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Montag, 6. November 2017

Chinakohl nur noch im Herbst

Chinakohl ist eines der vielen Beispiele für Gemüse, für deren Anbau man besser seine alten Gartenbücher verbrennt und diverse Anbauberater in die Wüste schickt. Oder als Indikator für obsolete Ansichten und Ahnungslosigkeit nimmt. In den Büchern steht vielfach noch drin, er wäre leichter wie anderer Kohl anzubauen, schnellwüchsig und einfach. Das gilt nur noch in kühlmilden, feuchten Gegenden, aber auch dann nicht mehr ohne viel Pflanzenschutz. Ansonsten hat es sich ins radikale Gegenteil verkehrt. Anbauversuche in Österreich in trockenem Klima endeten trotz kräftigem Insektizideinsatz mit Totalschaden, für Anbau ausserhalb der Steiermark wird er dort gar nicht mehr empfohlen. Die Anbauflächen in Niederösterreich gehen aufgrund der Folgen steigender Tageshöchsttemperaturen laufend zurück, auch in Deutschland sind sie zurückgegangen.

Kohlerdflohschaden an Chinakohl

Nichts geht mehr in Frühling und Sommer

So sind auch meine Erfahrungen im Kocher-Jagst Zweistromland über Jahre hinweg mit Frühlings- und Sommeranbau von Chinakohl. Er keimt leicht, Jungpflanzen überleben aber nur Tage. Kohlerdflöhe, die früher nur eine Ausnahmeerscheinung waren fressen ihn sofort bis auf das Blattskelett ab. Selbst ältere Pflanzen werden befallen. Eine Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln ist sinnlos weil viel zu kurzwirkend, Hausmittel helfen nicht. Kommt er durch, folgen Kohlfliege, Rapsminierfliege, Blatt- und Wurzelläuse. Auch Schnecken und allerlei Raupen lieben ihn. Die Litanei geht mit anderen Problemen weiter. Für sich genommen wäre mit dem einen
Kohlerdflöhe. Insgesamt waren 20 Stück auf der Pflanze.
oder anderen Schädling zurechtzukommen, aber der konzentrierte Ansturm mehrerer Probleme gleichzeitig macht alle Rettungsversuche zunichte. Gemüsenetze helfen nicht, die Kohlerdflöhe sind schon vorher da und Verunkrautung mag er nicht. Zudem benötigt man Haltekonstruktionen, damit die engmaschigen Netze nicht die jungen Pflanzen plattdrücken. Die meisten Schädlinge lachen sich über kreuzbrave Formeln wie "Fruchtwechsel" und "feucht halten" einen Ast.

Kohleulenraupe. Gut getarnt.
Auch die stark gesteigenen Wetterextreme setzen ihm übel zu. Starke Temperaturstürze wie im Frühjahr 2017 vernichten die gesamte Ernte, denn die Pflanzen beginnen nach dem späten und plötzlichen Kältereiz zu blühen statt Köpfe zu bilden, dieser Effekt nennt sich Vernalisation. Man sieht es nicht sofort und es ist unumkehrbar. Gemerkt habe ich das erst Wochen später, als sich Blütenköpfe hervorschoben und so war auch noch das Beet in der besten Jahreszeit mit einer Nullernte blockiert bzw. blieb ein Zuchtbeet für die vielen Schädlinge am
Ackerschnecke löchert Chinakohl
Chinakohl, die sich dort fröhlich vermehrt haben um dann bei anderen Kohlsorten weiterzumachen. Fäule- und Pilzkrankheiten  sind ebenfalls schlimmer geworden, da nächtliche Taubildung bei gleichzeitiger Bodentrockenheit zugenommen haben.

An eine Verbesserung durch neue Züchtungen glaube ich nicht. Zu vielfältig und zu grundlegend sind die Probleme. Trotzdem gibt es gute Gründe, Chinakohl als Gemüse auch im eigenen Garten anzubauen, er ist unter anderem die Basis für selbstgemachtes Kimchi, einer mittlerweile weltweit verbreiteten koreanischen Spezialität. Er wird dafür gewürzt und milchsauer eingelegt. Und wenn er wächst, bringt er viele Kilo pro Quadratmeter.

Verschiedene Wachstumsstadien
Oben: Mitte September

Herbstanbau die Rettung?

