden, dort die noch nicht entfalteten jungen Blätter durchwuchern. Das Blatt kräuselt vom Pilzbefall, neue Sporen entstehen, der Kreis schliesst sich.

Essig und Wasserstoffperoxid - die neue Methode


Sporen in der Knospe oder den bereits ausgekeimten Pilz anzugreifen ist schwer möglich. Angreifbar ist aber das offen wachsende Sprossmyzel. Die Blätter müssen dafür schon abgefallen sein (die sollte man nicht schädigen, solange sie noch assimilieren), was oft Ende Oktober stattfindet, in den letzten Jahren leider auch erst Anfang Dezember. Ab dann bis zur Infektion der Knospen kann man das Sprossmyzel des Pilzes erwischen. Aber mit was? Schon vor 20 Jahren wurde dafür mit diversen Fungiziden experimentiert. Ein Stoff wirkt besonders gut, lässt sich leicht beschaffen und einfach anwenden: Peroxyessigsäure oder kürzer Peressigsäure. Das ist ein Standard-Desinfektionmittel, das gut fungizid wirkt und auch in lebensmittelverarbeitenden Betrieben
Im Vollertrag - kein Blatt krank
verwendet wird. Für eine gute Wirkung genügt am Pfirsich bereits eine Konzentration von gut einem Promille, 0,1% bis 0,2% C2H4O3. Und sie lässt sich sehr einfach selbst herstellen. Dazu kippt man bei Zimmertemperatur einfach Essig (auf mindestens 3% oder mehr Säure verdünnt) und Wasserstoffperoxid (mit ebenfalls mindestens 3% Konzentration, das wird als Gurgellösung gegen entzündeten Hals verkauft oder im Drogeriemarkt für diverse Zwecke) zusammen. Die Konzentrationen müssen nicht exakt gleich sein, der Überschuss eines Stoffs schadet nicht. Ob der Essig ein billiger Branntweinessig oder verdünnte Essigessenz ist, spielt keine Rolle. Die Mischung lässt man ein paar Stunden bei Zimmertemperatur stehen und sprüht das Gemisch ohne weitere Lagerung sogleich an einem warmen (>10°C wenn möglich) und windstillen November- oder Dezemberwintertag rundum auf die kahlen Äste der Pfirsichbäume, an Verzweigungen und rauhen Rindenstellen besonders gründlich, auch die Knospen nicht vergessen. Mit nur einem Liter des Mittels kann man rund drei grosse bis fünf mittelgrosse Bäume behandeln. Fertig. Haltbar ist die Mischung nicht, also alles sofort verbrauchen. Die verwendete Spritze sollte säurefest sein. Anschliessend das Spritzgerät sauber auswaschen und mit etwas Wasser durchspülen.

Behandlung Pfirsich Ende November
Was passiert? Essigsäure und Wasserstoffperoxid reagieren miteinander, aber nur langsam und sehr unvollständig. Als Reaktionsprodukt bildet sich eine kleine Menge Peressigsäure. Aber bereits Essig und Wasserstoffperoxyd für sich allein wirken etwas fungizid, die Wirkung verstärkt sich durch die gebildete geringe Konzentration an Peressigsäure. Alle drei Stoffe zusammenkombiniert schaffen das Sprossmycel in der Regel. Einatmen sollte man den Sprühnebel natürlich nicht, Essig ist auch in niedriger Konzentration ätzend. Die "Rückstände" dieser Mischung sind aber vollkommen harmlos und überall natürlich vorhanden, alles zerfällt schnell in Wasser, Essig, Sauerstoff. Auch jede faulende Frucht auf der Wiese vergärt, woraus Alkohol und daraus Essig entsteht. Solche Stoffe sollten auch Leute mit ausgeprägter Panik vor der bösen "Chemie" überleben.

Kräuselkrankheit an unbehandelter Kontrollgruppe
Und auch die Pfirsiche überleben so, ich schaffe es damit zuverlässig, jedes Jahr gesunde Pfirsichbäume wachsen zu sehen und Pfirsiche zu ernten. Höchstens einzelne Blätter sind befallen - das schadet nicht. Aber ist es vielleicht doch Zufall, gute Lage, robuste Sorten? Nein, das wollte ich genauer wissen und selber ausprobieren. Habe also in einem Versuch Bäume behandelt und Andere (natürlich sortengleiche und in ähnlicher Lage wachsend) Bäume nicht, denn von einer Sorte habe ich mehrere Bäume. Siehe da: Die unbehandelten Bäume kräuselten tatsächlich deutlich, die behandelten fast nicht.

Bereits in der Zeitschrift 'Obstbau' 8/2004: "Taphrina deformans - Neue Wege zur Bekämpfung" wurde die Methode mit Peressigsäure genau beschrieben. Im beschriebenen Versuch wurde das kommerzielle Desinfektionsprodukt "Wofasteril" auf 1% verdünnt verwendet. Peressigsäure ist wirksamer Bestandteil dieses und diverser anderer Desinfektionsmittel und vielfach erhältlich, häufig verwendet in der Tierhaltung, in der Lebensmittelproduktion, in Schwimmbädern und andere Bereichen. In solchen Produkten ist sie aber stabilisiert und meist sind weitere Hilfsstoffe enthalten. Das kann man ausprobieren, aber auch wenn es damit ebenfalls "funktioniert" ist deshalb eher Vorsicht angebracht, solche Mittel zu kaufen und verdünnt im Garten auszubringen.

Ach ja: Da in Deutschland alles verboten ist, was nicht von einem teuer bezahlten Juristen ausdrücklich erlaubt ist, ist die Anwendung solcher Mittel natürlich verboten. Es gibt auch keine Peressigsäurepräparate, die als Pflanzenschutzmittel zugelassen sind. Etwas legaler klingt es, alles "die Anwendung eines Hausmittels zur Pflanzenstärkung" zu nennen. Aber auch keine Pflanzenstärkungsmittel mit Peressigsäure sind in der offiziellen Liste des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit aufgeführt. Bekannt ist alles jedoch schon lange: Jemand hat die Anwendung von Peressigsäure an Pflanzen 2002 als Patent angemeldet, das aber schon 2009 erloschen ist, weil die Gebühren dafür nicht mehr bezahlt wurden. Es brachte wohl keine Einnahmen.

Bleibt die Frage, wie das eigentlich in den Haupt-Anbauländern für Pfirsiche läuft? Welche Mittel werden dort verwendet, was passiert dort? Die Früchte der intensiven Kulturen, die bei uns im Supermarkt und auf dem Teller landen sind ohnehin mit einer Vielzahl von Mitteln, darunter auch massivem Einsatz von Fungiziden (u.a. gegen Monilia) behandelt, dort ist der Pilz meist von vornherein schachmatt. Ausserhalb davon in privaten Gärten werden jedoch am Mittelmeer Pfirsiche ebenso von Taphrina befallen. Der Pilz selbst verträgt Hitze aber nicht gut und das Sprossmyzel ist nicht zu sofortiger Reinfektion in der Lage. Somit treibt der unbehandelte Baum nach dem ersten Befall sofort wieder gesund aus. Die Vegetationszeit in Mittelmeerklima ist so lange, dass ein erster teilweiser Blattverlust nicht zu einer wesentlichen Schwächung des Baums führt. Die Krankheit tritt also ebenso auf, ist aber in der Praxis kein Spielverderber-Problem. Und für uns jetzt hoffentlich auch nicht mehr.