Also bin ich auf möglichst späten Herbstanbau ausgewichen. Der muss freilich auf Kante genäht sein, um das Gleichgewicht auf dem extrem schmalen Grat zwischen zu kurzer Vegetationszeit und Schädlingskatastrophen schon bei den Jungpflanzen zu halten. In den erwähnten Gartenbüchern wird zur Aussaat bis Ende Juli, maximal Anfang August geraten. Das klappt aber nicht. Jungpflanzen im August werden immer noch schnell und effizient von den Schädlingen vernichtet. Auch das Risiko extremer Hitze ist heutzutage zu dieser Zeit zu hoch geworden.

Mein Weg ist, erst Mitte August auszusäen und zwar in gut geschützten Aussaatschalen im lichten Halbschatten, möglichst auf einer versiegelten Bodenfläche stehend oder in mindestens Hüfthöhe, so kommen die Kohlerdflöhe nicht ran. Nach der Keimung bald etwas düngen, um für zügige Entwicklung zu sorgen. Die Jungpflanzen bleiben dann relativ lange in ihren Aussaat-Reihenhäuschen, zwei Wochen. Chinakohl verträgt das gut, er wurzelt nicht tief. Auspflanzung bis kurz nach dem Monatswechsel zum September. Danach benötigt Chinakohl acht Wochen, um verwertbare Köpfe zu bilden, Erntereife also ab Monatswechsel zum November. Da der Oktober längst ein Wachstumsmonat geworden ist mit viel höheren Tages- und vor allem Nachttemperaturen wie früher, schafft das Chinakohl auch meistens. Klappt es einmal nicht, kann man sich trösten: Im Sommer hätte es erst recht nicht geklappt.

Vorteil Herbst

Beginnende Phoma an Chinakohlblatt
Das Risiko vieler Schädlinge ist deutlich gemindert. Am Anfang versucht es der Kohlerdfloh noch zäh. Dagegen kann man einmalig ein Natur-Pyrethrum-Präparat anwenden und damit ein paar Tage ungestörte Blattbildung zusätzlich herausschinden. Andere Risiken steigen: Schneckenbefall ist gerade im Herbst stärker, Phoma (Phoma lingam ist ein Pilz) ebenfalls und Kohleulenfalter mit den grünen Raupen kommt auch im Herbst am stärksten. Das sind aber selten totale Spielverderber, zumal sich gegen Schnecken auch etwas tun lässt. Kohleulen sind ärgerlich, lassen sich in Chinakohlköpfen kaum absammeln, das kann die Ernte am ehesten verderben wenn sie massenhaft auftreten.

Knackfrischer Chinakohl aus Spätanbau. 600g netto.
Hilfreich sind Sorten mit mässig grossen Köpfen, die sind oft etwas schneller mit der Kopfbildung fertig wie die "Grosskopfeten". Und auch die Lage des Beets ist mit Sorgfalt zu wählen, die tiefstehende Sonne im Oktober kommt in unseren engen Gärten zwischen der allgegenwärtigen Bebauung nicht mehr überall hin. Westseiten sind gut, Nachmittagssonne wichtiger wie Morgensonne, denn morgens bleibt es ohnehin immer länger hochnebeltrübe. Späte Fröste sind nicht mehr schlimm, hat er einmal einen Kopf gebildet kann man ihn bis zu erstaunlichen -6°C auf dem Beet stehen lassen.

Meine Lieblingssorte ist "One Kilo", mit der klappt der Spätanbau hinreichend gut. Auch dieses Jahr hat es mit der oben beschriebenen Methode funktioniert, Erntebeginn jetzt in der ersten Novemberwoche. Pflanzen mit Entwicklungsnachteilen (teilverschattet, zu langsame Jungpflanzenentwicklung, frühe Kohlerdflohschäden) sind da noch nicht so weit, andere haben schon brauchbare Köpfe mit 600-1000g gebildet. Noch nicht kompakt gewordene Köpfe sind für alles brauchbar, besonders ideal aber für knackige Salate. Er verträgt würzige Sossen aus Creme Fraiche, Knoblauch, Weinessig, Chili. So lieben ihn auch die Kinder. Andere Sorten sollen angeblich noch besser pilztolerant sein. Speziell für den sehr späten Anbau werde ich davon noch einige ausprobieren. Leider sind Sorten mit wirklich grossen Köpfen wie in Korea populär nicht zu bekommen, sie würden sich für Zubereitung von Kimchi am Besten eignen. Erfahrungen willkommen.